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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Die übrige Tracht: der kurze, nur bis zum Knie reichende, enge und faltenreiche Rock (Jeppe), die glänzende, fast einem Bergmannsschurze ähnliche, über den Leib gespannte und hinten mit einer Schnalle befestigte Schürze und die unförmliche Jacke (Tschöppli) mit den flügelförmigen Ansätzen, die weißen Strümpfe und weit ausgeschnittenen Schuhe, welche das Bild vervollständigen, zeigt die Illustration mit der Treue eiues Modenbildes. Irren wir nicht, so hat die Frauentracht in Sachsen-Altenburg viel Aehnliches mit dieser aussterbenden Guggisberger Frauentracht; nordische Reisende fanden sie dagegen gewissen Landestrachten in Norwegen ähnelnd.

Wiewohl Guggisberg einer jener abgelegenen Erdenwinkel ist, wo nach dem Schweizersprüchwort „Füchse und Hasen sich gute Nacht wünschen“, so bildet es doch den Mittelpunkt, von dem aus eine Reihe von Ausflügen und Bergbesteigungen sich ausführen lassen. Nach Westen führt die Straße in den Canton Freiburg nach einem malerischen Bergsee, Lac noir, an dem ein berühmtes Schwefelbad liegt; im Oberamt selbst liegt das nicht minder bekannte Bad Schwefelberg, nicht weit jenseits der Grenze der viel fashionablere Gurnigel. Die Aussicht, die wir von dem viertausenddreihundert Fuß hohen Gipfel des Guggershorns genießen, vergilt reichlich die darauf verwandte Mühe. Zunächst zu unsern Füßen breitet sich das Guggisberger Ländchen im Schmucke seiner reichen Wiesen und Weidegründe, seiner Wälder und Kornfelder aus. Darüber hinaus schweift der Blick über die schweizerische Hochebene hin, die Bergkette des Jura, das Rebland von Neuenburg, die Cantone Freiburg und Waadt und einen Theil des Bernerischen Tiefthales, die Seen von Murten, Biel und Neuenburg. Von der Süd- und Ostseite ist der Horizont von der Stockhornkette und ihren Ausläufern begrenzt, hinter welchen sich verstohlen einige Firnen erheben. Auf den nächstliegenden Bergen weiden zahllose Schafheerden, die von Hirten den Sommer hindurch gehütet werden, bis der Futtermangel sie im Herbst in die Thäler treibt.

Das Leben dieser Schäfer ist ein wildromantisches, fern von allem Umgang mit menschlichen Wesen verleben sie bei kärglicher Nahrung und ungenügender Kleidung den ganzen Sommer fast ausschließlich im Freien, nur bei rauhem Ungewitter Schutz unter elenden steinernen Hütten suchend. Ihr Dasein ist von Gefahren umgeben; oft müssen sie Tage lang einem verlorenen oder verstiegenen Lamm nachspüren, um es dann, wenn es sich gefunden, mit Lebensgefahr über Felsen und Trümmer zur Heerde zurückzutragen. Diese wettergebräunten Söhne der Berge sind bei alledem ein munteres, lebensfrohes Völklein und sehen ruhigen Blickes jeder Gefahr in die Augen. An schwindligen Abgründen, wo auch der geübte Bergsteiger nur behutsam auftritt, sieht man sie stehen, mit weit ausgeholtem Peitschenschwung das Echo der Berge wecken, einen im Thale unten vorüberziehenden Wanderer begrüßen oder mit melodischem Jodeln von Grat zu Grat dem Cameraden den Morgen- und Abendgruß zujauchzen. Die von ihnen bewachten Schafheerden sind nicht ihr Eigenthum, sondern das anvertraute Gut verschiedener Thalbewohner. Am ersten Donnerstag im Monate September werden diese Heerden alle in’s Thal getrieben und haben in dem sonst unbedeutenden, aber durch seine großartigen Schafmessen berühmten Weiler Ryffenmatt ihr Stelldichein. Dort empfangen die Hirten von den verschiedenen Eigenthümern ihren Jahreslohn, dort findet auch das „Scheiden“ der Schafe statt. Ein. wahres Volksfest gestaltet sich an diesem Tage in Ryffenmatt; viele Tausende von Schafen strömen herbei, Hunderte von Eigenthümern, Kauflustigen und Neugierigen aus dem „Land herauf“ drängen sich hinzu.

Jedes Haus wird dann zu einer vorübergehenden Schenke oder Herberge. Jede einzelne Heerde wird in ihre bestimmte Hürde getrieben, und kaum sind die vier- bis sechshundert Stücke eingeschlossen, so dringen auch die Eigenthümer hinein. Nun geht es an ein Suchen und Finden, Prüfen und Wiedererkennen, Betrachten, Anbinden und Herausführen, daß man kaum weiß, wohin sich seine Blicke wenden. In zwei bis drei Minuten ist die ganze Heerde gesichtet und getheilt, ohne daß dabei viel Worte gewechselt werden. Auch an tragischen Scenen fehlt es oft nicht; nicht alle Thiere finden sich vor, das eine und andere ist den Unbildem der Witterung oder den tückischen Abgründen zum Opfer gefallen, und manch’ ein Bübchen vergießt heiße Thränen, wenn ihm statt des Lieblings-„Lämmschi“, das er in Empfang nehmen wollte, nur dessen Todtenschein: ein paar abgeschnittene Ohren oder das hölzerne Täfelchen mit der Nummer, das es am Halse zu tragen pflegte, gereicht wird.

Das Aeußere eines Guggisberger Hauses zeigt das Figurenbild unseres Künstlers in charakteristischer Weise. Ein einziger Blick verräth uns, daß es zwar auch von Holz, aber in seiner Bauart von den Chalets des Berner Oberlandes und Siebenthales ganz verschieden ist. Groß, an Länge und Breite von gewaltigen Dimensionen, ist es nur ein Stockwerk hoch, während das eigentliche Chalet hierin bekanntlich sich von einem steinernen Hause nicht unterscheidet. Ueber dem ernsten, sehr schrägen, einen stumpfen Winkel bildenden Dache, das mit Schindeln bedeckt und mit großen Lattnägeln und centnerschweren Steinen beschwert ist, erhebt sich nur wenig der hölzerne Rauchfang mit seiner gleichfalls hölzernen Schnee-, Sturm- und Regenhaube, die von der Küche aus ab- und zugedeckt werden kann. Gegen Südwesten, woher fast alle Gewitter kommen, reicht das Dach fast auf die Erde hinunter. Die Fenster sind mit kleinen, runden oder vieleckigen und in Blei gefaßten Scheiben versehen. Von außen sind die Wohnräume der Menschen mit reichen, schön symmetrisch geschichteten Holzvorräthen umgeben, während vor dem Stalle der nicht minder sorgfältig ausgebaute Düngerhaufen der Maßstab für den Viehstand, mithin Reichthum des Besitzers ist. – Jedes echte alte Haus in Guggisberg trägt über den Fenstern einen Spruch als Wahrzeichen, der entweder religiösen Inhaltes ist, zum Beispiel:

Gott lasse dieses Haus in Seinem Schutze sein,
Er segne jedermann, der hier geht aus und ein.
Sein großer Allmachtsarm soll Feu’r und Wasser wehren,
Und gnädig wende ab, was immer kann zerstören.
Und wann das irdisch’ Haus an unsrer Hüllen bricht,
So schenk uns einen Bau von Dir selbst zugericht.

oder mehr eine Lebensregel der Klugheit enthält:

Siehe Du in den Spiegel bald,
Wie Du Dir selbst gefallst,
Ehe Du einem anderen Mann
Sein Gebrechen zeigist an.
 Brandelen Wagner.

Nicht jedem nächsten besten Neugierigen ist es verstattet, auch das Innere eines Guggisberger Hauses zu betreten. Wir aber sind eingeführt und von dem freundlichen Hausbesitzer und der rothwangigen jungen Frau dringend eingeladen. Treten wir also ein, aber ja recht demüthig, mit gebücktem Haupte, damit dasselbe nicht unsanft mit der obern Schwelle der Hausthür und an der Wohnstube nicht mit dem „Unterzug“, dem die Decke stützenden Querbalken, in Berührung komme. Hier fällt uns denn beim ersten Blicke eine Reinlichkeit und Zierlichkeit auf, wie sie das runzlige wettergebräunte Dach gar nicht erwarten ließ. Längs der krystallhellen Fenster, die täglich gewaschen oder mit einem in Kirschgeist getauchten Lappen abgerieben werden, laufen der Wand nach die hölzernen Bänke, welche die Stelle der Divans vertreten, blank gescheuert. In der Ecke steht ein mächtiger Tisch aus Hartholz, oft mit reich geschnitzten oder gedrechselten Beinen, und rings um denselben an den Wänden stecken in besonderen „Rygeln“ die runden Blechlöffel. Dort aber hinter der blendend weißen, von der Decke bis zum Fußboden reichenden Leinengardine steht das riesige, hochaufgethürmte Ehebett, welches mit seinem ungeheuern Gestelle, mit seiner Bettwäsche und dem Ueberfluß von Flaum ein kleines Vermögen repräsentirt und mit Recht der Stolz jeder Guggisberger Frau ist.

Während wir in der geräumigen Wohnstube uns umgesehen haben, hat ein dienender Geist uns im „Hinterstüble“ ein Frühstück bereitet. Das neben dem Wohnzimmer gelegene Hinterstüble ist das Allerheiligste des Hauses, wo nur der Eingeweihte Zutritt hat. Dort ist der einfache Schreibtisch des Hausvaters mit dem Rechnungsbuch und dem Geldfach, dort bringen die erwachsenen Töchter den Sonntag-Nachmittag zu, und die Dienstboten haben nur dann Zutritt, wenn es sich um eine Strafpredigt unter vier Augen oder um einen neuen Vertrag handelt; dort endlich werden auch angesehene Besuche empfangen und bewirthet. Ein reiner Tisch ist mit Landesproducten bedeckt: mit einer Flasche Kirschgeist, Brod, Honig, Käse, „Ziger“ und einer Flasche Wein. Laß Dich nicht zu sehr nöthigen, die vorgesetzte Speise ist nicht blos

Schaubrod, und je größere Stücke Brod und Käse Du „wegsprengst“,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 688. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_688.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2022)