Seite:Die Gartenlaube (1869) 731.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Anspringen zur Handlung des Stückes und konnte nicht umgangen werden. Vergebens aber bemühte ich mich, den Tritt zu erreichen; trotz zahllosen Vorfahrens sprang ich immer zu kurz, so daß ich sowohl wie Karl unwillig wurden, und als er mir meine Ungeschicklichkeit wieder vorwarf, rief ich ärgerlich aus: „Entschuldigen Sie, Herr Director, ich war nie Bedienter.“ 0 „Ich auch nicht,“ antwortete er rasch, „fahr’ vor, Johann, so rasch als möglich.“ Während er dies sprach, hatte er den Mantel auf die Erde geworfen und stand leichten Sprunges auf dem Tritt des vorbeirasenden Gefährtes. „Sehen Sie, Herr Wallner, man braucht hierzu nicht Bedienter gewesen zu sein, nur ein bischen Behendigkeit und ein wenig guter Wille gehört dazu.“

Weiß der Himmel, woran es lag, von dem Augenblick an, wo mir mein Director das kleine Kunststück vormachte, traf ich es auch, ich sprang nie mehr zu kurz.

In dem Drama „Der Glöckner von Notredame“ war Kunst nie im Stande, die Esmeralda, an der Außenseite der Mauer emporkletternd, im Arme zu halten und von oben herab das Wort „Asyl“ unter die Menge zu brüllen, bis es ihm Karl zeigte, die schwere Frau Pann, so hieß die Darstellerin der Esmeralda, wie eine Feder auf den Arm nahm und katzengleich mit ihr an den Eisenklammern emporkletterte. In jeder körperlichen Uebung, im Fechten, Tanzen, Reiten, Turnen, war er Meister, im Arrangement von Massen und der malerischen Verwendung von zahlreichen Comparsen, bei Schlachtspectakeln, Volksscenen etc. kam ihm kein Regisseur gleich.

Ich erinnere mich eines Schauspiels, „Der Leuchtthurm von Eddystone“ betitelt, auf welches er die Hoffnung großer Erfolge baute, die hauptsächlich in den Arbeiten des berühmten Maschinisten Roller (jetzt in Petersburg) ihren Grund hatten. Zum Schluß stürzte der gewaltige, scheinbar massiv gebaute Leuchtthurm durch die Wucht eines Erdbebens in Trümmer, diese begruben den Intriguant des Stückes, den Herr Spielberger darzustellen hatte, während sich die gewaltigen Meereswogen darüberhin wälzten. Die Wirkung dieses Meisterstückes von Malerei und Theatermaschinerie war bewältigend. Als bei der ersten Probe diese Massen von Stein, Eisen und Holz unter vulcanähnlichem Toben der Elemente einstürzten, als der gewaltige Bau in seinen Grundfesten zu wanken anfing, konnte sich Keiner von uns eines Schauers erwehren. Roller selbst leitete sein Werk meisterhaft und hatte genau mit dicken Kreidestrichen die Stelle bezeichnet, auf welche Spielberger sich hinzustürzen hatte. Spielberger, der keine Ahnung von dem Folgenden hatte, legte sich behäbig auf den Boden hin, als rechts und links neben Kopf und Körper schwere Eisenklammern, Holzpflöcke etc. niederprasselten, und alle Lärmmaschinen der Bühne dazu ihre Höllenmusik ertönen ließen. Leichenblaß erhob sich der Schauspieler und erklärte, nicht für alle Schätze der Welt diese nach seiner Ansicht lebensgefährliche Stelle wieder einzunehmen. Vergebens alles Zureden, umsonst ließ Roller den complicirten Bau zwei Mal aufrichten und über sich selbst zusammenstürzen; Spielberger blieb bei seiner Behauptung, er sei nach seinem Contract verpflchtet, seine Rollen zu sprechen, zu spielen, nicht aber sich todtschlagen zu lassen. Es blieb Karl nichts Anderes übrig, als die Rolle selbst zu übernehmen und sich unter der Wucht der Leuchtthurmtrümmer an dreißig aneinander folgenden Abenden begraben zu lassen.

Schlachtenspectakel und alle Gattungen Militärschauspiele arrangirte er mit unerhörter Geduld und Präcision, das scheinbar Unmögliche wurde unter seiner Leitung zur Wirklichkeit. Freilich kam es ihm nicht darauf an, die Leute ununterbrochen zehn Stunden lang in Athem zu erhalten, um die Proben am nächsten Tage für ebenso lange Zeit wieder zu beginnen. „Beim Theater,“ sagte er einst zu mir, „muß der Director entweder seine Schauspieler maltraitiren oder sein Publicum, da aber die Schauspieler davon leben und den kleineren Theil bilden, so quäle ich lieber diese als die Zuschauer.“

Daß er früher Officier war, wo er seinen Familiennamen Baron von Bernbrunn führte, kam ihm, nebst seiner exquisiten Erziehung, sehr zu statten. Aus seinem eigenen Munde habe ich die nachfolgende Mittheilung des Grundes, warum er seine militärische Carrière aufzugeben gezwungen war.

Er hatte ein intimes Liebesverhältniß mit einer Schauspielerin des Leopoldstädter Theaters. Ich erinnere mich nicht mehr genau des Namens. Sie hieß Eigenwahl oder Eigensatz. Dieses Verhältniß mit dem jungen schmucken Officier war nicht ohne Folgen geblieben; der junge Sprößling desselben wurde nach dem Dorfe Hernals bei Wien in Pension gegeben. Da verliebte sich die junge Künstlerin in einen Collegen und löste die zarten Bande, welche sie an den Officier gefesselt hatten. Dieser, von wüthender Eifersucht entbrannt, fuhr zur Pflegerin seines Kindes, schnitt die Wiegenbänder durch und setzte sich mit dem wimmernden Wurm in einen Fiaker, der ihn zu der renommirten Leinwäschewaarenhandlung zur Katze am Graben nach Wien bringen mußte. Dort ließ er das kleine Geschöpf in blendend weißes Linnen kleiden, während welcher Procedur dasselbe ein gellendes Geschrei erhob. Hierauf frug er, wie er erzählte, in großer Verlegenheit, womit man so ein Ding füttere, und bat, demselben etwas Nahrung zu geben.

Inzwischen war der Abend hereingebrochen, Karl fuhr, den kleinen Liebeszeugen sorgfältig unter dem Mantel verborgen, in das damals winzig kleine Theater in der Leopoldstadt, zu jener Zeit Kasperltheater geheißen, an dessen Stelle er später den jetzigen Prachtbau in’s Leben rief. An jenem Abend, wo er in der dunkeln Prosceniumsloge des Anfangs harrte, hatte er wohl von den Dingen, zu denen er später an diesem Platz berufen war, noch keine Ahnung. Man gab das Weißenthurn’sche Schauspiel „Der Wald bei Hermannstadt“. Als die gewesene Geliebte des Baron Bernbrunn in der Rolle der Elisena die Scene betrat, erhob sich dieser in der Bühnenloge und hielt der Schauspielerin den weißgekleideten Säugling mit dem donnernden Ruf entgegen: „Treulose, kennst Du dies Kind?!“ Die furchtbar erschrockene Schauspielerin fiel mit einem Schrei in Ohnmacht, das Stück war zu Ende und die militärische Laufbahn Karl’s auch!

Ein halbes Jahrhundert lang hat sich der Erbauer des Karltheaters, des Palastes, welcher auf sein Geheiß an der Stelle des früherer Kasperltheaters erstand, gemüht und geplagt, nach Reichthum gejagt, und wofür? – für undankbare, lachende Erben, welche die Todesstunde ihres Verwandten wie eine Erlösung begrüßten! Und wie spitzfindig auch das Testament angelegt und verclausulirt wurde, der übervorsichtige Mann konnte doch nicht verhindern, daß die erworbenen Summen in alle Winde verflogen! Mit wenig Ausnahmen sind die Karl’schen Erben wieder blutarm geworden, während die Pächter des Institutes, wenigstens diejenigen, welche ihr Geschäft verstanden, in wenig Jahren zu sehr wohlhabenden Leuten wurden. Nestroy, Treumann und jetzt Anton Ascher fanden und finden noch reichen Lohn für ihre Mühe.

Wir wollen uns bei dem letzten geistigen Erben Karl’s einführen lassen. Derselbe ist dringend beschäftigt, man bittet uns einige Augenblicke zu warten, und führt uns in einen geschmackvoll ausgestatteten Saal, den rauschende schwerseidne Vorhänge und prächtige schwellende Möbel zieren. Ebenso bequem ist das daneben liegende Arbeitszimmer des Directors ausgestattet, aus dem uns der aromatische Rauch einer feinen Havanna entgegenduftet. Hier sieht es wirklich nach „Arbeit“ aus, den riesigen Schreibtisch und die nebenstehenden Etageren bedecken zahllose Manuscripte und gedruckte Theaterstücke in deutscher, französischer und englischer Sprache, die meisten bereits mit Notizen und Bemerkungen bezeichnet, dazwischen zeugen Einladungskarten, vom Minister und Geldfürsten bis in alle geselligen Vereine etc., für die Beliebtheit dessen, an den sie gerichtet sind. Ascher kommt uns mit altbewährter freundschaftlicher Liebenswürdigkeit entgegen, ehe wir es uns versehen, ist ein Stündchen verplaudert, eine Verabredung getroffen für den Abend, wenn sich der seltene Fall ergeben sollte, daß der Schauspieler Ascher, das fleißigste Mitglied des Directors Ascher, über einen freien Abend disponiren kann.

Nicht immer hat das Streben des Künstlers ihm so reiche Früchte eingebracht, viele, viele Irrfahrten, trüb und aussichtslos, hat derselbe durchmachen müssen. Wenn Ascher, in recht vertraulichen Kreisen, mit dem hinreißenden Feuer, mit dem er zu erzählen versteht, eine Episode aus seiner Anfängerzeit mittheilt, so straft er die gang und gäbe Redensart: „Hat der Mensch Glück!“ recht entschieden Lüge, und bringt das alte deutsche Sprüchwort zu Ehren, daß Jeder seines eigenen Glückes Schmied sei.

Eine solche Episode aus des „Künstlers Wanderjahren“ wollen wir zum Besten geben, zugleich als Beleg des grellen Unterschiedes zwischen den deutschen Theaterzuständen von „Einst“ und „Jetzt“.

Der neunzehnjährige Kunstjünger hatte bereits die Bühnen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 731. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_731.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2022)