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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

große Schwierigkeiten. Ich habe natürlich kein Urtheil über die Kriegskunst, aber das kann ich versichern, daß das, was er damals über die Kriegspläne äußerte, anrieth, weissagte, nachher seine volle Bestätigung sowohl in den italienischen Ereignissen, als in den glänzenden Siegen des preußischen Heeres fand. Ich sprach meine Wünsche aus, ihn nach Italien zurückkehren zu sehen.

„O, einstweilen sind das nur Träume,“ erwiderte er und fügte schmerzlich hinzu: „für jetzt könnte nur ein Unglück mich nach Italien rufen!“

Ich lernte nun auch Mazzini’s nächsten Freundeskreis kennen: den vortrefflichen Aurelio Saffi, der im Jahre 1849 mit Mazzini zugleich Triumvir der römischen Republik war; Mazzini’s englische Freunde, die ihm treu anhängen und unter welchen Mr. Stansfield als muthiger und freiheitsliebender Parlamentsredner allgemein und rühmlich bekannt ist, Karl Blind, den thätigen unermüdlichen Schriftsteller, und seine Familie und noch viele Andere, Personen aller Nationen, ausgezeichnete liebenswürdige Frauen, auch General Langiewicz, den ich früher einmal in Lugano bei Grilenzoni kennen gelernt, fand ich hier wieder. Mir war es interessant und lieb, Mazzini auch in diesen befreundeten Gesellschaftskreisen zu sehen. Da zeigte er sich mir wieder von einer andern Seite, als in den vertrauten Gesprächen, die ich mit ihm allein hatte. Ich sah, wie er allgemein imponirte durch die unwiderstehliche Macht seines Geistes, während er selbst so natürlich, so unbefangen, so anspruchslos sich benahm wie immer und mit unvergleichlicher Liebenswürdigkeit sich gut und antheilvoll gegen Alle bezeigte, kurz, jene wahre Höflichkeit bewies, die aus dem Herzen kommt. Er war an jenen Abenden immer ganz schwarz angezogen und sah, ich möchte sagen, wie ein leuchtender Schatten aus, wie ein erhabener Geist, der aus einer höheren Welt freundlich zu den Sterblichen herabgestiegen ist. Hatte ich bisher immer Italienisch mit ihm gesprochen, so bot sich nun auch die Gelegenheit, ihn in anderen Sprachen reden zu hören; mit nicht minderer Leichtigkeit und Meisterschaft spricht er das Englische und Französische, und daß seiner Aussprache ein Hauch des italienischen Accents geblieben ist, gefiel mir gerade recht gut; überhaupt hat Alles an ihm das Gepräge des italienischen Charakters. Aus Freundlichkeit sprach er auch ein paar Worte Deutsch mit mir.

Mit Vergnügen erinnere ich mich einer außerordentlich lebhaften Discussion, die er mit Karl Blind über die italienischen Zustände hatte und in welcher sein Geist wie ein schönes Feuerwerk Funken sprühte. Blind machte u. A. den Italienern zum Vorwurf, daß sie Bismarck zum Bundesgenossen ihres Kampfes angenommen.

„Was wollen Sie,“ erwiderte Mazzini, „die Nation weiß nichts von diesen geheimen Verträgen, weder von dem mit Preußen, noch von dem mit Frankreich. Wenn die italienische Regierung den Krieg erklärt, den wir so lange gepredigt haben, den Krieg um Venedig, einen rein nationalen italienischen Krieg, ohne fremde Verbündete, wie können wir da verweigern ihr beizustehen? Was weiß das Volk davon, wenn die Regierung unterdessen mit Mephistopheles in Paris conspirirt, und was liegt ihm daran? Wir müssen Alles daran setzen, daß wir allein siegen, daß wir allein den italienischen Krieg machen und siegen. Aus einer Niederlage könnte die Revolution folgen.“

Mit tiefer Bitterkeit sprach er von Frankreich, das Italien unter allen seinen verschiedenen Regierungsformen immer mißhandelt habe, ihm falsche Versprechungen gab und es verrieth.

„War es doch die Republik, die Republik sogar,“ rief er in höchster Leidenschaft, „die uns in Rom verrathen hat!“

Er war großartig und gewaltig in seinem Zorn. Dann sprach er wie ein Prophet mit hinreißender Beredsamkeit von der Sendung Italiens.

„Ich, der ich Spiritualist bin,“ fügte er lächelnd hinzu, „ich nenne es Sendung; Sie, der Sie Materialist sind, lieber Blind, Sie werden es – Phosphor nennen!“

Hatte ich in dieser Unterredung Mazzini’s Aufflammen gesehen, so fand ich mehrmals den Anlaß seine wunderbare Mäßigung zu beobachten, wie ich hier sogleich erzählen werde.

Es war in einer größeren Abendgesellschaft; wie immer drängten sich alle Anwesenden um Mazzini, die Damen umgaben ihn beeifert, auch diejenigen, die dem Fluge seines Geistes nicht ganz folgen können, haben das Gefühl seiner Ueberlegenheit und werden unwillkürlich zu ihm hingezogen. Die Herren setzten sich dazu; man schloß einen Kreis um ihn und nun wurde er eifrig – fast alle Anwesende waren Engländer – über sein Vaterland befragt, und es war schön anzuhören, wie er vor diesen Kindern Albions in englischer Sprache das Evangelium Italiens predigte. Er mußte von den Zeiten der römischen Republik erzählen und wie dort, um das Volk zu befriedigen, um Ostern die Girandola angezündet wurde, ohne die Anwesenheit des Papstes, der von Niemand vermißt wurde.

„Was aber wird der Papst thun, wenn die Italiener auf’s Neue nach Rom kommen?“ fragte ein Engländer.

„Er wird fliehen,“ erwiderte Mazzini, „wie er bereits in der Vergangenheit in Frauenkleiderm entflohen ist, und kein Papst wird mehr auf ihn folgen.“

„Aber sind nicht unter der Landbevölkerung noch Viele für den Papst?“ fragte der Engländer weiter.

„Sie werden Alle froh sein, ihn verjagt zu sehen, wenn man nur die Salzsteuer aufhebt,“ versetzte Mazzini.

Im weiteren Verlauf der Unterhaltung äußerte er, daß in Italien wenig monarchisches Gefühl und nicht einmal eine Aristokratie vorhanden sei; Aristokraten wohl, aber keine wahre Aristokratie. Als er sagte, daß das italienische Volk, welches künstlerisch und nach äußeren Zeichen verlangend sei, einer Religion bedürfe, rief eine englische Dame in einem prachtvollen weißen Atlaskleid, mit jenem kirchlichen Eifer, der in England häufig ist:

„Und wenn es deren nicht bedarf, desto schlimmer für es selbst!“

„Ja,“ erwiderte Mazzini mit einem freundlichen, aber gleichgültigen Lächeln, ohne weiter auf dies Gebiet einzugehen.

Ich hatte Allem schweigend zugehört und wunderte mich im Stillen über Mazzini’s Milde. Govone, der grausame Henker von Sicilien, bekam kein anderes Beiwort als „der Mann, der nach Berlin geschickt worden,“ und an Ricasoli, der seiner Zeit Toscana dem Großherzog wieder überlieferte, rühmte er, daß er antifranzösisch sei, und schwieg über alles Andere. Will er vielleicht vor den Engländern diese traurigen Seiten der italienischen Geschichte nicht enthüllen? fragte ich mich.

Als ich das nächste Mal Mazzini besuchte, sagte ich ihm meine Verwunderung und meine Gedanken, wie ich mir seine Schonung ausgelegt.

„O nein,“ versetzte er ruhig, „das war es nicht. Es war ganz einfach: nach Govone und Ricasoli befragt, hob ich an jedem die einzige gute Eigenschaft hervor, die er besitzt: an dem Einen sein militärisches Talent, an dem Anderen, daß er mehr gegen Frankreich ist, als Rattazzi.“

Wie schön, wie edel und gütig war das! Und das ist der Mann, den so Viele für maßlos heftig und fanatisch halten! –

So gern ich ihn im Freundeskreise sah, so waren doch die Stunden, die ich mit ihm allein zubrachte, die schönsten und reichsten. Ich kann natürlich nur Bruchstücke davon wiedergeben, aber auch diese einzelnen Züge vervollständigen sein Bild.

Wir sprachen einmal zusammen über die Nachtheile des Exils. Ich bemerkte, es sei vielleicht das größte Unglück der Verbannten, daß sie durch die allzulange Entfernung vom Vaterlande das richtige Urtheil über dasselbe verlören.

„Das ist sehr wahr,“ antwortete Mazzini, „ich hatte noch eben ein Beispiel davon an einem italienischen Freunde, der mich besuchte, und der, lange von zu Hause fort, sich vorstellte, es sei dort noch Alles wie ehemals, und an die Veränderungen gar nicht glauben wollte, die bei uns vorgegangen.“

Sie sind in diesem Betracht eine große Ausnahme,“ versetzte ich, „denn Sie kennen Italien besser als die Meisten, welche dort sind.“

„Allerdings,“ antwortete er, „ich bin eben in beständiger Beziehung mit Italien geblieben, und so habe ich ihm dienen können.“

Eine grenzenlosere, außerordentlichere Bescheidenheit als das Wort „ihm dienen können“ konnte es nicht geben, von ihm, Italien gegenüber! –

„Sagen Sie doch lieber: es neu schaffen!“ rief ich lebhaft.

Mazzini’s Geist breitet sich über alle Gebiete aus. Einmal hatte ich ein langes Gespräch mit ihm über die deutsche Literatur, über Goethe. Ich fragte ihn nach seinem Urtheil über den Tasso; er theilt meine Vorliebe für diesen nicht; den Charakter Tasso’s findet er nicht gut getroffen, doch stimmt er mir darin bei, daß

Goethe in ihm mehr die dichterische Individualität im Allgemeinen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 652. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_652.jpg&oldid=- (Version vom 24.10.2022)