Seite:Die Gartenlaube (1869) 729.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Weinherren nöthig, um ihn hinunter zu bringen, welche diese erst geben, nachdem sie ihn untersucht haben. Für jedes Faß Wein, das im Keller lagert, es sei klein oder groß, es liege kürzere oder längeres Zeit, werden sechsundzwanzig Pfennige Miethe bezahlt, vierundzwanzig an die Weinherren und zwei an den Kellerhauptmann. Wenn der Wein verkauft wird, ist eine Abgabe von sechszehn Pfennigen unter dem Namen Tappegelt (Zapfgeld) zu entrichten, acht an die Weinherren, acht an den Hauptmann. Auch fremde Kaufleute, Gäste, dürfen Wein im Rathskeller haben. Alle Weine stehen unter Aufsicht des Hauptmanns. Damit die einzelnen Parteien gesondert bleiben, werden an jedes Faß zwei Schlösser gelegt, eins von dem Eigenthümer und eins von dem Hauptmann. Wenn ein Faß Wein von den Weinherren, zum Verkauf für geeignet erklärt ist, so muß der Eigenthümer entweder es innerhalb dreier Tage nach auswärts senden, oder, wenn er es hier verkaufen will, so muß er sofort damit beginnen und darf, bis es leer ist, kein anderes anstechen, aber auch nicht dasselbe wieder auffüllen, um den Inhalt zu vermehren.

Bisweilen bediente sich der Rath des Kellers selbst, um darin vornehme Gäste zu bewirthen; dies that er auch unter Anderen im Jahre 1518, als der Herzog Friedrich von Holstein in Lübeck seine Hochzeit mit der Tochter des Herzogs von Pommern feierte.

Alljährlich jedoch, wenigstens im sechszehnten Jahrhundert, veranstalteten die Bürgermeister, Kämmereiherren und Weinherren Mahlzeiten in der „Linde“, an denen jedoch nicht immer der ganze Rath theilnahm.

Zu diesen Gastereien hatte der Hauptmann des Kellers die Tafellaken und Handtücher, die Silberkannen und Silberschalen, die Hasen und Kapaunen zu liefern, während er an Martini dafür zu sorgen hatte, daß die Bürgermeister, die Rathsmitglieder, die Kämmereiherren etc. ihre richtige Gans erhielten, wozu sich unter Umständen je nach dem Range noch ein Schwan gesellte.

Ein allgemeines Volksfest war die Ankunft des ersten frischen Weines. Wem Gott „die Gnade“ gab, den ersten frischen Wein an den Rathskeller zu bringen, erhielt von den „Herren“ die Erlaubnis ein Faß stübchenweise verkaufen zu dürfen, „acht Tage langs, so dür as he will“. – Diese Ankunft des ersten Weines beschreibt der alte lübische Chronikenschreiber Heinrich Rehbein auf folgende Weise: „Anno 1609 im Nevembri habe ich das allererst gesehen, so vor hundert oder zweihundert Jahren zu Lübeck Brauch gewesen ist. Nemlich, wenn um Martini oder bald hernach der Rheinische Must in’s Ehrbaren Raths Weinkeller gekommen ist, hat man denselben mit Pfeifen und Trommeln auf den Markt geführt, nemlich also dergestalt: Wenn die Kärner, ihrer zehn oder zwanzig, weniger oder mehr, an das Stadtthor erstlich angekommen, haben daselbst schon ein Pfeifer und ein Trommelschläger gewartet und sich beide auf ein Faß gesetzet, so auf dem ersten Karren gelegen, wo sie ihr Amt mit Pfeifen und Trommelschlagen verrichtet, bis die Kärner den Markt erreicht, auf dem sie mit den Weinfässern dreimal herumgefahren, wobei immer gepfiffen und auf die Trommel geschlagen worden; endlich hat man vor dem Weinkeller still gehalten. Hier haben die Fuhrleute ihre Pferde abgespannt und die Wagen sammt den Weinen stehen lassen; nun erst ist auch der Pfeifer und der Trommelschläger von dem Fasse herunter gestiegen und sind dann ihrer Wege gegangen.“

Wenn auch unzweifelhaft Rheinwein der wichtigste von allen Weinen gewesen ist, der in dem Rathskeller zu Lübeck verschänkt wurde, so lagerten daselbst auch andere Weinsorten, die unter den Namen Aschonyer, Ashoie-Wein, Frankenwein, Gobbin-Wein, Roßberger, Landwein, Patower, Rathenower und Rummenier vorkommen. Doch verschwinden alle diese Weine bald wieder, nur der zuletzt genannte (ein spanischer Wein) behauptet sich bis in die Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts. An ihre Stelle traten Malvasier (Muscateller), Alicante, Petersimenes, Canariensect und Bastert; letzterer ward sogar Bedürfniß für den, der allzu viel Rheinwein getrunken hatte.

Für jeden Wein gab es auch ein besonderes Trinkgefäß. Rheinwein trank man aus grünen Römern; Malvasier, Alicante und Petersimenes aus silbernen Schalen; Bastert und Sect aus krystallenen Gläsern.

Die Steigerung der Weinpreise konnte jedoch nicht ohne Einfluß auf den Absatz bleiben und es war auch die Ursache, weshalb manche Kaufleute, die in Hamburg oder am Rhein vortheilhafte Bezugsquellen hatten, von dem ihnen zustehenden Recht Gebrauch machten, gegen Erlegung der Accise sich für ihren Hausbedarf selbst Rheinwein zu verschreiben. Andererseits vermehrte sich aber auch der Absatz des Kellers nach außen, und für den versandten Wein wurde dem auswärtigen Käufer die Accise berechnet, von welcher der im Keller gekaufte, in der Stadt selbst consumirte Wein frei war. Die auf solche Weise durch den von Privaten eingeführten und den vom Rathskeller ausgeführten Wein gewonnene Accise betrug 1654 zweitausendvierhunderteinundsiebenzig Mark. Jedenfalls war der Betrieb und die Verwaltung derartig, daß sich ein jährlicher Ueberschuß ergab. Aber leider wurde derselbe zu ganz anderen Zwecken verwandt! In der ersten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts nahmen dergleichen ungehörige Verwendungen in solchem Grade zu, daß sie nicht nur den ganzen Gewinn des Kellers verschlangen, sondern diesen sogar in bedeutende Schulden stürzten. Man suchte zu retten was möglich und – verpachtete den Rathskeller.

Der erste Pächter des Kellers, Daniel Jacobi, trat im Jahre 1666 die Pacht an für die jährliche Pachtsumme, oder wie man damals sagte, „Pension“ von fünftausendsechshundert Mark (zweitausendzweihundervierzig Thaler Preußisch), Dafür wurden ihm alle Räumlichkeiten des Kellers auf zehn aufeinanderfolgende Jahre verpachtet, mit der einzigen Beschränkung, daß er das sogenannte „Herrengemach“, auf Erfordern den „Herren“ des Rathskellers zur Ausübung der Jurisdiction einräumen mußte. Der „Ohmhof“, wo die Fässer gemessen und gebrannt wurden, und der „Tafelhof“ waren in die Pacht eingeschlossen, jedoch mit der Verpflichtung für den Pächter, beide Grundstücke in gutem baulichem Stande zu erhalten. Die Gerechtsame des Rathsweinkellers gingen demnach in ihrem ganzen Umfange auf den Pächter über. Er hatte allein das Recht, in Lübeck Rheinwein und die sogenannten „heißen“ Weine im Detail zu verkaufen, durfte aber den Preis nicht überschreiten, den der Rath ihm gesetzt hatte. Das Stübchen Rheinwein galt nur drei Mark, das Stübchen Malvasier und Alicante vier Mark, Petersimenes und Xerezwein zwei Mark acht Schilling.

Eine Zeit lang ging das so ganz vortrefflich. Plötzlich aber schien alle Mühe der Pächter, den Keller im alten Flor zu erhalten, umsonst; er ging mehr und mehr zurück, daß denn endlich im Jahre 1812 gar nur fünfundfünfzig Mark (zweiundzwanzig Thaler Preußisch) jährliche Pacht für den Rathskeller geboten werden durfte. Das geschah aber auch zur Zeit der französischen Occupation!

Jetzt haben die gemüthlichen und erinnerungsreichen Räumlichkeiten des Rathskellers ihre magnetische Anziehungskraft längst wieder gewonnen und werden von Einheimischen und Fremden bei jeder sich darbietenden Gelegenheit entsprechend frequentirt. Hauptsächlich dienen sie Vereinen, die hier tagen, fast regelmäßig als Versammlungsort. Am zahlreichsten jedoch werden die unterirdischen Kellerräume in den schönen Tagen der Weihnachtszeit besucht, wo der Lübecker auf vierzehn Tage den Philister abwirft. Dann gleicht in Wahrheit der lübische Rathskeller einem deutschen Karawanserai. Summt es dann doch die Stufen auf und ab wie in einem Bienenkorbe, ebbet und fluthet es doch aus und ein vom Frühroth bis zum Sternenglanz! Aber freilich legt die ganze Republik auch dann ein anderes Colorit an und die sonst etwas ängstlich beachtete Ehrbarkeit darf schon einmal über die Schnur schlagen, ohne daß es Anstoß erregt. Welch’ ein buntes Leben ist dann in dem Rathskeller zu Lübeck! Frauen und Jungfrauen, Männer und Jünglinge, Dienstmädchen und Diener trinken aus grünen Römern Rheinwein oder Malaga, essen dazu Marcipan und Confect, lassen die Gläser seelenvergnügt erklingen, singen, schäkern, lachen, ganz wie ehemals die Patricier und Junker, ohne sich den geringsten Zwang anzulegen. Mit dem „Dreikönigstage“ zieht der Lübecker zwar wieder den Philister an, versäumt aber nicht, dem Rathskeller auch später noch Besuch abzustatten nach altherkömmlicher Weise.

H. A.




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 729. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_729.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)