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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

freilich aus, da es fast nur aus der Kirche, dem Pfarr- und Wirthshaus und einigen Wohngebäuden besteht, so daß man über die Größe der Kirche erstaunt wäre, wenn man nicht wüßte, daß die Pfarrgemeinde Guggisberg aus zwanzig Dörfern und Weilern mit 5600 Seelen besteht, die rings zerstreut sind und die an Sonntagen ihre Einwohner nach jener Kirche ergießen. Es ist ein einziges, wirklich rührendes Schauspiel, an einem Sonntagmorgen im Sommer, wenn die Glocken zum Gottesdienste einladen, auf dem Friedhofe zu stehen und die Ankunft der Beter zu erwarten. Aus weiter Ferne, von Berg und Thal, kommt Jung und Alt herbeigeströmt in Feierkleidern, und jene alte, im Aussterben begriffene Frauentracht, die man an Wochentagen nicht mehr zu sehen bekommt, erscheint dann noch bei alten Matronen, während die Jugend sie schon längst abgelegt und die schmuckere und weniger excentrische Landestracht des Unterlandes angenommen hat.

Am Sonntagmorgen in Guggigsberg.
Nach der Natur aufgenommen von E. Rittmayer.

An einem solchen sonnigen Sonntagmorgen ist denn auch das schöne Bild Rittmayer’s entstanden, das wir den Lesern der Gartenlaube vorführen und das uns den Charakter und die Physiognomie von Guggisberg und seinen Bewohnern mit sprechender Treue wiedergiebt. Möge es der geneigte Leser in guter Erinnerung behalten, es sind Reliquien einer alten Zeit in der Tracht der Menschen und im Baustyl der Häuser, die es uns vorführt, und wer in zwanzig Jahren auf jenem Kirchhof steht, wird umsonst nach den ernsten Matronen aus dem vorigen Jahrhundert und den noch viel älteren Holzpalästen sich umsehen. Die Neuzeit nivellirt auch hier oben, beide werden zu Grabe gegangen sein!

Die charakteristische Männertracht besteht seit Jahrzehnten nicht mehr, sie war weder bequem noch malerisch. Kniehosen mit Schnallen, Schnallenschuhe, lange rothe Weste, langer Rock mit großen Schößen und ein breitrandiger aufgekrempter Filzhut. Die Träger dieser auffallenden Kleidung wurden, wenn sie das Weichbild ihrer Heimath verließen, nicht selten verhöhnt. Jetzt haben die Männer des Guggisberg an Schnitt und Stoff dieselbe Kleidung, wie sie die Landleute im Canton Bern allgemein tragen.

Die Frauen trugen ursprünglich einen kleinen flachen, mit Perlschnüren geschmückten Strohhut, unter dem die offen getragenen Zöpfe mit langherabwallenden Zopfbändern herunterhingen. Später wurde das dunkelfarbige seidene Kopftuch angenommen, das über dem Nacken geknüpft wird und dessen Schleifen herunter hängen. Es kam erst zu Anfang dieses Jahrhunderts auf, die alte Dame auf unserm Bilde trägt es auch noch und es findet auch bei

jüngern Mädchen und Frauen wegen seiner Bequemlichkeit Gnade.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_687.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2022)