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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Das ist der Aufgang zum vierten Range gewesen, freilich sieht man jetzt nichts mehr davon,“ erläuterte mein fachkundiger Führer, während wir unter drohendster Gefahr für unsere Stiefelsohlen auf dem rollenden und nachgebenden Gebröckel Fuß zu fassen suchten

Aber wie soll ich beschreiben, was ich von der Höhe unsers Schutthügels aus vor meinen Augen sah? Der Eindruck läßt sich nur in die kurzen Worte fassen: ringsum nichts als ein wüstes Gewirr von verkohltem Gebälk, von Steinen und Trümmern, hier steil aufsteigend, dort tief abfallend wie Berg und Thal, aus welchem rechts und links noch Rauchwolken aufwirbelten oder Flammen aufzischten, wenn der Wasserstrahl des Spritzenschlauches in die Gluth traf, und jetzt da, dann dort neue Mauernschichten sich loslösten, um in dem allgemeinen Chaos zu versinken. Daß der Bau einst in Bühne, in Schnürböden und Versenkungsräume, in Logen und Galerien, in Foyers und Garderobezimmer, in Büffetsaal und so manche andere Localität eingetheilt gewesen war, davon ließen sich blos noch schwache Umrisse erkennen.

„Die Bogen dort in der Mauer uns zur Rechten sind Alles, was von der königlichen Loge und den hinter ihr liegenden Salons noch übrig ist,“ sagte mein Begleiter. „Oben auf derselben Seite ist das Unheil geboren worden; an der Wand hier hat der Unglückliche sich herabgeflüchtet und Alles in Brand gesteckt, woran er, selbst brennend, auf seinem Wege vorübergekommen ist. Gegenüber auf der andern Seite, im Erdgeschosse, sehen Sie in den Mauertrümmern noch einige Vorsprünge und Unterschiede; sie bezeichnen die Stelle, wo sich sonst die Garderoben der Schauspieler befunden haben, und geben Ihnen durch ihre noch sichtbaren Grenzlinien eine Vorstellung, wie gar dürftig und winzig alle diese Räumlichkeiten in dem stattlichen Hause hergerichtet gewesen sind. Hatte man doch das Ankleidezimmer für das weibliche Chorpersonal, so wie gewisse höchst notwendige Localitäten für die oberen Galerien bei der Anlage völlig vergessen und sie nachher an- und einflicken müssen, wie es eben gehen wollte.“

Es waren dies nicht die einzigen Mängel und Mißstände gewesen, welche sich bei der inneren Einrichtung des Gebäudes herausstellten; vielmehr zeigten sich nach und nach vielerlei Unzuträglichkeiten, wie ich schon oben vorübergehend bemerkt; so zum Beispiel die Enge sämmtlicher Corridore. Desgleichen sollen die Hähne der Wasserleitung, auf welche letztere man für die Eventualität eines Brandes doch ein so felsenfestes Vertrauen gesetzt hatte, derart angebracht gewesen sein, daß sie so gut wie unzugänglich wurden, wie denn auch das Gerücht behauptet, – das jetzt in übergroßer Geschäftigkeit tagtäglich eine Fülle von Wahrheit und Dichtung zu Tage fördert – sie seien völlig eingerostet und folglich unbrauchbar gewesen. Endlich haben – und hierauf machte mich mein Cicerone ausdrücklich aufmerksam – viele Zwischenwände und Decken anstatt aus festem Gemäuer lediglich aus Holzwerk bestanden.

Dicht unter meinen Füßen entdeckte ich, zum Theil in dem Geröll vergraben, eine eigenthümlich geformte schwarze Masse; was aus dem Getrümmer und der Asche emporragte, sah mir wie ein großer eiserner Ring aus.

„Was mag das da gewesen sein?“ frug ich.

„Dies hat man bei seinen Lebzeiten immer ganz besonders bewundert,“ lautete die Antwort, „und es war auch buchstäblich der Glanz unsers Schauspielhauses – der Kronleuchter, jetzt nichts mehr als ein Stück nutzlosen alten Eisens. Es hat einst Tausende von Thalern gekostet, und was von ihm geblieben, ist keinen Groschen mehr werth. Unter der Asche dort liegen auch die Ueberreste unserer in ihrer Art einzig gewesenen Rüstkammer, merkwürdige alte Waffen und Requisitstücke, die kostbarsten, die wohl je ein Theater besessen hat.“

Mitten in der allgemeinen Verheerung fielen mir einzelne noch gänzlich unversehrte Mauern auf, so unter Anderem verschiedene Kaminführungen, denen man kann eine Beschädigung anmerkte, und ich sprach mein Erstaunen über den merkwürdigen Umstand aus.

„Allerdings erscheint das merkwürdig,“ entgegnete mein Gewährsmann, „allein wir haben da einen neuen und schlagenden Beweis von der geringen Haltbarkeit unsers Sandsteines; alle Sandsteinmauern des Hauses sind vernichtet, zerglüht, zerbröckelt, mit Einem Worte, total werthlos geworden; was Sie hier an Mauerwerk erhalten sehen, ist Backsteinbau, dieser leistet den Flammen einen weit energischern Widerstand als der Sandstein. Die aus diesem letztern errichteten Mauern sind vollständig verloren, mit Ausnahme der äußeren Umfassungsmauern, welche bei einem Neubau allenfalls noch benützt werden könnten.“

Gewiß ist der Verlust ein ungeheurer, wenn man ihn aber, wie dies in der ersten Bestürzung geschehen ist, ohne Weiteres auf die runde Ziffer von einer Million Thaler veranschlagt, so kann dies selbstverständlich nicht das Ergebniß einer auf bestimmten Anhaltspunkten beruhenden Schätzung ausdrücken, sondern soll überhaupt nur die materielle Größe des Unglücks bezeichnen. Getrennt vom Schauspielhause, in ziemlicher Entfernung von demselben, stehen die zur Unterkunft von Decorationen und Coulissen, Garderobe, Meublement und sonstigen Requisiten eigens errichtetet massiven Baulichkeiten, und so ist, wie dies die öffentlichen Blätter bereits berichtet, der bei Weitem größere Theil dieser Besitzthümer, von denen der Inhalt der Theatergarderobe allein einen Werth von über zweimalhunderttausend Thalern repräsentirt, erhalten geblieben. Das Nämliche gilt von der werthvollen Bibliothek, den Partituren und Singstimmen, welche gleicherweise in abgesonderten Localitäten aufbewahrt werden. Im Schauspielhause selbst, und zwar in dem sogenannten Concertsaale, befanden sich nur diejenigen Decorationsstücke, die, so zu sagen, stereotyp auf dem Tapete waren. Es war dies freilich keine kleine Anzahl, und unter vielen andern gehörten dazu die von französischen Künstlern für das neue Haus gemalten farbenreichen Decorationen, der viel bewunderte Tassogarten und der ursprünglich für den Sommernachtstraum bestimmte, doch auch für Verdi’s Troubadour benützte Waldbogen, ebenfalls eine besondere Lieblingsdecoration des Publicums. Von alledem hat nichts gerettet werden können, wie überhaupt das vor den Flammen Geborgene – mit Ausnahme der auf nahezu zehntausend Thaler taxirten musikalischen Instrumente des Orchesters, deren Erhaltung man ausschließlich der Aufopferung einer alten Theaterdienerin und ihres Sohnes zu verdanken hat – im Verhältniß zu dem Zerstörten kaum in Betracht kommt. Namentlich bleibt die Vernichtung sämmtlicher Noten des Chores zu beklagen, und Jahre dürften darüber hingehen, ehe es möglich wird, diese Einbuße auch nur zum Theile wieder zu ersetzen. Einzig und allein die vortreffliche Schulung der Sänger und Sängerinnen, die, so behauptet man, im Stande sind, ihre Partien, in den häufiger gegebenen Opern wenigstens, ohne Noten aus dem Gedächtniß vorzutragen, mindert den Verlust in Etwas.

Schwerer als dies Alles aber fällt der Untergang jener schon erwähnten sogenannten Rüstkammer in’s Gewicht. Ist es auch

nicht ganz richtig, wenn man diesen Verlust als Gegenstände von historischer Bedeutung umfassend und somit geradezu als unersetzlich angiebt – denn historisch in dem Sinne, als von geschichtlich hervorragenden Persönlichkeiten oder Localitäten herrührend, war die Mehrzahl dieser Dinge nicht –: so bleibt der pecuniäre Werth derselben immerhin ein sehr beträchtlicher, da er auf mindestens achtzehntausend Thaler zu veranschlagen ist. Die Dresdener Theaterrüstkammer nahm hinsichtlich der Solidität ihres Inhalts in Deutschland wohl den ersten Rang ein und umfaßte eine Menge interessanter und kostbarer Requisiten; zum Beispiel die Hellebarden der unter August dem Starken errichtetet glänzenden polnischen Nobelgarde; eine Anzahl alter Radschloßgewehre mit elegant ausgelegten Schäften, mit denen vordem die Garde des Kurfürsten Johann Georg’s des Zweiten bewaffnet gewesen war; eine Reihe der schönsten reich mit Bronze verzierten Stahl- und Neusilberrüstungen, allerdings von moderner Arbeit, indeß nach den besten alten Modellen gefertigt; viele Garnituren von sogenannten Topfhelmen oder Sturmhauben byzantinischer Art, gleichfalls echten Mustern auf das Sorgsamste nachgebildet; Schwertkuppeln aller Formen und Zeitalter. Was auf den meisten anderen, selbst großen Theatern aus Pappe im Verein mit Silber- und Goldpapier hergestellt zu werden pflegt, in Dresden wurde es aus Metall geschmiedet und gegossen. So waren die Schilder der Amazonen in Meyerbeer’s Afrikanerin sammt und sonders aus blankem Stahl gearbeitet, desgleichen trugen die an ersten Acte derselben Oper antretenden Trabanten des portugiesischen Hofes durchweg Armschienen, Brust- und Rückenharnische und Pickelhauben aus Weißblech. Außerordentlich reich war die Sammlung an griechischen Harnischen und Helmen, alle nach den trefflichsten antiken Vorbildern copirt und im Laufe der Zeit mit vieler Mühe zusammengebracht. Ferner gab es Hunderte der künstlerisch vollendetsten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 672. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_672.jpg&oldid=- (Version vom 28.10.2022)