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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Er zuckt die Achsel und seufzt: „O Narr!“
Das hat meinen Zorn entzügelt,
Und mit dem verdammten zweiten Ich
Hab’ ich mich endlich geprügelt.

Doch sonderbar! jedweden Puff,
Den ich dem Burschen ertheile,
Empfinde ich am eignen Leib,
Und schlage mir Beule auf Beule.

Bei dieser fatalen Balgerei
Ward wieder der Hals mir trocken,
Und will ich rufen nach Wein den Wirth,
Die Worte im Munde mir stocken.

Mir schwinden die Sinne, und traumhaft hör’ ich
Von Kataplasmen reden,
Auch von der Mixtur – ein Eßlöffel voll –
Zwei Tropfen stündlich in jedem.

Von den vermischtem Aufsätzen in Prosaform sind nur einzelne, wie z. B. mehrere ungedruckte Capitel der „Reisebilder“, von früherem Datum; die meisten stammen aus den fünfziger Jahren. Als besonders interessant hebe ich einen Nachtrag zu den „Göttern im Exil“, eine Lebensskizze des französischen Schriftstellers Loeve-Veimars, und eine Anzahl unterdrückter Blätter aus den „Geständnissen“ hervor, welche, anknüpfend an die Schlacht von Waterloo, einen ebenso geistvollen wie malitiösen Rückblick auf die politische Geschichte der letzten fünfzig Jahre werfen und dem Verfasser bei Lebzeiten sicherlich einen vom nationalen Gesichtspunkte aus wohlberechtigten Sturm von Angriffen zugezogen hätten. Eine biographisch wichtige und originelle Zugabe sind die Briefe, welche Heine bei seinem zweimaligen Besuche in Deutschland, 1843 und 1844, an seine Frau nach Paris schrieb. Die leidenschaftliche, oft bis zu drolligster Eifersucht gesteigerte Liebe, mit welcher der Dichter an seiner Mathilde hing, ihre kindliche Unerfahrenheit in allen Verhältnissen des Lebens, das ganze idyllisch zärtliche Schäferspiel des ehelichen Haushaltes erscheinen hier im Lichte einer reizenden Natürlichkeit.

Den werthvollsten Bestandtheil der Prosa-Manuscripte bildet eine Sammlung von mehreren Hundert aphoristischen Bemerkungen über Kunst und Literatur, Religion und Philosophie, Staat und Gesellschaft, Frauen, Liebe und Ehe. Diese Gedanken und Einfälle, welche auf einer Unzahl abgerissener Papierfetzen – oft auf der Rückseite von Brieffragmenten, Rechnungen und Einladungskarten – flüchtig und mit mancherlei Abbreviaturen aufgezeichnet sind, boten der Entzifferung nicht selten die größte Schwierigkeit. Sie geben in ihrer kurz gedrängten, witzigen Form ein äußerst pikantes Bild des Heine’schen Geistes, dem sich jeder Gedanke zum geistreichen Impromptu gestaltete,. Einige dieser Einfälle mögen hier folgen:

Das alte Märchen der drei Brüder realisirt sich. Der eine läuft hundert Meilen in der Stunde, der andre sieht hundert Meilen weit, der dritte schießt so weit, der vierte bläst Armeen fort – Eisenbahn, Fernrohr, Kanonen, Pulver oder Presse. –

Weise erdenken die neuen Gedanken, und Narren verbreiten sie. –

Die jüdische Geschichte ist schön; aber die jungen Juden schaden den alten, die man weit über die Griechen und Römer setzen würde. Ich glaube: gäbe es keine Juden mehr und man wüßte, es befände sich noch irgendwo ein Exemplar von diesem Volke, man würde hundert Stunden reisen, um es zu sehen und ihm die Hände zu drücken – und jetzt weicht man uns aus. –

Der Taufzettel ist das Entréebillet zur europäischen Cultur. –

Daß ich Christ ward, ist die Schuld jener Sachsen, die bei Leipzig plötzlich umsattelten, oder Napoleon’s, der doch nicht nöthig hatte, nach Rußland zu gehen, oder seines Lehrers, der ihm zu Brienne Unterricht in der Geographie gab und ihm nicht gesagt hat, daß es zu Moskau im Winter sehr kalt ist. –

Die Erde ist der große Felsen, woran die Menschheit, der eigentliche Prometheus, gefesselt ist und vom Geier des Zweifels zerfleischt wird. Sie hat das Licht gestohlen und leidet nun Martern dafür. –

Ich sehe die Wunder der Vergangenheit klar. Ein Schleier liegt auf der Zukunft, aber ein rosenfarbiger, und hindurch schimmern goldene Säulen und Geschmeide und klingt es süß. –

Die Thoren meinen, um das Capitol zu erobern, müsse man zuerst die Gänse angreifen. –

Ich ließ mich nicht naturalisiren, aus Furcht, daß ich alsdann Frankreich weniger lieben würde, wie man für seine Geliebte kühler wird, sobald man bei der Mairie ihr legal angetraut worden. Ich werde mit Frankreich in wilder Ehe fortleben. –

Die Gesellschaft ist immer Republik – die Einzelnen streben immer empor, und die Gesammtheit drangt sie zurück. –

Luther erschütterte Deutschland – aber Franz Drake beruhigte es wieder: er gab uns die Kartoffel. –

Das Oel, das auf die Köpfe der Könige gegossen wird, stillt es die Gedankenstürme? –

Der Deutsche gleicht dem Sclaven, der seinem Herrn gehorcht ohne Fessel, ohne Peitsche, durch das bloße Wort, ja durch einen Blick. Die Knechtschaft ist in ihm selbst, in seiner Seele; schlimmer als die materielle Sclaverei ist die spiritualisirte. Man muß die Deutschen von innen befreien, von außen hilft Nichts. –

Ich habe die friedlichste Gesinnung. Meine Wünsche sind: eine bescheidene Hütte, eine Strohdach, aber ein gutes Bett, gutes Essen, Milch und Butter, sehr frisch, vor dem Fenster Blumen, vor der Thür einige schöne Bäume, und wenn der liebe Gott mich ganz glücklich machen will, läßt er mich die Freude erleben, daß an diesen Bäumen etwa sechs bis sieben meiner Feinde aufgehängt werden. Mit gerührtem Herzen werde ich ihnen vor ihrem Tode alle Unbill verzeihen, die sie mir im Leben zugefügt – ja, man muß seinen Feinden verzeihen, aber nicht früher, als bis sie gehängt werden. –




Der letzte Johanniterritter des Thüringer Waldes.
Eine Erinnerung, von Georg Sauer.

Wer weiß es nicht, daß Knaben vor Allem die Soldaten und das Soldatenleben lieben, und daß es für sie nichts Höheres giebt, als in einen Papppanzer geschnürt, den Papphelm auf dem Lockenkopf und das hölzerne Schwert an der Seite oder eine Stange als Lanze in der Hand einen Ritter zu spielen, wie er in den vielen Rittergeschichten so schön und schaurig, so kühn und herrlich geschildert ist? Ich zumal hatte als Kind so recht die Gelegenheit, mein kleines Gehirn mit den phantastischen Rittergestalten zu füllen, da ich in der Kirche zu Römhild, meiner Vaterstadt, oft die Grabmäler der Grafen von Henneberg betrachtete, die dort, Mann an Mann gereiht, der Auferstehung harren. Ihre steinernen und ehernen Bilder aber erweckten in mir eine stille Sehnsucht nach der verschwundenen Zeit, die so prächtig gewesen sein mußte, und oft stieg in mir der – wie ich mir freilich selber sagte – fruchtlose Wunsch auf, nur einmal einen solchen wirklichen Ritter sehen zu können.

Und doch, dieser Wunsch wurde mir gegen alles Hoffen und Erwarten bald schon erfüllt. Zu Michaelis 1803 kam ich auf das noch jetzt blühende Gymnasium zu Schleusingen. Die Hauptzierde der Stadt ist die Burg der Grafen von Henneberg, die bis jetzt alle Gefahren einer Zerstörung glücklich bestanden hat, im Jahre 1525 selbst den Bauernkrieg, der ganz in ihrer Nähe wüthete. Ein besonders günstiger Umstand für mich, den nunmehrigen Gymnasiasten, war es, daß ich dem Hause eines Freiherrm v. Trebra empfohlen wurde, welcher aus Sachsen als Oberforstmeister über die großen, weitläufigen Thüringerwald-Reviere königlich sächsischen Antheils nach Schleusingen ge- und versetzt worden war. Die Familie v. Trebra gehörte zu den gebildetsten in Schleusingen und in der ganzen Umgegend. So lange Trebras in Schleusingen lebten, hatten sie das mittlere Stockwerk der Burg inne, und es war daselbst fast ununterbrochen ein kleiner Hof. Einheimische und Fremde trafen, geladen und ungeladen, auf der Burg bei Trebras ein, Jeder, der in Beziehung auf Geist, Talent und Kunst auch nur einigermaßen sich auszeichnete, war allda willkommen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 635. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_635.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2022)