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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

aber nur um Ursula mitzutheilen, daß die Herren zur Nacht bleiben würden, und Hasso zu ersuchen, die Honneurs des Hauses zu machen. Das war keine so leichte Aufgabe, und obgleich es dem Rechtsanwalt und seinem Begleiter nicht an gewandter Weltbildung fehlte, die auch Clemens in hohem Grade besaß, wenn er sie geltend machen wollte, und die bei allen Uebrigen durch eine glückliche Unbefangenheit ersetzt wurde, so war doch die schwüle Stimmung nicht ganz zu bemustern, und selbst der singende Theekessel und die Flammen des Kamins, die trotz der Frühlingsluft draußen in den hohen gewölbten Räumen noch kaum entbehrt werden konnten, lockten die geflüchteten Geister harmloser Laune nicht herbei.

In dem Zimmer der Tante unterbrach Dore das Stillschweigen. „Ich kann mir denken, was Sie gethan haben,“ sagte sie. „Hat es Ihnen Ruhe gegeben?“

„Nein,“ fuhr die Dame sie an.

„Dann ist’s nicht richtig damit, sonst würden Sie Ruhe haben. Wenn man sein Haus bestellt hat, hindert keine Sorge das Einschlafen, wenn auch der Schlaf noch lange nicht kommt. Hier bleibt er hoffentlich auch noch lange weg.“ Die Alte sprach mit gedämpftem Ton und über das harte runzelige Gesicht flogen Schatten der Wehmuth. Frau von Fuchs sah es und wurde gerührt.

„Ich habe Dich nicht vergessen, alte Seele,“ sagte sie weich.

„Ach was, an mir ist nichts gelegen,“ brummte Dore.

„Ja, ich weiß, Du bist uneigennützig, Du lauerst nicht auf meinen Tod.“ -

„Wer thut’s?“ fragte Dore heftig.

„Der, der seine Seele für Reichthum einsetzen möchte, aber immer so that, als sei die Welt ein Urwald und sein höchstes Vergnügen, sich mit der Art einen Weg hindurch zu bahnen. Sie, die nicht ruhte, bis sie unter dem alten Kram wirklich das Papier gefunden, von dem die Leute immer behaupteten, es sei da, was ich nie glauben wollte. Diese Beiden, die es so sehr hierherzog nach dem alten Eulennest; nun mag der Hasso sehen, wie er damit fertig wird. Eine Mißernte, die unvermuthete Kündigung einer Hypothek, und er kann sehen, was er mit der Verschreibung des Großvaters ausrichten wird. Er bekommt keinen Groschen von mir, nicht einen Pfennig mehr, als meines Vaters Worte für ihn bewirkt haben.“

„So werden’s also Elly und Liddy haben?“ fragte Dore.

Die Tante schüttelte heftig den Kopf. „Sie stehen nicht zu mir, sie stehen zu den Geschwistern. Was Diese trifft, mag auch sie treffen.“

„Nun, so hol’ mich der …,“ polterte Dore heraus. „Sie werden doch nicht den Herrn Referendarius zum Erben eingesetzt haben?“

„Was geht’s Dich an, was hast Du dagegen?“ fragte Rosine

„Der Herr Referendarius, der nicht wußte, was sonst jeder Christenmensch mit fünf Sinnen wissen muß, welches von den hübschen Kindern er lieben sollte, nur weil er’s in jedem Fall der Frau Tante recht machen und Gunst und Erbschaft sicher haben wollte –“

„Boshafte Auslegung!“ unterbrach sie die Tante.

„Der Herr Referendarius,“ fuhr Dore fort, „dem der vorsichtige Herr Lindemann die dreitausend Thaler nicht eher pumpt, als bis die Verlobungsanzeige in den Schuldschein gewickelt werden kann –“

„Was redest Du da? Was hast Du Dir für Unsinn aufbinden lassen?“ unterbrach sie abermals die Tante und abermals fuhr Dore in derselben Weise fort:

„Der Herr Referendarius, von dem der grobe Witz stammt, daß, wenn der verstorbene Herr Major nicht ein solches Weib gewesen wären, die gnädige Frau nicht ein solcher Kerl sein würden –“

„Wann, wo hat er das gesagt? Woher weißt Du diese Impertinenz?“

„Die noch dazu hinkt,“ fuhr Dore fort, „denn ein paar forsche Redensarten wie: geh zum Henker oder hol Dich der Teufel, machen noch den Mann nicht aus, höchstens ein Mannweib, das zwar schimpfen und sich rühmen kann, sich aber doch durch eine glatte Zunge übertölpeln läßt.“

„Dore, aus dem Zimmer, aus dem Dienst!“ schrie die Tante sie an. „Ich habe genug von Deiner Grobheit!“

Dore strickte ruhig fort.

„Wann, wo hat er das gesagt, woher hast Du es erfahren?“ fuhr die Dame heftig fort.

„Na, wozu ist denn die Klatscherei in der Welt?“ meinte Dore naiv; „und wenn solcher Herr sich nicht scheut, solche Reden an offener Wirthstafel zu führen, himmlischer Gott, da giebt’s Ohren genug, die ’s hören, und Zungen genug, da es weiter tragen. Das vom Herrn Lindemann steht hier, und ich muß es nur gestehen, ich habe das Billet gestohlen, für alle Fälle, man kann nicht wissen!“ fuhr Dore fort und holte aus ihrem Strickbeutel ein zusammengefaltetes Papier hervor und gab es Rosinen. „Was ist er so nachlässig und kramt seine Brieftasche auf dem Tisch aus, wenn er solche Dinge drin hat! Ich fand’s beim Staubwischen und guckte hinein und dachte, das könnte am Ende die Grube werden, in die er selber hineinfällt, wenn er sie für Andere fertig gegraben.“

Während sie so fortschwatzte, hatte Frau von Fuchs das Billet gelesen.

„Also auch er falsch!“ sagte sie tonlos. „Natürlich, er ist ja auch mit mir verwandt.“

„Auch er falsch? Nur er!“ verbesserte Dore, aber Rosine hörte nicht darauf.

„Dore, ich werde Dich zur Erbin einsetzen,“ fuhr die Dame auf einmal aus ihrem Sinnen auf

„Thun Sie’s, dann ist’s dem Hasso sicher,“ sagte Dore unbesonnen.

„Ihr seid Alle wie verhext. Der Hasso, der Hasso! Das ist Dein und Leo’s und auch des Clemens drittes Wort. Alte, er ist doch nicht falsch. Hättest Du gehört, wie er für Hasso sprach –“

„Der Schlaukopf!“ sagte Dore indignirt. „Er sprach für den Hasso, und Sie? Sie sagten: ‚Nun gerade nicht.‘ Sehen Sie, das ist ja Ihr Narrenseil, an dem Sie Jeder herumführen kann, der unehrlich genug ist, Sie daran anzufassen.“

Die Dame sah sie groß an. War ihr die Wahrheit von Dorens Worten einleuchtend? Sie seufzte auf.

„So hol’ Euch Alle der Henker!“ fluchte sie und setzte dann, leise zwischen den Lippen murmelnd, hinzu: „Das erste beste Waisenkind wird gut sein zu meinem Erben, was kümmere ich mich um die ganze Sippschaft!“

Und wieder verfiel sie in tiefes Sinnen und ihre Züge nahmen eine Schlaffheit an, die Doren beängstigte.

„Sie reißt die Mütze nicht ab,“ sagte Dore und sah sie mit besorgtem Kopfschütteln an, da plötzlich weckte ein süßer melodischer Laut Frau von Fuchs aus ihrem Nachdenken.

Ein glücklicher Impuls hatte Rose getrieben an’s Clavier zu gehen und ein Lied zu beginnen. Drinnen im Gesellschaftssaal war die Stimmung so schwül, auf die Tante, wußte sie, wirkte Musik allemal wohlthätig, und ihre Seele schmachtete nach der Harmonie der Töne. Sie stimmte eines jener lieblichen Schlummerlieder an, die nicht nur unruhige Kinder in den Schlaf zu lullen, die auch eine unruhige Seele mit ihrer einfachen, anmuthigen Melodie zu beschwichtigen vermögen.


(Schluß folgt.)



Ein gerettetes Bild.

Eine freudige Ueberraschung bot der Abend des zehnten November 1868 den Mitgliedern des Schillervereines in Leipzig, die, wie seit 1840, wo Robert Blum, Gustav Kühne, Karl Beck, Robert Friese, Ed. Burckhardt u. A.. den ersten Anstoß dazu gaben alljährlich, zur Feier des Geburtstags ihres Dichters in den Sälen des Hotel de Pologne versammelt waren.

Nach bewährtem Herkommen zerfällt eine solche Schillervereins-Feier in zwei Theile: einige durch Schiller’sche Poesie, die Kunst der Musik und die Festrede irgend eines namhaften deutschen Gelehrten verherrlichte Stunden, und dann den geselligen und geistigen Genuß einer Festtafel.

Der erste Theil war vorüber, die Festrede des Professor

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_710.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)