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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

kann, ist die Jugend dahin. Bah, ich kann Hagestolz werden und studire schon jetzt an Freund Lindemann, wie der Philister sich geriren muß.“ Er lachte bitter.

„Du mußt ein reiches Mädchen heirathen,“ sagte die Tante lauernd.

„Die ich liebe, ist aber arm,“ entgegnete er.

„Du bist auch wohl zu stolz, Deine äußere Lage Deiner Frau verdanken zu wollen.“

„Wenn man liebt, wo bleibt da der Stolz!“ sagte er innig. „Liebe löscht jeden Funken von Eigennutz aus, nur der kalte Egoist berechnet. Ich würde nie ein Mädchen heirathen, weil es reich ist, aber hindern sollte mich der Reichthum nicht. Was hat er zu bedeuten? Er ist Mittel zum Zweck, er ebnet den Weg zum Ziel, das Ziel selbst schwebt so hoch darüber, wie der Himmel über der Erde.“

„Hast Du nie daran gedacht, daß ich die Mädchen reich machen kann?“ fragte die Tante.

„Daran gedacht wohl, aber immer wieder den Gedanken weit fortgeschoben,“ gestand Clemens in seiner unwiderstehlich treuherzigen Weise, die so wie die tiefste Wahrheit klang. „Hasso ist ja doch der Erbe von Gülzenow und es wäre wider alle Familienpietät und Tradition gehandelt, ihm das Gut zu geben ohne die Mittel, es zu erhalten. Sollte es in fremde Hände kommen? Hasso muß, und mit Recht, auf Berücksichtigung rechnen. Tante, das ist nur so meine und der Welt Meinung,“ setzte er begütigend hinzu, als die Tante nach dem Haubenband griff. „Hasso hat nie ein Wort darüber gesagt.“

„Zu mir wenigstens nicht; was er mit Ursula spricht, weiß ich nicht; doch lassen wir das jetzt,“ erwiderte sie. „Du närrischer Mensch! Weißt also wirklich nicht, welche Du am meisten liebst? Ei, wenn nun Liddy reich wäre und Elly arm?“

„Dann Elly!“ rief Clemens. „O, ich fühl’s, dann nur sie!“

Die Tante sah ihn wohlgefällig an.

„Nein, es soll aber Liddy sein. Elly hat den Leberfleck, an der Andern ist kein Fehler. Hörst Du? Liddy! Du hast gesagt, Du weißt nicht, welche Du liebst. Es kommt mir zwar curios vor, aber die Mädchen sind einander so gleich, es läßt sich denken. Also Liddy.

„Tante!“ stammelte Clemens.

„Ich werde Dein Fürsprecher sein, und daß Du sie heirathen kannst, dafür werde ich sorgen. Ich glaube, Du bist uneigennützig, ich weiß es. O, wenn man einmal betrogen ist, lernt man wohl seine Leute kennen. Du hast Dir wahrhaftig nie Mühe gegeben, mir zu gefallen, deshalb bist Du mir schnell lieb geworden.“

„O Tante!“ war wieder nur Alles, was Clemens hervorstammeln konnte.

„Es ist gar nicht die Rede davon, daß ich den beiden kleinen Dingern mein Geld hinterlassen wollte,“ fuhr sie immer in derselben polternden Weise, wenn auch in Rücksicht auf den Ort, an dem sie sich befanden, mit gedämpfter Stimme fort. „Gar nicht die Rede davon. Ich wollte sie nicht zu Erbinnen machen, es kommt nicht viel Glück dabei heraus. Jetzt, jetzt freilich könnte ich’s ohne Gefahr thun.“

„Tante, halte das, wie Du willst. Gott erhalte Dich uns noch lange. Du bist die Schöpferin meines Glückes“ – Rührung erstickte seine Stimme.

Er erhob sich schnell, trat in den geschlossenen Kreis des Cotillons und forderte Liddy zu einer Extratour auf. Er flog mit ihr durch den Saal. Sein starker Arm umschloß ihre zarte Taille, seine Hand hielt die ihre krampfhaft fest. Als er sie auf ihren Platz geleitet, einen langen innigen Blick auf sie warf und wortlos den Saal verließ, fragte sie sich ängstlich: „Mein Gott, was war ihm? Weshalb sah er mich so an? Warum tanzte er nicht auch mit Elly?“



Die jungen Mädchen waren am nächsten Morgen sehr früh auf, obgleich die Reise erst um neun Uhr angetreten werden sollte. Sie warteten mit dem Frühstück auf die Tante. Ursula und Rose saßen schon am Kaffeetisch und neckten die Schwestern, daß sie so wenig vom Ball zu erzählen wußten.

„Das ist die Reisefreude, sie sind schon in Gülzenow,“ scherzte Rose, aber Ursula schüttelte bedenklich den Kopf, als wollte sie sagen: „das ist es nicht, leider, leider ist es das nicht.“

Die Schwestern hatten Rose’s Neckerei nicht gehört, ahnten nichts von Ursula’s Bedenken, sie standen mit verschlungenen Armen am Fenster und blickten in den grünwerdenden Kastanienbaum vor dem Hause, in dem die Spatzen ihre Freude über den vegangenen Winter auszwitscherten. Da trat die Tante eifrig ein. Ihr Geheimnis hatte sie die ganze Nacht geplagt und gedrückt. Sie hatte vor Herzklopfen nicht schlafen können, hatte die ganze Nacht in Gedanken Verlobung und Hochzeit gefeiert, ihr Testament entworfen, geändert und wieder entworfen. Sie war unruhig und liebte Gemüthsaufregung doch gar nicht. Sie trat mit dem Entschluß ein, Liddy ihr Glück mitzutheilen, sie noch vor der Abreise mit Clemens zu verloben, und rieb sich still vergnügt die Hände in dem Gedanken, daß er ihnen dann schnell genug nach Gülzenow folgen würde. Tausend verschiedenartige Pläne durchkreuzten ihren Kopf. In dieser Stimmung trat sie in’s Frühstückszimmer.

„Liddy, mein Kind, komm her,“ sagte sie zu dieser, nachdem der allgemeine Morgengruß ausgetauscht war, „ich habe Dir was Gutes mitzutheilen. Es schadet wohl nichts, wenn’s die Anderen hören, auch Dorn mag drin bleiben, es wird es ja bald die ganze Stadt wissen. Wir werden bald eine kleine Braut im Hause haben und das wirst Du sein, Clemens bittet um Deine Hand. So, nun ist’s ’raus, Gottlob! Laß Dich küssen und Dir Glück wünschen.“

Liddy war leichenblaß geworden. Auf Rosens Lippen schwebte ein Ausruf tödtlichen Schreckes. Ursula war fast nicht minder erschrocken, nur in Elly’s Augen leuchtete ein heller Freudenstrahl.

„Nun?“ wiederholte die Tante und sah Liddy erwartungsvoll an.

„Nein, ich werde ihn nicht heirathen,“ entgegnete diese mit jetzt hocherglühenden Wangen, „ich werde gar nicht heirathen, ich will mich nicht von Elly trennen.“

„Dummes Ding, was hindert Dich mit ihr zusammen zu bleiben? Clemens geht nicht mit Dir aus der Welt. Du wirst sie täglich sehen, und wenn ich todt bin, kann sie in Deinem Hause leben.“

„O nein, nein, das würde sie nicht wollen – nicht können,“ entgegnete Liddy ganz leise.

„Warum nicht, Liddy?“ sagte Elly und umschlang die Schwester herzlich. „Ich werde sehr glücklich sein, wenn Du es bist, ich könnte mir nichts Schöneres denken, als Zeugin Deines Glückes zu sein. Weise Clemens nicht ab. Mache ihn nicht unglücklich. Das verdient er nicht, und Du hast ihn ja auch lieb!“

„Elly hat Recht. Sie ist viel vernünftiger als Du, wozu die Ziererei!“ brauste die Tante auf.

„Ich kann nicht sagen, warum ich ihn nicht heirathen will,“ sagte Liddy, preßte die gefalteten Hände an ihre Brust und sah hülfeflehend die Tante an. „Ach, wenn er doch um Elly geworben hätte, wie glücklich würde ich sein! Er hat Elly so lieb, wie fiel es ihm nur ein, meine Hand zu wollen?“

„Es ist ihm nicht eingefallen, ich habe es so bestimmt,“ platzte die Tante heraus. „Er ist gerade ein solcher Affe wie Ihr, er liebt Euch Beide und weiß nicht, welche am meisten. Da habe ich Liddy bestimmt, und er war’s zufrieden, und dabei bleibt es.“

„Er weiß nicht, welche er liebt? Das weiß er nicht? Tante, dann liebt er Keine von uns, Keine,“ sagte Liddy mit größter Bestimmtheit, und Elly setzte hinzu:

„Ein Bruder kann seine Schwestern gleich lieben, Clemens liebt uns nur wie ein Bruder.“

Eine schwere Last fiel von Rosens Herzen.

„Ihr drolligen Dinger nehmt das viel zu wichtig,“ meinte die Tante, halb und halb geärgert durch den unerwarteten Widerstand. „Diese feinen Nuancen sind alle Unsinn. Man liebt oder man liebt nicht, einen andern Unterschied giebt es nicht.“

„Aber, Tante!“ sagte Liddy.

„Grünschnabel!“ fuhr die Tante sie an.

„Wenn man nicht weiß, wen man liebt, liebt man nicht,“ erklärte Elly.

„Was Ihr klug seid, auf einmal!“ höhnte die Tante.

Rose hörte dem Gespräch mit größter Spannung zu. Wenn die Tante Liddy das Jawort entpreßte, was sollte sie thun?

Warnen? Ihre ganze Seele sträubte sich dagegen und doch – „Wir haben unsern Beschluß gefaßt, Keine von uns heirathet Clemens,“ sagte Liddy.

„Nein, Keine von uns,“ setzte Elly hinzu.

„Wir heirathen überhaupt nicht,“ versetzten sie Beide.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 693. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_693.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)