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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Nein,“ versicherte Hasso abermals.

„Auch nicht,“ rief sie noch heftiger aus, „daß ich eigentlich mit Unrecht Gülzenow besitze, obgleich, wenn ich’s nicht meinem Vater gerettet hätte, wer weiß, wer sich heut’ breit darauf machte? Er hat Euch nichts erzählt von dem, was die Narren sagen, von einem verloren gegangenen Testament und dergleichen?“

„Nichts, Tante, ich weiß von alledem nichts,“ betheuerte Hasso. „Ich weiß nur, daß Du die Schwester meines Vaters bist und daß die Mutter Freudenthränen weinte, als Dein Brief kam, der ihr die Sorge um uns vom Herzen nahm.“

Er hatte das sehr innig gesagt, seine Augen standen voll Thränen, die Tante schien erweicht.

„So hat er Dir also nicht aufgetragen in Gülzenow nachzustöbern?“

Hasso zuckte diesmal nur die Achseln.

„So kommt zum Frühstück,“ brach die Tante kurz ab.

Sie saßen noch am Kaffeetisch, Hasso und Ursula mit nachdenklichen Mienen, die Kleinen lachend und plappernd und von der Tante mit derben Liebesworten überschüttet, als ein leises Klopfen ertönte und auf Rosinens „Herein!“ – ein alter Herr eintrat, der ein kleines Mädchen an der Hand führte.

„Ach, lieber Fröhlich,“ rief, die Tante ihm entgegen, „plagt Sie der Satan, daß Sie nun gar des Morgens früh, schon herunterkommen?“

„Der Satan nicht, aber die Neugierde und die Rose,“ er deutete auf das Kind, das sich schüchtern an ihn schmiegte und den Kopf verschämt senkte, so daß die langen hellbraunen Locken ihr über das kleine erröthende Gesichtchen fielen. „Sie hat sich so auf die neuen Gespielinnen gefreut,“ setzte er erklärend hinzu.

„Nun, so komm, da sind sie!“ rief Rosine barsch, faßte das kleine Mädchen bei der Hand und führte sie den Zwillingsschwestern zu.

Ganz erstaunt blieb das Kind vor ihnen stehen, erschrocken ausrufend:

„Großvater, das sind ja dieselben, die ist die, und die ist auch wieder die!“

Die alten Herrschaften und die größeren Kinder lachten. Elly sagte ernsthaft:

„Wir sind Zwillinge, davon kommt das.“

„Ja, davon,“ bekräftigte Liddy.

„Sie ist sechs Jahre und ich bin sechs Jahre und am fünften November haben wir Beide einen Geburtstag,“ fuhr Elly zu erklären fort und Liddy öffnete schon wieder den kleinen Schnabel zur Wiederholung, aber Rose unterbrach sie.

„Ich bin acht Jahre und mein Geburtstag ist im Juli.“

„Dem Rosenmonat, natürlich,“ sagte Hasso, das engelschöne Kind mit sichtlichem Wohlgefallen betrachtend, mit rasch erwachter Knabengalanterie, die ihm einen freundlichen Blick Herrn Fröhlich’s und einen derben Schlag auf die Schulter Seitens seiner Tante einbrachte, die ihm ein lachendes „Courmacher, fängst früh an Süßholz zu raspeln“ zurief.

Die Bekanntschaft der Kinder war gemacht, sie saßen bald auf dem Fenstertritt der Tante, in eifriges Plaudern und Lachen vertieft. Es war ein reizender Anblick, den die drei lieblichen Kinder darboten, ein unvergeßliches Bild, alle drei so unschuldig in die Welt blickend, so voll zarter Frische und lieblicher Anmuth.

„Nicht wahr, sie sind hübsch?“ sagte die Dame in herausforderndem Ton zu Herrn Fröhlich, „wahre kleine Engel!“

„Affen,“ brummte Dore dazwischen.

„Dore, Du bist schon wieder impertinent,“ schalt Frau von Fuchs.

„Und Sie sind schon wieder ungerecht,“ entgegnete die Dienerin. „Was Engel! Engel sind inwendige Geschöpfe, nicht auswendige, und in die kleinen Kröten hat noch Keiner hineingesehen. Ich lobe mir die Große. sie hätten ’mal sehen sollen, wie sie die Erste aus dem Bett war und wie sauber und flink sie sich zurechtmachte und den Kleinen half und das Alles so still und freundlich; na, ich weiß wohl, wo ich den Engel suche.“

„Engel! Affe!“ entgegnete ihre Herrin.

„Meinetwegen auch, wenn wir todt sind, ist Alles gleich, im schönen Himmel sind wir Alle Engel.“

„Affen!“ schrie Tante Rosine in der Gewohnheit des Widerspruchs, lachte aber dann über sich selbst und klopfte der alten Dienerin auf die Schulter, die ihrer Herrin einen schielenden Blick zuwarf, der unendlich komisch war, und nach dem Weißbrodkorb in der Absicht langte, ihn wie jedesmal nach vollendetem Frühstück zu verschließen.

„Sieh Dich vor, Hasso,“ rief Rosine lachend ihrem Neffen zu, „Sieh Dich vor, daß Du Dich bei den Mahlzeiten satt ißt, kein Gott entringt ihr in den Zwischenzeiten den Speisekammerschlüssel.“ Und zu Herrn Fröhlich gewendet setzte sie hinzu: „Semmel schadet ja wohl der Stimme nicht? Wenn ich nicht irre, haben wir hier alle Anlage“ – sie zeigte auf Hasso – „eine gute Stimme zu bekommen und das könnte schlimmsten Falles viel gut machen.“

Herr Fröhlich war einst ein nicht unberühmter Sänger an einer königlichen Hofbühne gewesen. Aus jenen Tagen war ihm zwar nur eine schwache Stimme, aber warme Begeisterung für die ehemalige Kunst und, was äußerliche Verhältnisse betraf, einige Trümmer eines ehemaligen so leicht erworbenen Vermögens geblieben, das er durch Unterrichtgeben, für seine Enkelin zu vergrößern strebte.

Er beantwortete der Tante Frage mit einem lächelnden „daß ich nicht wüßte“, setzte aber dann singend hinzu: „Sie denken also daran, die Kinder im Hause zu behalten? Was sagten Sie doch gestern noch von Pension und dergleichen?“

„Ja wohl, das war mein Vorsatz,“ entgegnete die Dame, „aber haben Sie nicht gestern Abend noch singen hören?“

Der Sänger nickte.

„Na!“ sagte Frau von Fuchs, als wäre damit Alles erledigt, „die Kleinen hätte ich so nicht fortgegeben, die werden ein netter Zeitvertreib sein, die lächerlichen hübschen Dinger mit ihrer komischen Ähnlichkeit. Mit Ursula wird sich nicht Staat machen lassen und mit dem Jungen auch erst, wenn seine ungestalteten Gliedmaßen mehr Façon bekommen haben, aber hübsche Stimmen haben alle Beide. Sie können nur gleich anfangen mit Unterrichtgeben, Herr Fröhlich! Die Kleinen lassen wir dann zuhören und Kinderlieder singen, das übt das Gehör. O, denken Sie, wenn ich so künftig meine Capelle im Hause habe!“

Die kleinen Augen der Dame funkelten vor Musikenthusiasmus.

„Bis dahin möchte eine geraume Zeit vergehen,“ meinte Herr Fröhlich.

„Nicht zu lange, das bitte ich mir aus,“ unterbrach sie ihn heftig, „ich bin jetzt sechsundfünfzig Jahre alt. ,Das ist kein Alter, werden Sie sagen, aber passen Sie auf, ich sterbe früh. Mein Vater ist in seinen besten Jahren, mein Bruder ist gar jung gestorben an demselben Herzübel, das mich ’mal wie ein Hauch wegblasen wird. Wenn ich im Grabe liege, wird mir Keiner mehr vorsingen und vorspielen, und die hübschen Augen und leichten Herzen, die sich dann in meinem Eigenthum bene thun – ha, ich könnte hassen deshalb, was kümmern mich die!“

Die kleinen Mädchen saßen während dieses Zwiegesprächs immer noch auf dem Fenstertritt und Hasso, der sich zu ihnen gesellt, mitten unter ihnen, die Fröhlichkeit der Kinder nur erhöhend, denn er war sehr geliebt von seinen Schwestern. Er hatte selbst noch ein offenes Kinderherz und nichts an sich von jener Großthuerei und Ueberhebung, mit der seine Altersgenossen sich oft zum Herrscher der jüngeren Schwestern aufwerfen und deren Gespielinnen durch impertinente Arroganz einzuschüchtern versuchen.



(Fortsetzung folgt.)



Das Bild des Meisters.

Am siebenzehnten December 1870 wird ganz Deutschland abermals ein hundertjähriges Jubiläum feiern: das eines seiner größten Tondichter – Beethoven’s! Ich habe vor sieben Jahren schon eine gedrängte Uebersicht von des wunderbaren Meisters Wesen als Künstler und Mensch in diesem Weltblatt niedergelegt. („Ein neues Künstlerdenkmal“, Jahrgang 1862, S. 457 ff.) Heute will ich einige Notizen über das vorstehende Bild und das Aeußere Beethoven’s mittheilen, die nur Wenigen bekannt, aber für alle von Interesse sein werden.

Von Beethoven existiren unzählige Portraits, Medaillons,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_646.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)