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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

dem Physiker begegnete es, daß Fräulein Florentine gar ernstliche Fragen an ihn wegen des Problems der Fern-Malerei zu richten hatte, und er belehrte sie gern in einem eigenen Cursus vor dem kleinen Teich, der den schönen Abendhimmel widerspiegelte. So mußte sich denn auch Fräulein Laura in das Schicksal fügen, allein und ohne thätige Nachhülfe der Freundinnen vor der Rosenhecke dem Dr. Schwarzkopf zu beweisen, daß er unverbesserlich sei, wenn heute die herrliche Rede des Psychologen nicht sein allem Edlen abgewendetes Gemüth gebessert habe. Auf des „Unverbesserlichen“ Geständniß, daß nur eine kleine verbessernde Hand im Stande sei, dies Wunderwerk zu vollbringen, streckte sie wieder beide Händchen abwehrend gegen ihn aus – ob zu seinem Heil? das wissen wir nicht anzugeben.

Inzwischen war auch Amalie aus dem Gartenhause getreten. Der Vater ging ihr entgegen, strich ihr mit liebevoller Hand über ihre glühende Wange und schritt gedankenvoll dem Weingang, seiner Lieblings-Promenade, zu. Der Psychologe blieb allein mit ihr.

„Ich wollte,“ sagte er leise, „mich bei Ihnen nur entschuldigen, wegen meines späten Erscheinens. Ich hatte einen wichtigen Gang, den ich nicht aufschieben konnte. – Ich mußte zu einer Audienz.“

„Ich ahnte es,“ fiel sie pochenden Herzens ein.

„Sie ahnten es?“ rief er lebhaft aus. „Sie ahnten es, o, so ahnten Sie wohl auch, daß sie einen erfreulichen Ausgang hatte?“

„Ich ahnte es,“ sagte sie bewegt und senkte den Blick zu Boden.

Es entstand eine Pause, in der Beide langsam dahin schritten. Wohin? Sie wußten’s nicht. Ihm, der dem Worte eben ein beredtes Lob gesprochen, fehlte es jetzt. Er fühlte lebhafter als bei seinem Vortrage, daß wohl auch dem Worte eine Kraft vorangehen müsse, wenn es eine That einleiten sollte.

Endlich, als sie aufblickte und ihm ihr ahnungsvolles, glühendes Antlitz halb zuwendete, da faßte es ihn, eine That und Kraft zugleich. „So ahnt,“ sprach er bebend, „so ahnt dieses Herz auch den heißesten meiner Wünsche?“ –

Er sah den Busen wogen, die Wangen einen Augenblick erbleichen und dann in flammender Röthe strahlen. Er fühlte das Herz, seines, ihres, pochen, und sah in ihrem Auge, das sie senkte, das Zeugniß tiefster Seelenregung aufsteigen, und – nicht mehr Herr des Wortes – hauchte er leise die Bitte hin: „O sprich!“

Was war’s, das in die Eine, Eine Silbe das Geheimniß zweier Herzen legte?

Es war ein Wort aus vollem Menschenherzen! – Seine zitternde Hand streckte sich Verzeihung flehend nach ihr aus. Die ihrige legte sich bebend in die seine – und in dem Einen Händedruck, der Alles, Alles sagte, war Wort und Kraft und That in zwei Seelen zu Eins geworden.




Der Abendtisch im Gartensaale vereinigte die Gesellschaft in heiterer Stimmung wieder. Es ordneten sich die Paare wie zufällig. Nur der Professor am oberen Ende des Tisches saß einsam und blickte wehmuthvoll in die Zeit zurück, wo er vor Jahren, an der Seite seiner Unvergessenen, ganz dasselbe erlebte, was er ahnend auch an seinem Kinde zu entdecken glaubte. In alter guter Sitte, die er auch nach dem Austritt aus dem Consistorium hoch hielt, sprach er vor dem Mahle mit milder Stimme:

„Es segne der Herr Alle, die in seiner Liebe wandeln! Er speise uns mit dem Brode seines Geistes! und lasse leuchten sein Licht in jedem Herzen, in dem da lebt und wirkt ein liebevolles Wort aus vollem Menschenherzen!“

Ein Händepaar drückte sich heimlich ein stilles „Amen“ zu.




Aus der Wandermappe der Gartenlaube.

Nr. 5.0 Guggisberg und seine Hochgebornen.

Noch immer giebt es romantische Thäler und lauschige Winkel in der Schweiz, die seitwärts vom Stromgebiet der Touristen liegen, die kaum der Fuß eines fremden Wanderers betreten – Erdflecken, die sich ihres stillen Glückes, ihres Alleinseins, ihrer ungestörten Häuslichkeit erfreuen.

Wohl wahr, an Großartigkeit landschaftlicher Schönheit können solche Thäler sich nicht allemal mit denen des Berner Oberlandes oder des Engadins messen. Dafür aber liegt über ihnen, wie über einem Urwalde, der Reiz der Jungfräulichkeit ausgebreitet und unter ihren Bewohnern finden wir noch jene unverfälschten Originale, jene ausgeprägten Charaktere und uralten Sitten, Sprachen und Trachten, die sich nur in abgeschlossenen, sich selbst überlassenen Gemeinwesen erhalten. Eine solche verborgene Insel ist das bernerische Bergdorf Guggisberg.

Das Dorf Guggisberg.
Nach der Natur aufgenommen von E. Rittmayer.

Nicht nur den Touristen, selbst den Schweizern ist das alte Cucansperc fast unbekannt, und aus eigener Anschauung kennen nur Wenige das „Schneewittchen über den Bergen“ – das hoch und in einem vergessenen Winkel gelegene, von Bergen und wilden Bergströmen wie eine Festung umschlossene Dorf, das höchste des ganzen bernerischen Amtes Schwarzenburg.

Das Dorf Schwarzenburg ist mit der Stadt Bern durch eine gute Poststraße verbunden, deren Endstation es bildet. Wer Guggisberg besuchen will, kann Schwarzenburg, das sich überdies einiger recht guter Gasthäuser rühmt, kaum umgehen, weshalb wir es auch zum Ausgangspunkt unserer Wanderung gewählt haben. Die Entfernung von Schwarzenburg bis Guggisberg beträgt kaum zwei Stunden; von Postverbindung ist aber keine Rede mehr, dafür ist die Straße zu holprig und „stritbar“ (steil). Wer also nicht zu Fuß wandern will, mag eines jener leichten federlosen Fuhrwerke besteigen, die unter dem Namen Bernerwägelchen in ganz Deutschland bekannt sind.

Da doch Niemand aus unserm Leserkreise diesen Artikel als Wegweiser auf seine Alpenreise mitnehmen wird, so unterlassen wir auch die Wegschilderung und begrüßen sofort im Angesicht des Guggershorns, und nachdem wir 3500 Fuß über Meer angelangt sind, unser Reiseziel und ein vielversprechendes Gasthaus dazu. Guggisberg, das scheinbar kleine Dörfchen mit der weißen Kirche, an das ehrwürdige Guggershorn angelehnt, rings von Hügelland mit üppigen Weiden umgeben (siehe Abbildung), gewährt sofort ein freundliches Bild. Bescheiden genug sieht es

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verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1869, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_686.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2024)