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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

mein Großvater allerdings ein ‚Schöps‘ (Schabsi oder Schabbathianer) gewesen und daß wir wirklich von Juden stammen.

Erst wollt’ ich das durchaus nicht anerkennen und fiel in meine alte Judenfresserei zurück; allein das half nichts; ich wurde wie früher geneckt und fand es am gerathensten, mitzulachen und mich selbst einen Juden zu nennen. Das half! Als ich nun in den Ferien nach Hause kam, drangsalte ich meinen Vater, so oft ich mit ihm allein war, mir von den ‚Schöpsen‘ zu erzählen. Allein mein Vater wich aus, bat mich, der Mutter nichts davon zu sagen, daß ich meine Abstammung kenne, vertröstete mich, bis ich größer sein werde, dann wolle er mir Alles erzählen etc.

Es war zur Zeit der Kartoffelernte im Herbst, als ich einst nach Hause kam; meine Mutter war mit Knechten und Mägden auf dem Felde, und mein Vater befand sich allein in der an unsere Branntweinschenke grenzenden Stube. In diesem Zimmer hatte mein Vater ein Schränkchen, das nie geöffnet wurde, zu dem nur er den Schlüssel hatte, den er, trotz mannigfacher Neckereien meiner Mutter, niemals hergab. Die Thüren dieses Schränkchens waren mit einem in Nußbaumholz roh geschnitzten Kreuze versehen, das jedoch, ähnlich wie das russische Kreuz, unten einen diagonalen Querbalken hatte. Oft sah ich meinen Vater vor diesem Kreuze andächtig beten. Als ich jedoch damals unversehens in die Stube trat, fand ich das Schränkchen offen, meinen Vater platt auf dem Boden liegend und weinend.

Erschrocken trat ich hinzu, in der Meinung, er sei krank. Er winkte mir, ihn nicht zu stören, und ich wartete ängstlich schweigend, bis er geendet. Dann rief er mich zu sich, beschwor mich, zu schweigen, zog eine pergamentene Gesetzesrolle hervor, die mit hebräischen Charakteren beschrieben war, und erklärte mir, diese ‚Thorah‘ enthalte in der eigenthümlichen Gruppirung des hebräischen Bibeltextes die Mysterien seines Glaubens, der nur äußerlich der Katholicismus sein müsse, der jedoch noch immer der des ‚heiligen Herrn‘ sei. Ich solle Hebräisch lernen und er wolle mich dann in Alles einweihen. Ich ging wenige Tage darauf nach Olmütz zurück, suchte dort einen Theologen aus unserem Dorfe auf und bat ihn, mich Hebräisch zu lehren. Er lachte darüber, lehrte mich die Buchstaben kennen, und das ist so ziemlich alles, was ich von jener Sprache kennen gelernt.

Zur Zeit der Kirchweih aber brannte mein Elternhaus ab, mein Vater erkrankte vor Schreck und starb, ohne mich in die Mysterien seines Glaubens eingeweiht zu haben, ein Glück für mich, denn ich bin dadurch einer Schwärmerei und Phantastik fern gehalten worden, die jedenfalls nicht ohne Anziehungskraft gewesen ist und die ich vielleicht später nur mit Mühe abgeschüttelt hätte. Ein gewisses Interesse aber habe ich, gewiß mit vielen Anderen, denen es an ähnlichen Jugend- und Familienerinnerungen nicht fehlen wird, für jene geheimnißvolle Bewegung immer behalten und weise Sie auf Folgendes hin. Von einstmaligen Frankisten stammen zum Beispiel ab: der gegenwärtig hochstehende Dr. B…r, der Olmützer Advocat Dr. M…h, der Warschauer Advocat D…k Z…i, die Familie P…s-P……m in Prag, W…e in Prag u. v. A. Sollte nicht Einer oder der Andere im Interesse der geschichtlichen Forschung Näheres mitzutheilen wissen?

Lieb wird mir’s sein, wenn Sie meinen Namen und meine Veranlassung noch nicht nennen. Ich habe seit dreiundzwanzig Jahren mit meinen österreichischen Beziehungen vollends gebrochen, und nur einen Freund und Landsmann im fernen Lande unter gegenseitiger Wahrung unseres Incognito gehabt: Charles Sealsfield!“




Schauerliche Nachtruhe. Von einem schlesischen Beamten erhalten wir folgende Mittheilung: „Im Jahre 1864 machte ich den Feldzug gegen Dänemark als Unterofficier mit. Bald nach Erstürmung der Düppeler Schanzen erhielt mein Regiment den Befehl, nach Jütland zu marschiren, wo wir nach vielem Hin- und Herwandern in der Gegend von Aarhuus Cantonnements bezogen. Ich selbst kam mit etwa acht Mann zu einem Bauern und erhielt, wie dies meistens der Fall war, den Aufenthalt für mich und meine Leute in einer Scheuer angewiesen. An dem nämlichen Tage aber feierte einer unserer Cameraden seinen Geburtstag und war galant genug, mich und Andere zu sich in sein Quartier einzuladen, um dort bei einem Spiel und einem Gläschen Schnaps – weiter gab es Nichts – den festlichen Tag zu begehen. Aber die Stunden verschwanden, aus einem Gläschen wurden mehrere und es war schon ziemlich nach Mitternacht, als ich, leider nichts weniger als nüchtern, mich auf den Weg machte, in mein Quartier zu kommen. Nach kurzer Zeit erreichte ich das Gehöfte und fand dort Alles in tiefem Schlummer. In der Meinung, ich sei in der Scheuer, wo ich am Tage selbst mein Lager in einem leerstehenden Futterkasten in Mitte meiner Soldaten bereitet hatte, tappe ich in der Finsterniß herum und greife nach meinem Futterkasten, finde aber darin zum größten Erstaunen Jemanden, der meine Abwesenheit benützt haben mochte, sich statt des Lagers auf nackter Erde eine bequemere Ruhestatt auszuwählen.

Im Gefühle meines Rechts rief ich nach dem frechen Eindringling, erhielt aber keine Antwort; ich schüttelte und rüttelte an ihm – Alles vergebens; endlich, da ich in Folge des genossenen Getränkes, das meine Sinne stark getrübt haben mußte, den in mir aufsteigenden Zorn nicht mehr zu bewältigen wußte, packte ich den Kerl, den ich für einen meiner Leute hielt, und expedirte ihn ohne Weiteres zum Kasten hinaus. Kaum vernahm ich mehr seinen dumpfen Fall und legte mich schlafen. Am nächsten Morgen sind meine Leute natürlich äußerst verwundert, mich nicht in der Scheune zu sehen; sie durchsuchen Alles und treten auch in einen an die Scheune stoßenden Schuppen. Dort allerdings finden sie mich, noch schlafend – aber in einem Sarge und auf dem Boden die Leiche eines alten Mütterchens von einigen siebenzig Jahren. Die gute Frau war, wie wir später erfuhren, den Tag vorher gestorben, und weil die Einquartierung den Raum so beschränkte, hatte man die Leiche hierher gebracht. Schneller, als ich in den Sarg gekommen, war ich aus demselben; meine Leute aber hoben das Mütterchen mit aller Sorgfalt vom Boden und legten es wieder auf das traurige Lager, auf dem ich übrigens besser geschlafen hatte, als vor- oder nachher manchmal im bequemen Bett. Dann eilten wir aus dem Schuppen, nicht ohne uns Stillschweigen angelobt zu haben – denn wir wollten den Leuten im Hause kein Aergerniß geben.“ B. B.     




Erklärung des Kaisers Norton des Ersten. Unser Mitarbeiter Th. Kirchhoff in San Francisco schreibt uns unterm 14. Septbr. von dort: „Unser durch die Gartenlaube (Nr. 32) weltberühmt gewordener Kaiser Norton der Erste erschien am letzten Sonnabend in Parade-Uniform in der hiesigen deutschen Buchhandlung von H. Mendheim u. Comp. und ließ sich meine auf ihn Bezug nehmende Skizze, von der er gehört haben mußte, zeigen und in’s Englische übersetzen. Norton bemerkte, daß es ihn sehr freue, daß man auch in Europa seine kaiserliche Stellung in hervorragenden Journalen bespreche. Der Verfasser des Artikels hätte sich aber einer Ungenauigkeit schuldig gemacht, die er nicht umhin könne, scharf zu tadeln. Sein Titel sei nämlich nicht blos ‚Kaiser der Vereinigten Staaten‘, sondern: ‚Norton der Erste, der Kaiser von den Vereinigten Staaten und Protector von Mexico‘. Er verlange, daß die Gartenlaube diesen Irrthum berichtige. – Da wir nicht beurtheilen können, welche staatliche Verwickelungen sich möglicherweise aus der Nichterfüllung dieser Bitte herausstellen, so kommen wir ehrerbietigst diesem Wunsche Sr. Majestät hiermit nach.

Heute Mittag donnerten zu Ehren des hundertjährigen Geburtstags Humboldt’s Einhundert Kanonenschüsse vom Telegraphenhügel und heute Abend findet ein Banket in der Turnhalle statt. Am nächsten Sonntag wird großer Umzug aller deutschen Vereine mit einer Humboldtbüste durch die Hauptstraßen der Stadt sein und am selbigen Abende zum Schluß der Feier ein Volksfest im City-Garden stattfinden. Die beiden hier erscheinenden täglichen deutschen Zeitungen, ‚California Demokrat‘ und ‚San Francisco Abendpost‘, haben uns heute mit einem Abdruck des schönen Festgedichts von Emil Rittershaus zur Humboldtsfeier in Amerika überrascht. 0Ihr Th. K.“     


Für die Hinterbliebenen der verunglückten Bergleute des Plauenschen Grundes

gingen wieder ein: X. in Belew (Rußland) 5 Thlr. 5 Pf. (6 Rubel); aus Woronesch 4 Thlr. 5 Ngr. 5 Pf. (5 Rubel); M. C. in Wien 2 Thlr. 23 Ngr. 5 Pf. (5 fl. ö. W.); Michael Schuller, evangel. Pfarrer in Arkeden in Siebenbrg. 2 Thlr. 22 Ngr. 5 Pf. (2 Sp.-Thlr.); E. K. in Oberstdorf 2 Thlr.; ein Leser der Gartenlaube in Ingolstadt 1 Thlr.; August H. 1 Thlr.; F. W. durch Wagner’sche Buchh. in Freiburg i. B. 10 Thlr.; C. K. in Berlin 1 Thlr.; A. M. u. L. M 1 Thlr. 15 Ngr.; C. L. Langensalza 1 Thlr.; H. Nelsen in Jerome, Westchester County 25 Thlr.; J. H. 1 Thlr. 15 Ngr.; eine fröhliche Gesellschaft Rendsburger Freihandschützen 9 Thlr. 1 Ngr.; O. D. Bern 27 Ngr. 5 Pf. (3 Fr. 80 C. in Briefmarken); Wittwe G. in Breslau 5 Thlr.; F. in A. 2 Thlr.; C. S. von Leuwen in Woerden 1 Thlr.; J. Priester in Memel 10 Thlr.; beim Erntefest in der Kirchfahrt Osse 4 Thlr. 25 Ngr. 4 Pf.; Ertrag eines Concerts des „Cäcilien-Vereins“ und Vereins „Frohsinn“ in Ludwigshafen 85 Thlr. 21 Ngr. 5 Pf.; Ertrag eines Concerts der Liedertafel in Prettin a. E. 21 Thlr.; Sammlung unter den Mitgliedern des Oedenburger Turn-Feuerwehr-Vereins und Eisenstädter Gesangvereins „Frohsinn“ 11 Thlr.; F. W. F. in Hildesheim 2 Thlr.; Ertrag eines Concerts des Gesangvereins „Concordia“ in Friesack 25 Thlr.; Böhm in Oberlangenstadt 1 Thlr.; von einigen Herren im „Goethezimmer“ in Auerbachs Keller in Leipzig 1 Thlr. 14 Ngr. 4 Pf.; G. S. in Freiburg i. B. durch Buchhdlr. Schmidt 17 Ngr.; Nettoertrag einer theatralischen Vorstellung des geselligen Vereins in Treuenbrietzen 30 Thlr.; N. N. in Neustrelitz 5 Thlr.; Ertrag einer Privatvorstellung in Schwerin 5 Thlr. 10 Ngr.; O. in Hüsten 1 Thlr.; Sammlung in Schmiedeberg i. Schl. durch die Stadt-Haupt-Casse 15 Thlr. 4 Ngr.; Gäste des Hotel de France in Baden durch Emil Siefert 5 Thlr.; fünf Freunde im Alster-Pavillon in Hamburg 5 Thlr.; bei einer Kindtaufe unter unbemittelten, aber willigen Gebern gesammelt 25 Ngr.; A. Simon, Cantor in Rogasen 2 Thlr.; Ertrag eines Vortrags durch B. O. in Gumbinnen 13 Thlr.; Bertha N. in O. 2 Thlr.; Samuel Hartmann in London 3 Thlr.; Fr. G. in Greifswald 1 Thlr.; E. P. in Bitterfeld 1 Thlr.; Kegelclub mit der rothen und weißen Bowle in Neudamm 5 Thlr. 3 Ngr.; Gesangverein in Wüstegiersdorf 6 Thlr.; M. in Hagenow 1 Thlr.; Ertrag einer von jungen Damen veranstalteten Lotterie in Bartenstein 42 Thlr.; gesammelt bei der Fahnenweihe des Männergesangvereins in Bartenstein 5 Thlr. 1 Ngr. 6 Pf.; Nettoertrag einer musik. Abendunterhaltung in Idstein 16 Thlr.; Casino-Gesellschaft und D. u. S. in Winkel im Rheingau 10 Thlr.; Ertrag eines Dilettanten-Concerts in Standenbühl 18 Thlr.; Angestellte u. Arbeiter der Baumwoll-Spinnerei in Holbermoor 70 Thlr.; A. in Rauscha 3 Thlr.; Fräul. E. M. 10 Thlr.; Roscher, Hiese u. Partsch 3 Thlr.; Ertrag eines Concerts des Lilienthaler Gesangvereins 18 Thlr. 23 Ngr. 5 Pf.; in der Schule zu Corbach gesammelt 4 Thlr. 24 Ngr.; C. Schinzel 3 Thlr.; M. Schumacher in Schwarzenfels 1 Thlr.; ein Abonnent in Bregenz 2 Thlr. (Summa sämmtlicher Eingänge: 4309 Thlr. 27 Ngr. 7 Pf.) Die Redaction. 


Inhalt: Jedem das Seine. Von Ad. von Auer. (Fortsetzung.) – Ein Bild ohne Worte. Illustration. – Aus einer alten deutschen Stadt. – Aus vollem Menschenheren. Wissenschaftliche Novellette von A. Bernstein. – Vor den Ruinen eines Kunsttempels. Mit Abbildung. – Blätter und Blüthen: Noch einmal der heilige Herr. – Schauerliche Nachtruhe. – Erklärung des Kaisers Norton des Ersten. – Quittung über neue Eingänge für die Hinterbliebenen der verunglückten Bergleute des Plauenschen Grundes.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1869, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_674.jpg&oldid=- (Version vom 28.10.2022)