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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


No. 45.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Jedem das Seine.
Von Ad. von Auer.
(Fortsetzung.)


Ein paar Wochen vergingen schnell. Durch die sonst so stillen Räume hallten jugendliche Schritte und junge Stimmen sangen mit den Vögeln draußen um die Wette. Die Schnepfe zog und sie zog Hasso mit dem Jäger in den Wald, den schönen stillen Wald voll Feiertagsruhe und Frühlingsandacht. Auf den Feldern regte sich Leben, Frühlingsthätigkeit und Arbeit. Hasso war überall dabei und behielt doch noch Zeit genug für die Stunden am Kaffee- und Theetisch der Tante und die tausend Anforderungen der jungen Mädchen, die seine Begleitung bei den Streifereien durch Feld und Wald wünschten.

Welch ein anderes Leben und Treiben war doch auf einmal über den stillen Ort gekommen! Helle Gewänder leuchteten durch die dunklen Hecken des Gartens, freundliche junge Gesichter blickten in die Hütten des Dorfes und woben das Band wieder fest, das die lange Abwesenheit der Herrschaft gelöst und zerrissen.

Joseph vollends war glücklich, die jungen Herrschaften so herangewachsen zu sehen, und sprach seine Hoffnung aus, sie möchten bleiben, nun immer bleiben.

„Es geht hier gar zu bunt zu, es ist eine Sünde und Schande, wie die gnädige Frau betrogen wird“ – aber Hasso legte ihm Stillschweigen auf.

„Wir wollen jetzt nicht darüber sprechen,“ sagte er, „es lohnt nicht anzuklagen, wen man nicht überführen kann. Ich bin jetzt nur Gast hier, gebe Gott, daß ich’s durchsetze, bald etwas Anderes hier zu sein.“

„Herr?“ fragte Joseph entzückt.

„Nicht doch, meiner Tante Verwalter,“ entgegnete Hasso.

Die leichte Herzenswunde der Schwestern heilte und der Frühling streute Blüthen über die Narbe. Von Rosens Stirn wich das Nachdenken, das Clemens’ Werbung und der kleine Frühlingssturm, den sie bei den Zwillingsschwestern erregte, hervorgerufen, es war Alles wieder Harmonie, Friede, Glück und Frühlings- wie Lebensfreude. Aber nicht alle Blüthen, die der Lenz hervorruft, reifen zur Frucht, zahllose streift der Wind von den Zweigen, und der Wind ist da und Sturm geworden, noch ehe die vom Glück Berauschten die erste Wolke am Horizont gewahrten.

Ursula saß in ihrer Stube. Der altväterliche Schreibtisch des Urgroßvaters, den Tante Rosine ihr zur Benutzung zugewiesen, war mit Papieren und Büchern bedeckt, letztere aus der Bibliothek, die Ursula’s strebsamem denkendem Geist manchen Schatz in alterthümlichem Einband und auf vergilbten Blättern offenbart hatte. Die Schubkästen des Tisches enthielten Familienpapiere, Briefe während des siebenjährigen Krieges geschrieben, Cabinetsordres des großen Königs, kurz manches der Aufbewahrung werthe Document, manchen Beitrag zur Geschichte der Vergangenheit, wenn auch nur der Familiengeschichte der Fuchse. Dergleichen Fäden sind doch immer Fäden aus dem Gewebe des Weltganzen und der Geist versucht zusammenzufügen, was die Zeit in scheinbar zerstörender Laune verändert und verwandelt.

Tante Rosine hatte dem Mädchen die Einsicht in die Papiere erlaubt. Sie war guter Laune und kam den Wünschen Ursula’s zuvor. Sie neckte sie sogar mit ihrer Passion für alte Chroniken, nannte sie einen Actenwurm und meinte, es wäre ihr überdies lieb, wenn der alte Kram geordnet und das Werthlose verbrannt würde.

Ursula war ganz vertieft in ihre Arbeit. Nur manchmal warf sie einen Blick durch die weit offenstehenden Fensterflügel nach dem Lindenbogengang, in dem Hasso und Rose lustwandelten. Seit sie in Gülzenow waren, erschien Rose mit jedem Tage frischer, lebensfroher, und manches kleine Bedenken, das im Herzen der besorgten Ursula aufgestiegen, schwand wieder und machte fröhlichen Hoffnungen Platz, nicht minder lebhaft und warm empfunden, weil sie sich nicht an ihr, weil sie sich an Hasso’s Glück anknüpften. Vom Saale her tönten Liddy’s und Elly’s Stimmen in anmuthigem Zwiegesang. Sie empfand mehr die Musik, als daß sie darauf hörte. Sie fühlte nur ihre Seele getragen weit über die Vergangenheit hinweg, in deren zerstreuten, abgerissenen Ueberbleibseln sie kramte. Aber dann schwieg auf einmal die Musik. Ein Wagen war vor das Portal gerollt, ein Herr ausgestiegen, es war Clemens. Wenige Minuten darauf stand er im Zimmer der Tante. „Ich konnte es nicht aushalten, ich bangte mich zu sehr und da bin ich!“ rief er aus.

„Gerade recht, Goldjunge, Du hast uns nur noch gefehlt!“ begrüßte ihn Tante Rosine.

Elly und Liddy boten ihm erröthend die Hand.

„Mit Erlaubniß, Cousinchen,“ sagte er und küßte sie frischweg auf die rosigen Lippen.

Ursula entfaltete eben einen sorgfältig zusammengelegten Bogen, der, nach dem auf demselben verzeichneten Datum und der Ueberschrift

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 707. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_707.jpg&oldid=- (Version vom 26.5.2020)