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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Pfarrhofe regte sich nichts; dafür waren aber die Finken und Meisen in den Wipfeln schon desto lauter, hoch darüber hinaus trillerten unsichtbare Lerchen und vom Kirchendach verkündete ein munterer Staar mit lustigem Kreischen und fröhlichem Flügelschlagen, welch’ herrlichen Platz in einem hohlen Lindenaste er für sein Nest und seine Brut aufgefunden. Allerdings war auch schon ein menschliches Wesen zugegen, aber es hielt sich tief im Grunde der Kirche verborgen: ein altes Mütterchen aus dem nahen Dorfe, das sich schon so zeitig eingefunden, weil es bei seiner hülflosen Gebrechlichkeit das Gedränge fürchtete und sich unter dem Chore den gewohnten lieben und guten Platz sichern wollte, von wo man Kanzel und Altar zugleich übersehen konnte.

„Geh’ jetzt,“ sagte der Bauer zu Wendel, „ich will in die Kirche hinein – fahr’ indessen mit den Schimmeln eine Strecke auf dem Waldweg’ hinaus, damit sie langsam verdampfen von dem schnellen Fahren ... in einer halben Stund’ kommst Du wieder, aber nicht eher – das sag’ ich Dir! Könntest auch indessen in’s Dorf hinein zum Schmied und die Achs’ aufschweißen lassen. ...“

Wendel zögerte. „Der Wagen halt’t wohl,“ sagte er, „wenn aber der Schmied darüber kommt, kann’s leicht ein paar Stunden dauern, Ihr müßtet dann warten und am Ende gar zu Fuß gehn ... es ist gescheider, Ihr laßt mich da bleiben; den Schimmeln schadet’s nicht, sie haben sich kaum warm gelaufen und ist ihnen kein Härl’ naß geworden – ich will sie derweil drüben am Zaun anbinden, dann bin ich doch in der Näh’ und könnt’ Euch helfen, wenn Ihr mich etwa braucht ...“

„Ich brauch’ Dich nicht,“ eiferte der Bauer, „Dich nicht und niemand Andern nicht! Ich wüßt’ nicht, bei was Du mir helfen solltest, und wenn’s wär’, Du, der mir Alles zuwider thut, Du wärst der Letzte, von dem ich mir helfen ließ!“

„Das ist mir leid, Feichtenbauer,“ sagte Wendel und sah ihn mit seinen dunklen Augen so recht treuherzig an, „mein Wille ist das gewiß nicht, und wenn ich nur wüßt’ wie, ich wollt’ Euch gern zeigen, daß ich nit dran denk’, Euch zuwider zu sein. ... Und was das Helfen anlangt, so bild’ ich mir halt ein, Ihr seid da hergefahren wegen Euren kranken Händen! Wenn die jetzt auch besser geworden sind, das weiß man ja doch, daß Ihr noch alleweil nit recht allein zurecht kommt, also wär’ es ja doch nit unmöglich, daß ich Euch behülflich sein könnt’! ...“

„Nichts, nichts!“ rief der Bauer abwehrend. „Ich will allein sein – mach’, daß Du weiter kommst!“

„Na – wenn Ihr’s durchaus wollt, so muß ich wohl gehn,“ entgegnete Wendel bedenklich, „aber wundern darf’s Euch nit, Feichtenbauer, wenn ich’s nit begreifen kann! Wenn Ihr Euch doch einmal verlobt habt, warum muß denn das so ein Geheimniß sein, daß Ihr da sein müßt, eh’ noch die Wallfahrer kommen, und daß kein Mensch dabei sein darf? Das sieht ja schier aus, als wenn Ihr Euch schämen thätet mit Eurer Verlobniß?“

„Mach’ daß Du mir aus den Augen kommst!“ schrie der Bauer in aufgebrachtem Tone und so laut, daß die Alte in der Kirche aufhorchte und nach der Ursache des Lärmens herauslugte. „Geh’ Deinen Weg und merk’ Dir’s, ich kann’s nicht leiden, wenn mir Eins immer darein red’t und Alles besser wissen will! Kreuz-Birnbaum – scher’ Dich einmal zum Teufel und schau mir auf die Schimmel, daß keiner verschlagt ... Du kannst mir’s doch nicht bezahlen von Deinem Liedlohn, Du Bergler-Nothnickel, Du sprecherischer!“

Wieder hatte Wendel mit seinem heiß aufsteigenden Unmuth zu kämpfen, aber es war, als ob eine unsichtbare Macht das schon auf der Lippe schwebende Wort gebannt hielt, und langsam lenkte er das Gespann in ein Feldsträßchen hinein, von den Blicken des Alten begleitet, bis ihn eine Hecke verbarg.

Der Feichtenbauer sah noch einmal nach allen Seiten um sich und schritt dann der Kirche zu.

Diese war ein sonderbares Gebäude, in jener Zeit, in welcher alles Unnatürliche und Verschnörkelte für schön galt, statt einer Capelle, die für den Zudrang der Andächtigen zu klein geworden, in der Art erbaut, daß sie diese, die unversehrt stehen geblieben, umgab und einschloß wie die Schale den Kern oder ein größeres Gehäuse das darin eingeschachtelte kleinere. In diesem innersten Heiligthum, dessen durchbrochene Kuppel Engelgestalten umschwebten, stand auf einem reich verzierten Altar, von einem Strahlenkranze umgeben, das Marienbild, von dessen Wundern sich der fromme Wahn in jeder Noth den Trost erwartete und für jedes Gebrechen die Heilung. Um die Kirche zogen sich niedrige gemauerte Gänge hin, an deren Wandflächen, von ländlichen Künstlerhänden gemalt, die Geschichten all’ der Ereignisse dargestellt waren, wo Dieser oder Jener dankbar verkündete, daß die gehoffte Hülfe ihm wirklich zu Theil geworden und die angerufene Heilige für ihn ein Wunder gewirkt habe, sei es nun, daß sie ihn aus Räubershand, oder Schlachtgefahr, oder Wassersnoth gerettet, oder seine Habe bewahrt hatte vor Feuer, Gewitter und Hagelschlag. Einer frischen Quelle, die, durch ein Göpelwerk getrieben, ihre Fluth in ein kleines Steinbecken ergoß, war zudem die Kraft zugeschrieben, ähnliche Wunder zu thun, und an den Wänden verkündeten bunt gemalte Schilder und Inschriften die Namen aller Uebel und Krankheiten, gegen welche derjenige sich auf Jahr und Tag verwahren konnte, der den an einem Kettlein hängenden eisernen Schöpflöffel füllte und austrank.

In dem einen der Gänge aber lehnte ein großes Kreuz, aus starken unbehauenen Balken zusammengefügt, der Sage nach an Gestalt und Gewicht jenem von Golgatha vollkommen gleich; und wer dies Kreuz auf die Schultern nahm und um die Kirche zog, dem war besondere Gnade verheißen und die Erfüllung seiner wichtigsten und geheimsten Anliegen.

Nach dem Orte, wo das Kreuz sich befand, richtete der Feichtenbauer seinen Schritt, in der Gluth der Schmerzen, die den Winter über ihn in den Händen gemartert, hatte er das Gelübde gemacht, wenn er davon befreit würde, das Kreuz auf die Schulter zu laden und um die Kirche zu ziehn. Das Uebel hatte sich, wenn auch nicht verloren, doch beträchtlich gemildert, so daß er Hände und Finger wieder etwas gebrauchen konnte; darum trieb ihn jetzt sein Gewissen, das Gelübde zu erfüllen. Am Dreifaltigkeits-Sonntage hatte er das Kreuz zu ziehen versprochen, weil an diesem ein Hauptfest in der Kirche gefeiert wurde; jetzt war er wirklich an diesem Tage da, aber zu so früher Stunde, daß er sicher darauf zählen durfte, keinen Zeugen seines Unternehmens zu haben. Mit den Schmerzen hatte auch sein frommer Eifer sich abgekühlt, und so hatte er bei sich ausgeklügelt, daß er sein Versprechen doch erfülle, wenn es nur an diesem Tage geschehe, denn daß er das Kreuz vor den versammelten Wallfahrern ziehen wolle, das hatte er keineswegs ausdrücklich gelobt – Wendel hatte ganz recht vermuthet, er wollte nicht verspottet sein, und dann, gewiß wußte er ja doch nicht, ob ihm das Gelübde geholfen oder die Salben des Baders und das Hanfwerg, womit er ihm die Hände umwickelt hatte. Dennoch trieb ihn die Furcht, daß in Folge seiner Untreue die erbetene Hülfe sich nachträglich in Strafe verwandeln könne, und so maß er bedenklichen Blicks das schwere Kreuz und die daran befindlichen Eindrücke und Spuren, welche zeigten, wie oft und eifrig dasselbe schon getragen worden war. Dann bückte er sich und lud es auf seine Schultern, was ihm als einem kräftigen, früher arbeitgewohnten Mann nicht besonders schwer ankam, obwohl er sich hart that, das Holz mit den immerhin noch ungelenken Armen und Händen in der rechten Lage zu erhalten. Langsam, ein halblautes Gebet murmelnd, trat er mit seiner Last in’s Freie; er war aber nicht zwanzig Schritte weit gekommen, als er an seiner nachlassenden Kraft erkannte, daß die Krankheit nicht allein in den Händen gelegen, sondern einen tieferen Sitz gehabt haben mochte; das Kreuz lastete mit einer Riesenwucht auf ihm, die mit jedem Schritt sich zu verdoppeln schien, und bald vermochte er kaum mehr sich aufrecht zu erhalten. Dennoch raffte er sich zusammen; die einbrechenden Kniee spannten sich noch einmal und er schleppte seine Bürde noch einige Schritte vorwärts. Jetzt aber kam eine neue lösende Schwäche über ihn, die Kanten der Balken schnitten ihm auf der Schulter ein wie eine glühend gewordene Schneide, der Schweiß begann ihm über die Stirn zu träufeln und vor den Augen flirrte es ihm wie durcheinanderwogende Nebel. Mit einer letzten Anstrengung brachte er das Kreuz noch um einen Ruck vorwärts, dann vermochten seine schwachen Arme und Hände nicht mehr, das Marterholz im Gleichgewicht zu halten, dröhnend fiel es zu Boden und der Träger stürzte bewußtlos unweit desselben zusammen.

Er war jedoch kaum zur Erde gekommen, als schon ein paar kräftige Arme bereit waren, ihn wieder aufzurichten; trotz des strengen Verbots hatte Wendel das Gespann in der Nähe am Zaun angebunden und war herbeigekommen, um seinem Herrn, von dessen Vorhaben er eine Ahnung haben mochte, im Falle der

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