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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

mit der Hoffnung auf eine triumphirende Genugthuung erzeugen konnte. Die Herren stimmten mit einem „Bravo“ ein, dem sich eine kleine Ironie beimischte. Als ein Blick aus Fräulein Amaliens Auge dieselbe Bitte ausdrückte, nahm der mit übermüthigem Beifall Begrüßte auf dem erledigten Lehrstuhl Platz, und sein sonst blasses Antlitz mit dem lebhaften Auge und der herrlichen Stirn, von einer flüchtigen Röthe geschmückt, neigte sich freundlich der Zuhörerschaft zu, die sich im Halbkreis um ihn ordnete.

Noch einmal, ehe der Redner begann, klatschte Fräulein Lauras kleines Perpetuum-Mobile lauten Beifall, nachdem sie mit zu merklicher Absicht ihren Stuhl weit von dem des Dr. Schwarzkopf rückte. Die anderen Freundinnen widerstanden dem Zuge des Beifalls nicht und verliehen so der Scene eine höhere Weihe, in welcher der Vortragende mit weicher, aber klangvoller Stimme wie folgt begann:

„Mein Wort soll in der That nur dem Worte gelten. So oft ich im Faust die Scene las, wo der Dichter seinen Helden noch einmal von dem gefährlichen Pact zu dem Grundtext seines heiligen Originals zurückkehren läßt, wandelt mich stets der Gedanke an, daß die von ihm unbemerkte Anwesenheit des Verächters des Menschengeschlechts bereits den Sinn des unglücklichen Faust von der rechten Bahn abgelenkt habe. ‚Im Anfang war das Wort.‘ Das will ihm nicht das Rechte scheinen. Er kann das Wort so hoch unmöglich schätzen. Er meint, es sollte lauten: ‚Im Anfang war die Kraft.‘ Aber auch bei der Kraft mag er nicht stehen bleiben. Ihm hilft der Geist, auf einmal sieht er Rath! Er schreibt getrost: ‚Im Anfang war die That.‘ Das Wort, die Kraft, die That, das dünkt dem im Fallstrick bereits gefesselten Forscher die rechte Steigerung. Ich glaube, mit Unrecht. – Aber wie der große Dichter selber im Wendepunkt zweier Jahrhunderte stand, so charakterisirt auch diese irrthümlich aufgefaßte Steigerung die Wendepunkte unseres forschenden Geistes seit seiner Zeit. Auch in der Wissenschaft war im Anfang das Wort der Kernpunkt des Forschens. Nicht nur das Wort des Glaubens, sondern auch das Wort der Geistesregung, die wir Philosophie nennen. Da trat in gewaltigem Zuge siegreich die physikalische Weltanschauung auf, welche das Geheimniß der Kraft enthüllte und in staunenden Experimenten vor unseren Augen entfaltete. Aber auch hierbei bleiben wir nicht stehen. Die Wissenschaft wurde von der hypothetischen Kraft auf die Thatsache des Stoffes hingetrieben. Wir finden uns jetzt stärker als je auf die reale Ermittelung der thatsächlichen Erscheinungen hingewiesen. Die Devise unserer Forschung ist nunmehr: die That. Gleichwohl dünkt mich, daß darin die rechte Steigerung nicht liege.

Es wäre vermessene Blindheit, wollten wir die That mißachten. Die Beobachtung der thatsächlichen Erscheinungen hat uns in der Astronomie und in der Geologie ein gewaltiges Weltbild aufgerollt von einer ungeahnten Weite und Ferne in Raum und Zeit. Das Studium der unsichtbaren Kräfte der schaffenden Natur erschloß uns das Licht in der sonst unerkannten geheimnißvollsten Werkstatt des Werdens. Wer vor diesen Eroberungen seinen Sinn verschließt, dem bleibt der Sinn verschlossen. – Aber ist es der Menschengeist allein, der die Thatsachen zu sammeln, die Kräfte zu erforschen sucht, so kann ich dem Worte, dieser höchsten Eigenschaft der menschlichen Begabung, eine untergeordnete Stellung doch nicht anweisen. Die That spricht zu unserem Verstande, der sie zu combiniren, die Kraft zu unserer Vernunft, die ihre geheimen Räthsel zu enthüllen sucht; aber das Wort richtet sich an unsere Seele, die allein in der großen Natur eines Verständnisses und einer vernünftigen Auffassung des Weltbildes außer uns fähig ist. Versetzen wir uns in eine Natur, der noch die Menschenseele fehlt, so fehlt auch der Mittelpunkt, der die Thatsachen einigt, und der Brennpunkt, der der Kräfte Spiel zum Verständniß bringt. Fehlt die Menschenseele, die der einzige Sitz einer Erkenntniß ist, so fehlt dem Weltbilde der Einklang des Verständnisses und die Harmonie der Gesetze erforschenden Vernunft.

Ist aber das Wort die Brücke von Geist zu Geist, von Seele zu Seele, welche zur Erkenntniß und zum Verständniß des einen Menschen zu dem andern führt, so möchte ich des Dichters ‚Wort vom Wort‘ doch als das richtige nicht betrachten. Ich möchte statt des seinen sagen: ‚Ich kann das Wort zu hoch nie schätzen.‘ Wenn dies stets mir so erschien, so hat mich die Stunde unseres heutigen Beisammenseins hierin ganz besonders bestärkt. Welch’ spannende Macht des Wortes haben wir so eben im scherzenden Spiel der Rede wahrgenommen! - Wie wußte der Mann der That“ - der Redner blickte auf den Zoologen - „durch sein leichtes Wort die Geister zu fesseln, um die Thatsachen, die er erforscht, in scheinbaren Einklang mit Glaubensworten zu setzen! – Welch’ anderer Leitung als der des Wortes bediente sich der Mann“ – er blickte auf den Physiker – „der die Kräfte der Natur zu seinem Studium macht, um eine neue Telegraphie, die vieler materieller Leitungen bedarf, vor Ihrer Seele entstehen zu lassen! Und gar im Vortrage des letzten Redners, der all’ unser Empfinden zu einer Höhe so zu spannen und zu erregen wußte, daß er im kühnen Griff in die Saiten unserer Seele wie auf einem Instrumente spielte, war es das Wort und nur das Wort, das über uns seine Urthat, seine Urkraft erwiesen. Darum erfaßt mich nicht Kleinmuth, wenn ich mit meiner Wissenschaft und ihrer bescheidenen Stellung vor den gewaltigen Fortschritten stehe, welche der beobachtende Geist im Gebiete der That errungen, darum fühle ich mich nicht entmuthigt, wenn ich die Eroberungen des Geistes betrachte, der die Kräfte der Natur aus ihrer geheimnißvollen Hülle an’s Licht unserer Erenntniß zieht. Ich fühle nur, daß ich, nach That und Kraft der Menschenseele forschend, vor einem höheren Probleme stehe. Darum wenden wir uns wohl auch oft von dem unendlichen Gebiet der Thatsachen des Stoffes und von den scharfsinnigen Combinationen des Ineinanderwirkens der Kräfte in stiller Stunde dem Worte großer Dichter zu, die das höchste der Probleme, die Menschenseele in ihrem Wollen und Empfinden, vor uns enthüllen. Denn überwältigt uns die Fülle der Thatsachen in der Natur und spannt der Einklang ihrer Kräfte unseren Geist zu kühnen Combinationen, so empfängt die Seele ihre tiefere Harmonie doch immer noch im Problem der Probleme, im liebevollen Wort aus vollem Menschenherzen.“

Der Redner verbeugte sich leicht vor seiner Zuhörerschaft und erhob sich, begrüßt von einem Beifall der Damen, an dem der Protest gegen alle anderen Sprecher nur einen kleinen Antheil hatte. Und nicht bloß der alte Professor, der ihm in aufrichtigem Dank die Hand schüttelte, sondern auch die anderen Zuhörer, wenn auch weniger überzeugt, zollten dem redlichen Collegen, dessen Wahrheitsstreben sie achteten, ihren Beifall und suchten sich dadurch wieder in Harmonie mit den Zuhörerinnen zu setzen, die selbst der Dr. Schwarzkopf als Repräsentantinnen des Seelenlebens zu verehren versicherte.

So begab sich denn, als eben die Sonne unterging und die Milde des Abends zur Promenade im Garten einlud, die Gesellschaft aus dem Gartensaal hinaus. Nur Fräulein Amalie machte sich daselbst noch mit der eingetretenen alten Hausdienerin am Tisch zu schaffen, wo die Gesellschaft einen leichten Imbiß zum Abend einnehmen sollte. Der Professor schritt mit dem Psychologen in freundlichem Gespräch vor dem Gartensaal auf und nieder. Die Freundinnen eilten mit einiger Ostentation, um der Herrengesellschaft zu entgehen, in gemeinsamer Gruppe voran, denn Fräulein Laura mußte ihnen eine zu interessante Prophezeiung darlegen, die in den wenigen Worten bestand. „Ich verwette meinen Kopf darauf, daß sie sich noch heute verloben!“

„O,“ rief Fräulein Anna, wenn auch nicht überrascht, so doch lebhaft aus, „so hat er auch die Professur!“

„Sie entgeht ihm jedenfalls nicht,“ versetzte Fräulein Florentine, „und daß er dann um sie anhält, ist ein allbekanntes Geheimniß.“

Inzwischen nahten die Herren in gemeinsamer Gruppe, der man nicht gut mehr ausweichen konnte. Fräulein Laura drückte nur noch heimlich beiden Freundinnen mit dem Finger auf dem Munde das Gelöbniß des tiefsten Schweigens aus, das diese mit feierlichem Blick auch ihrerseits bestätigten. Als die Freunde nahe genug waren, bekamen sie nur das ungetheilte Lob des Psychologen zu hören, der allein der edlen und höheren Wissenschaft obliege.

Unter freiem Himmel, so schien es, sollte sich die Discussion erneuern, die im Saale keineswegs zum Abschluß gebracht war. Allein der Eifer der zum Zwiegespräch sich gestaltenden Debatte führte unerwartet zu einer Trennung in Paaren. Der Zoologe und Fräulein Anna, die stattlichsten Gestalten der heutigen Gäste, waren so vertieft im Streite, daß sie einen Seitenweg einschlugen,

ohne zu merken, daß die Anderen ihnen nicht dahin folgten. Auch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 685. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_685.jpg&oldid=- (Version vom 19.12.2022)