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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

des Kellers ist gänzlich schmucklos, und entspricht völlig dem dreizehnten Jahrhundert, in dessen Mitte seine Erbauung aller Wahrscheinlichkeit nach fällt. Wenigstens lagerten schon 1289 mehr als eintausendeinhundert Ohm Wein in demselben, der Privaten gehörte, abgesehen von dem, der Eigenthum des Rathes war.

Der ursprüngliche Zweck des Kellers ist unschwer zu erkennen. Die Verwaltung einer Stadt hatte im Mittelalter in vielen Beziehungen Aehnlichkeit mit der Verwaltung eines großen Hauswesens, und der Rath, welcher die auswärtigen Angelegenheiten leitete, Recht sprach und Verordnungen erließ, mußte sich auch der Sorge für den Haushalt unterziehen.

War dieser – und die Pflicht hierfür lag hauptsächlich den „Kämmereiherren“ ob – in allen andern Beziehungen wohl geordnet und eingerichtet, so durfte auch gewiß ein guter Weinkeller nicht fehlen. Der Rath bedurfte des Weines für seine Gäste, für Fürsten und vornehme Herren, für Gesandte und Abgeordnete befreundeter Städte, die häufig in der Hansahauptstadt anwesend waren. Dann aber war eine Weinhandlung auch das beste Mittel zur Erhaltung eines guten Einvernehmens mit den benachbarten Höfen, welche einen großen Einfluß auf die Sicherheit des Handels ausüben konnten und einen guten Trunk wohl zu schätzen, sich denselben aber nicht so leicht zu verschaffen wußten, wie die reiche Handelsstadt durch ihre weit verzweigten Verbindungen. Ueberdies unterlag der damalige Weinhandel einer strengen obrigkeitlichen Aufsicht; es wurde vorzugsweise darauf gesehen, daß die Käufer richtiges Maß und gute unverfälschte Waare erhielten. Um dies nun schneller überwachen zu können, war es wünschenswerth, allen Wein an einem Orte gelagert zu halten, weshalb denn auch schon in den ältesten Zeiten befohlen wurde, sämmtllche Weine, welche die Kaufleute einführten, in den Rathskeller zu bringen und sie dort unter Aufsicht bearbeiten zu lassen.

Fünfundzwanzig Stufen führen in die beliebten unterirdischen Räume und deren einfach schöne Wölbungen, die sich auf viereckige, kurze und derbe Pfeiler stützen. In dem sogenannten „langen“ Keller aber, der sich unter den Goldschmiedsbuden bis zur „Wage“ erstreckt, bestehen die Gewölbe aus schönen gothischen Spitzbogen, mit sauber gegliederten Rippen, deren Schlußsteine die Form eines Dreiecks bilden. Die Mittelpfeiler jedoch sind theils viereckig und von Granit, theils achteckig und aus Formsteinen aufgemauert und lassen darnach auf ein jüngeres Alter schließen. Zwischen diesen Wölbungen lagern hohe, riesengroße, reich mit schöner Holzschnitzerei versehene Fässer, voll köstlichem zweihundertjährigen Rheinwein, Tokayer, Johannisberger, Markobrunner Ausstich, Liebfrauenmilch, Steinwein etc., mächtige Schlagschatten über die weiten rohsteinernen Hallen werfend, in denen dem Herzen große Erinnerungen entströmen und wo man die nüchterne Gegenwart vergißt, da Alles von Poesie und Rheinwein funkelt.

In jener Zeit freilich, wo alle Weine, sowohl „Bastert“ wie „Malvasier“, in der Herren Weinkeller gehörten, und dieser noch unter der Aufsicht zweier Rathsherren, Weinherren (de Wynmestere) genannt, stand, das Kellerpersonal einen Hauptmann und vier Gesellen, einen Faßbinder, einen Schreiber und zwei Weinzapfer zählte, mag sein Lager allerdings einen imposanteren Eindruck gemacht haben als jetzt, allein die innere Einrichtung und Umrahmung dieser gemüthlichen und eigenthümlichen Räume sind doch bis heute dieselben geblieben und wohl werth, daß wir sie etwas näher betrachten.

Wir treten an die Eichenplanke, „Admiralstisch“ genannt. Dieser Tisch soll Marx Maier’s Lieblingssitz gewesen sein, an dem er beim blinkenden Römer mit seinem Freunde Jürgen Wullenweber manche Pläne und Entschlüsse für die Zukunft gefaßt. Es war eine große Zeit für Lübeck, als diese beiden Männer in ihr lebten, eine Zeit, die schwerlich je wiederkehrt. Ich weiß nicht wie es kommt, aber jedes Mal, wenn ich mich der Eichenbohle nähere, glaube ich dort beide Männer zu erblicken, und unwillkürlich drängen sich Geibel’s Worte auf meine Lippen:

Der Eine saß, geschmückt nach alter Art,
Mit Sammetschaube, Kraus’ und Kette,
Umschlossen Wang’ und Kinn vom blonden Bart,
Die mächt’ge Stirn beschattet vom Barette.
Das blaue Auge zuckt in scharfem Glühn,
Als hing ein Weltgeschick an seinem Winken –
So saß er da, gebeugt und dennoch kühn,
Und starrt’ in seines Römers Blinken.
Der Andre stand, die Hand an Schwertes Knauf,
Riesig, vom Haupt zum Fuß in blankem Erze.
Wie Blut an seinem Panzer spielt herauf
Der rothe Flackerschein der Kerze.
Ein wild und rauh’ Gesicht! Ich spürt’ es bald,
Hier war die Faust – dort das Ersinnen.
Da, murmelnd, wie der Wind durch Herbstlaub wallt,
Hört’ ich des Ersten Worte rinnen.

Auch an die „Rose“ und die „Linde“ knüpfen sich, obgleich beide Zimmer nur aus weißen, übertünchten Wölbungen bestehen, ebenfalls Erinnerungen aus dem Mittelalter, indem in ihnen damals die Patricier und Kaufleute verkehrten; jene in der Rose, diese in der Linde. Die alten lübischen Chroniken erzählen einstimmig, daß um die Fastnacht die älteren Paricier in feierlicher Procession paarweise, unter klingendem Spiel und mit brennenden Fackeln in den Rathskeller gezogen sind, wo sie einen Rundgang gehalten, sich darauf in der „Rose“ niedergelassen und bei offenen Thüren die mit gutem Rheinwein gefüllten Becher fleißig geleert und dabei gesungen, gescherzt und gelacht haben über die Späße der in ihrem Solde stehenden Narren. Die Mitglieder der Kaufleute-Compagnie folgten unmittelbar den „Zirkelbrüdern“ (Patriciern) in den Rathskeller und begaben sich in die „Linde“, wo sie gleichfalls bis tief in die Nacht hinein zechten und dann wieder in der Ordnung, in welcher sie gekommen, ihrem Compagniehause zueilten. Nur Kranke und Bettlägerige durften sich von diesen Kellerbesuchen ausschließen.

Dies Beispiel, von den ersten Ständen gegeben, wurde, wie sich leicht denken läßt, von den unteren Ständen nachgeahmt, wodurch in dem Keller während der drei Fastnachtstage das lauteste Leben hervorgerufen wurde. Das Gedränge war dann derartig, daß die umfassendsten Maßregeln zur Aufrechthaltung der Ordnung ergriffen werden mußten. Man verbot, mit ungewöhnlichen Waffen (Kolben und Streithammer) zu kommen. Der Degen ließ sich damals bei dem Bürger ebenso wenig verbieten, als das Erscheinen der Frauen, weshalb sich der Markgraf Albrecht von Meißen über das Letztere (1478) bitter beschwerte und von dem Rathe verlangte, den „Frauenzimmern“ den Besuch des Rathskellers zu versagen. Allein was half’s? Alle Chroniken theilen in ironischer Weise mit, daß das Verbot, das wirklich erfolgte, gar nicht befolgt wurde, woraus wir schließen, daß man schon damals in Lübeck für Gesellschaften ebenso geneigt gewesen, als es in der Jetztzeit der Fall ist. Ja, wenn es nicht eine Sage ist, so sollen die lübischen Junker sogar nicht angestanden haben, in diesen Räumen die sogenannten „Brautköste“ zu feiern und zwar in derselben Zelle, die noch jetzt das Brautgemach heißt und wo noch heutigen Tages der alterthümliche sehenswerthe „Kamin“ steht, der nebst Hahn und Henne und anderen Verzierungen folgende plattdeutsche Inschrift führt:

Mannig man lude (laut) singet,
Wen man em de Brut bringet,
Wuste he, wat man em brochte,
Dath he wohl wenen mochte.

Wollen wir jedoch ganz von dieser Sage absehen, so zeigt diese Inschrift doch jedenfalls auf gesellige Freuden hin, die vorzugsweise in diesem Gemache abgehalten wurden und zwar seit dem Jahre 1575, in welches die Erbauung des Kamins fällt. Nach dem Wappen zu schließen, gehörten die Erbauer dem patricischen Geschlechte derer von Stiten an.

Nicht selten wurde die schon so freudige Stimmung im Rathskeller durch Musik noch erhöht, welche außer den fahrenden Musikanten die „Spielleute“ des Rathes, aus acht Personen bestehend, unter dem „Spielgraven“ (Musikdirector) aufführten: vier von ihnen bliesen die Trompete, die andern vier schlugen die Pauken. Sollte die Musik jedoch vollständig sein, so wurden noch ein Geiger, ein Pfeifer, ein Lauten- und ein Trommelschläger hinzugenommen.

Ueber die Verhältnisse des Weinhändlers und Weinkellers geben mehrere Documente Aufschlüsse. Die älteste dieser „Ordnungen“ stammt aus der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts und enthält im Wesentlichen Folgendes: Wein, der zu Schiff an die Stadt kommt, darf ohne Weiteres ist den Keller gebracht werden, doch ist eine Untersuchung durch die Weinherren und Erlaubnis derselben erforderlich, wenn er verkauft werden soll. Wein dagegen, welcher zu Wagen hereinkommt, darf nur bis an den Keller gebracht werden und ist erst eine besondere Erlaubniß der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_728.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)