Seite:Die Gartenlaube (1869) 619.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

anderthalbjähriges kleines Mädchen mit hellen schwarzen Augen und einer Fülle dunkelen Haares, welches in unserer leidigen Chignonära für ein halb Dutzend erwachsener Damen hingereicht haben dürfte. Natürlich wurde die kleine Schönheit von allen Seiten geliebkost und gehätschelt. Man brachte ihr alle nur möglichen zuträglichen und unzuträglichen Süßigkeiten herbeigetragen und steckte ihr Pennys und Halbpennys in die dicken kleinen Händchen, so daß die anderen Mütter die glückliche Besitzerin der umworbenen Kleinen nicht blos mit nicht mißzudeutenden Zornesblicken ansahen, sondern ihrem Neid auch in manchen noch weniger zweideutigen Complimenten Luft zu machen suchten.

Waren also im Allgemeinen die Kinder nicht eben schön zu nennen, so gab es dagegen viele dicke und große und gesunde Babies unter ihnen. Eine Zigeunerin – der braune Teint, die dunkeln mandelförmigen Augen, das blauschwarze Haar und die schlanke Gestalt ließen keinen Zweifel über ihre Abstammung – trug in ihren Armen einen vollkommenen kleinen Hercules, so braun und frisch wie sie selbst und mit Augen, die den ihrigen an Glanz und Rastlosigkeit nicht viel nachgaben. In einer Reihe daneben zappelte und krabbelte ein volles Dutzend kleiner Ungeheuer, bei denen das Fleisch in förmlichen Wülsten an Armen und Beinen saß und die Backen vor Fett fast platzten. Als Widerspiel dazu waren erst sieben Wochen alte Drillinge ausgestellt, – arme schwächliche Geschöpfe mit flachen idiotischen Gesichtern. Sie hatten etwas Gespenstisches, diese unglückseligen Drillinge, ihr Anblick verfolgte mich durch die ganze Halle wie ein unheimlicher Geist. Mit ihren zusammengekniffenen Zügen schienen sie vorzeitig alt zu sein, und dennoch hatten sie etwas so Unfertiges und Unvollkommenes an sich, daß man sich wunderte, daß sie überhaupt da waren.

Die Ausstellung war übrigens eine Privatspeculation und die als vorzüglichst befundenen Kinder sollten mit verschieden abgestuften Preisen bedacht werden, ohne welche es in England bei dergleichen Gelegenheiten, bei einer Kunst- wie bei einer Hunde- und Kaninchenausstellung, ja niemals abzugehen pflegt. Preisschweine und Preiskinder stehen bei dem englischen Publicum ungefähr in gleicher Kategorie. Sämmtliche der in Woolwich zusammengebrachten Kinder waren folglich in der ausgesprochenen Absicht hierher verpflanzt worden, um einen oder den andern, vielleicht um mehrere dieser Preise zugleich, zu concurriren. Aber merkwürdig! die meisten dünkten mich in keiner Weise etwas Besonderes zu sein, weder durch Größe noch durch Kleinheit, kurz durch nichts, als freilich etwas sehr Anerkennenswertes – durch Reinlichkeit ausgezeichnet, eine Bedingung, von welcher der Unternehmer die Einverleibung in seine Ausstellung abhängig gemacht hatte. Auch die Mütter waren höchst sauber und nett gekleidet, obschon sie, der Mehrzahl nach, offenbar in sehr ärmlichen Verhältnissen lebten und ihre Kleinen einzig und allein um jener Geldpreise willen zur Ausstellung gebracht hatten. Außerdem hatte sich der Entrepreneur des Ganzen verbindlich gemacht, während der Dauer seiner Schau die Weiber mit der nöthigen leiblichen Atzung zu versorgen, und die Aussicht auf unbeschränkte Quantitäten von Thee und Porter war jedenfalls ein mächtiges Lockmittel für die Ausstellerinnen gewesen.

Wie ich sofort bemerkte, waren beinahe alle diese Mütter vom Lande gekommen, die Stadt London selbst befand sich in entschiedener Minorität dagegen. Sammt und sonders aber schienen sie mir mit der Sache sehr zufrieden zu sein, erfreut über die Aufmerksamkeiten, welche die Besucher ihren Kleinen erwiesen, noch mehr zufrieden jedoch, wenn dergleichen Aufmerksamkeiten die Gestalt pecuniärer Spenden annahmen, wie geringfügig dieselben auch sein mochten. Ebenso sprach mir seinerseits der Unternehmer, ein gewisser Mr. Holland, seine Zufriedenheit mit den Ausstellerinnen aus und fügte den verheißenen Geldpreisen, die von fünf bis zu fünfzehn Pfund stiegen, freiwillig noch Prämien von silbernen Bechern hinzu. Das Resultat seiner Speculation mußte mithin seine Erwartungen übertroffen haben.

Die Idee der Kinderausstellungen ist übrigens amerikanischen Ursprungs, dem erfinderischen Kopfe des großen Humbugkünstlers Barnum entflossen, der, wie meine Leser wissen, so manches eigenthümliche Unternehmen erdacht und in Scene gesetzt hat. Als er vor einigen Jahren zuerst mit dem Project einer Baby-Schau herausrückte, fand man den Gedanken über die Maßen excentrisch; keine Mutter würde sich ja, das wandte man an erster Stelle dagegen ein, herbeilassen, ihre Kinder öffentlich auszustellen, und sodann dürfte kein Mensch geneigt sein, Geld auszugeben, um die etwa zur Schau gebrachteu kleinen Kinder zu besichtigen. Beide Besorgnisse erwiesen sich als grundlos, und jetzt ist in der That keine andre Ausstellung in England so leicht in’s Leben zu rufen und in gewissen Kreisen so beliebt geworden wie diese Babyschaustellungen Barnum’scher Erfindung. Um unsre Ausstellung in Woolwich in’s Werk zu richten, kündigte ihr Urheber sein Vorhaben blos in einigen englischen Provincialblättern an, und alsbald waren ihm über zweitausend Kinder dazu offerirt, und am Tage, an welchem die Schau eröffnet wurde, erschienen zweitausenddreihundert Mütter mit mindestens derselben Anzahl von kleinen Kindern an den Pforten des Gartens, manche davon aus einer Entfernung von fünfzig und mehr deutschen Meilen. Die meisten dieser Kinder waren für den beabsichtigten Zweck nicht zu gebrauchen, und es mußte das den Frauen begreiflich gemacht werden. Allein dies war eine trostlose Aufgabe. Die Weiber schrieen, die Kinder schrieen und Lärm und Tumult wurden bald so arg, daß der erschrockene Entrepreneur sich vor dem tobenden Haufen verstecken mußte. Mehrere Stunden vergingen, ehe man das Terrain von den überflüssigen Babies gesäubert und die glücklichen Auserwählten behufs ihrer Inspection seiten des Publicums in zwei Reihen formirt hatte. Wie groß der Andrang des letztern war, erhellt aus der Thatsache, daß in den vier Tagen, während welcher die Ausstellung geöffnet blieb, über dreitausend Personen dieselbe besucht haben sollen. Das Eintrittsgeld betrug einen Schilling, rechnet man hierzu, daß auch der Erlös aus den nicht eben sparsam genossenen Erfrischungen und Herzstärkungen in die Tasche des Veranstalters fiel, so muß das Unternehmen als Finanzspeculation gewiß ein vollkommen gelungenes genannt werden.

Desgleichen haben die vier Tage den Müttern und ihren Kindern zu offenbarem Gewinn gereicht. Eine halbe Woche freies Essen und Trinken und die Chance, nach Ablauf dieser Zeit fünf oder zehn, ja im glücklichsten Falle selbst fünfzehn Pfund Sterling obendrein zu verdienen, und zwar lediglich dadurch, daß man auf dem Stuhle sitzt und sein Kind nährt – das ist eine Perspective, die sich dem armen Weibe selten aufthut, und darum nicht zu verwundern, wennn sie mit beiden Händen ergriffen wurde. Ueberdies waren die Kinder selbst während der vier Ausstellungstage unbestritten besser daran, als sie es jemals zu Hause gewesen sein mochten: besser getränkt und gespeist und reinlicher gehalten; für sie zumal ist also die Ausstellung als eine wahre Glücksepoche im Leben zu bezeichnen.

Auch in dieser Beziehung läßt sich somit gegen die Idee der Kinderausstellungen nichts Erhebliches einwenden. Ein Anderes ist es hinsichtlich des zuschauenden Publicums; nach meiner Ansicht ist dies der einzige Theil, welcher dabei verliert, denn, ich wiederhole es, das Schauspiel entsprach meinen Erwartungen bei Weitem nicht und schien mir in der That des angewandten Schillings kaum werth zu sein – vielleicht, weil ich mir unter „Preiskindern“ und namentlich unter englischen Preiskindern, nach der Menge prächtiger, rosiger, von Gesundheit und Leben strotzender Kinder, die man in den öffentlichen Londoner Parks, in den Squares und auf den Promenaden sich tummeln sieht, etwas absonderlich Vollkommenes von Kindergenre zu finden hoffte.

Die mit zuschauenden Frauen und Mütter, welche, wie bereits erwähnt, uns anwesende Männer an Zahl mindestens um das Doppelte übertrafen, schienen freilich anderer Ansicht zu sein. Für sie hatte die Ausstellung unbestritten das allergrößte Interesse, denn sie verglichen im Stillen die Preisbabies mit ihren eigenen Kindern zu Hause. Man sah dies an der gespannten Aufmerksamkeit, mit welcher sie sich jedes einzelne Kleine hinter den absperrenden Gittern betrachteten, man hörte es aus dem eifrigen Geflüster, das sie mit einander unterhielten, und das triumphirende Lächeln und Kopfschütteln, womit in der Regel ihre Unterhaltung endete, deutete klar genug an, wie sehr die Parallele zu Gunsten ihrer eigenen Sprößlinge ausfiel. Viele dieser zuschauenden Mütter begnügten sich natürlich nicht mit dem bloßen Ansehen der ausgestellten Kleinen, sie wollten sie vielmehr nach allen Dimensionen hin gründlich befühlen und auf den Armen wägen. Die Babies mußten nicht selten die Runde durch die ganze Halle machen, ehe sie ihren natürlichen Pflegerinnen restituirt wurden.

Mir wurde angst, daß nicht am Ende eine allgemeine Säuglingsverwechselung die Folge dieser, beiläufig, von einem

ohrenzerreißenden vielstimmigen Schreiconcerte begleiteten Wanderungen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_619.jpg&oldid=- (Version vom 16.10.2022)