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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Bei Giuseppe Mazzini.

Von Ludmilla Assing.

Der Name Mazzini ist für Alle, welche den großen Mann kennen, der ihn trägt, nicht nur die Erinnerung an den Propheten, der die Einheit Italiens voraussagte in einer Zeit, da sie noch unmöglich schien, an den Vaterlandsfreund, der unermüdlich für Italiens Freiheit kämpfte, sondern zugleich auch ein Versprechen für die Zukunft, in der er das Werk vollenden wird, welches sein Genius sich als Ziel gesetzt hat. Vielleicht ist der Augenblick nicht mehr fern, da er siegreich und gewaltig auf’s Neue an der Spitze seines Volkes erscheint und dasselbe dem höheren Fortschritt entgegenführt, zu welchem es reif ist.

Im deutschen Vaterlande kennt man zumeist die italienischen Verhältnisse nur sehr unvollständig. So sehr ich Mazzini zuvor verehrt hatte, so lernte ich doch seine ganze Bedeutung erst einsehen, als ich Ende 1861 nach Italien kam, seine Schriften las und mit den italienischen Freiheitsfreunden näher bekannt wurde. Nachdem ich durch diese schon in mittelbare Beziehung mit ihm getreten war, gab mir die deutsche Uebersetzung der Schriften eines seiner edelsten Anhänger, Piero Cironi’s, der uns und seinem Wirkungskreise durch einen frühen Tod entrissen worden, den Anlaß ihm zu schreiben, indem ich ihm meine Uebersetzung zusandte. Die Antwort, die ich darauf erhielt, ist (auszugsweise) die folgende:

 „Signora,
Ich habe Ihren Brief und das Buch empfangen. Ich danke Ihnen für Beides und freue mich, daß Sie mir Gelegenheit gegeben haben, Ihnen zu sagen, daß ich Sie kannte und schätzte, seit Sie in Deutschland die kühne Veröffentlichung machten, und daß ich stolz auf Ihre Achtung bin. – –

– – Alles was dazu dient, den Keim zu einem brüderlichen Bündniß zwischen Deutschland und Italien zu legen, ist gut und wichtig. In Deutschland sind Viele irregeleitet; die Männer des Nationalvereins nehmen die Stellung ein, die bei uns die Moderati haben, und daß so Viele die gegenwärtige italienische Regierung mit Italien verwechseln, ist eine andere Quelle des Irrthums.

Wir sind dazu gemacht Freunde zu sein. Deutsche, Italiener und Slaven sollten einen seit dreißig Jahren ersehnten brüderlichen Bund, eine junge und wahrhaft heilige Allianz der Völker für Nationalität und Freiheit an die Stelle der Trümmer der alten Allianz der Könige setzen. Aber hiefür ist es nothwendig, daß das deutsche Volk sich für diesen Bund erkläre; alle kleinen Gebietsfragen würden dann eine brüderliche Lösung finden.

Fahren Sie also in dem unternommenen Werke fort. Helfen Sie uns, gegenseitig uns kennen zu lernen. Ueber allen Interessen, über jedem Materialismus einer Gebietszone steht die große Idee einer Erneuerung der Karte Europa’s, einer Umwandlung der alten Welt, eines Kreuzzugs für das Gerechte, für das Wahre, gegen die Lüge, gegen den Czarismus, das Kaiserthum und Papstthum. Führen Sie Ihre Landsleute unermüdlich auf diesen Weg. Sie werden ferner nützen, wie Sie schon genützt haben.

Adieu, Signora. Ich hoffe, dies ist nicht unsere letzte Berührung, und ich kann Ihnen noch einmal mit der Zuneigung eines Bruders die Hand drücken.

 Ihr ergebener
Den 21. April 1863.   Giuseppe Mazzini.“

Die Bedeutung, welche diese Worte auch für Deutschland haben, ist augenscheinlich; es geht aus ihnen hervor, wie Mazzini mit aufrichtiger Zuneigung auf unser Vaterland blickt, und unser Volk mit dem italienischen in Freundschaft verbünden möchte. Und wenn er mit Recht die Freiheit der Slaven, wie die eines jeden anderen Volkes verlangt, was in Oesterreich so viele Gemüther erschreckt, so ist er doch fern von jenem Fanatismus, den so Viele in dieser Beziehung angstvoll in ihm voraussetzen.

Ich wechselte seitdem noch einige Briefe mit ihm; und immer lebhafter wurde der Wunsch in mir rege, endlich auch seine persönliche Bekanntschaft zu machen. Schon lange im Voraus faßte ich den Plan, im Frühjahr 1866 nach London zu reisen, um denjenigen von Angesicht zu Angesicht zu sehen, dem wir Alle, die wir die Freiheit und den Fortschritt lieben, so unendlich viel zu verdanken haben.

Als plötzlich zu jener Zeit die Kriegsgerüchte wie schwarze Wetterwolken am politischen Horizont hervortraten und ein Zusammenstoß zwischen Italien und Oesterreich als nahe bevorstehend erschien, konnte mich dies von meinem Vorhaben nicht abbringen, doch setzte sich ihm allerdings dadurch einige Schwierigkeit entgegen. Um aus meinem Wohnort und meiner zweiten Heimath, dem schönen Florenz, nach London zu gelangen, gab es zwei Wege: über Deutschland und über Frankreich. In Deutschland war ich seit Veröffentlichung der „Tagebücher“ meines geliebten Onkels Varnhagen von Ense steckbrieflich verfolgt und in contumaciam zu zwei Jahren und acht Monaten Gefängnißstrafe verurtheilt, in Frankreich war man dagegen in Erwartung des bevorstehenden Krieges damals sehr streng an der Grenze, besonders an der italienischen Seite, und forderte den Reisenden ihre Pässe ab. Da ich natürlich damals keinen preußischen Paß erhalten, und mein italienischer Diener, in dessen Begleitung ich allein die Reise machen wollte, in der Eile auch keinen Paß für sich herbeischaffen konnte, so riethen mir meine italienischen Freunde dringend ab über Frankreich zu gehen, da sie nicht daran zweifelten, ich würde unter solchen Umständen an der Grenze zurückgewiesen, und es würde mir nichts als die Umkehr übrigbleiben.

Da entschloß ich mich denn muthig, den Weg über Deutschland zu wählen, nahm in Basel Billets für mich und meinen Diener für die deutsche Linie, die durch die Rheingegenden und über Ostende nach London führt, und begrüßte so nach mehr als fünfjähriger Abwesenheit, zuerst hinter einem dichten braunen Schleier, nachher dessen müde auch ohne diesen, frohen und furchtlosen Sinnes mein Vaterland wieder. Durch Preußen fuhr ich vierzehn Stunden, saß in dem menschengefüllten Wartesaal des Kölner Bahnhofs, wo ein zweistündiger Aufenthalt stattfand, ohne daß mich Jemand erkannte, und setzte dann glücklich und ungehindert meine Reise fort.

In London angekommen, schrieb ich sogleich an Mazzini und fragte, wann ich ihn aufsuchen dürfe. Seine umgehende Antwort bezeichnete mir sogleich für den folgenden Tag die Stunde, in der ich ihn treffen würde, er sei krank gewesen und noch unwohl, schrieb er mir, sonst würde er selbst zu mir gekommen sein.

So stand ich denn den 24. Mai um vier Uhr zuerst vor ihm. Er trat mir entgegen und reichte mir herzlich die Hand. Ich fand ihn genau der vortrefflichen Photographie ähnlich, die der Italiener Lama von ihm in London gemacht hat. Er war leidend, und man sah es ihm an, aber dennoch erschien er, wenn er sprach, jünger, als er seinen Jahren nach ist. Ich betrachtete mit inniger Freude und Verehrung diese edlen Züge, und es traf mich der volle Strahl seiner herrlichen Augen, aus denen das Feuer seiner Seele leuchtet, und die einen unbeschreiblichen Ausdruck von Genie und Güte haben. Er unterdessen fragte mich mit liebenswürdigster Natürlichkeit nach alten Freunden, nach meiner Reise und dergleichen. Dann sagte er, als wenn er mir einen Vorwurf machen wolle, indem er mich ernsthaft ansah:

„Aber wie kommt es eigentlich, daß Sie, die Sie so viel Antheil an den Geschicken Italiens nehmen, es gerade jetzt, in einem Augenblick verlassen, wo der Krieg vor der Thür und die ganze Nation in Gährung und Aufregung ist?“

Da mußte ich ihm denn freilich sagen, um mich vor ihm zu entschuldigen, was ich zuvor nicht erwähnt hatte, daß ich nämlich einzig nach London gekommen sei, um ihn zu sehen, daß ich wahrlich nicht aus Furcht vor dem Kriege geflohen, daß, so leid es mir thue, Italien in dieser Krisis fern zu sein, doch der lebhafte Wunsch seine Bekanntschaft zu machen über alle anderen Bedenken den Sieg davongetragen haben, ja, daß ich deßhalb sogar die Gefahr nicht gescheut, durch Deutschland zu reisen, und daß ich ja Italien nirgends näher sein könne, als wenn ich bei ihm wäre.

Er lächelte gütig und begriff nun Alles; die Art, wie er meine Worte aufnahm, war ebenso fern von Eitelkeit, als von falscher Bescheidenheit, wie ihm denn überhaupt die gewinnende Einfachheit der wahren Größe eigen ist.

Wir gingen nun näher auf die damaligen italienischen Verhältnisse ein. Der Krieg würde jedenfalls stattfinden, sagte er mir, denn Napoleon wolle ihn, wahrscheinlich beginne er schon in ungefähr zehn Tagen.

Es war damals in der demokratischen Partei in Italien eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_650.jpg&oldid=- (Version vom 24.10.2022)