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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Verdammt!“ sagte Clemens, und mit einem kräftigen Fluch den Boden stampfend, riß er das Billet in tausend Stücke.

Rose weinte vergebens. Vergebens bat sie die Geschwister, flehte sie an, ihr zu helfen, diesen Theil des Testaments rückgängig zu machen, wiederzunehmen, was ihnen zukomme, was sie nur einer Laune zu danken habe, was sie tief unglücklich machen würde. Sie wies auf jenen letzten Abend hin, auf Dorens Versicherung von dem Umschwung in der Stimmung der Tante, auf ihr bedeutungsvolles „Auf morgen“.

„Hätte sie den Morgen erlebt, sie würde das Testament geändert haben,“ betheuerte sie hoch und heilig.

„Aber sie starb, ihr Tod besiegelte ihren Willen und Gott erkannte ihn an,“ entgegnete Hasso. „Nimm es nicht für Trotz, für Indignation unsererseits,“ fuhr er in sanfter Weise fort, „nimm es nur für echten und gerechten Stolz, daß wir nicht nehmen wollen, was uns nicht zukommt. Die Tante war Herrin ihres Eigenthums, wem sie es geben wollte und weshalb, ob aus Liebe, aus Laune, gleichviel aus welchen Gründen, sie bestehen zu Recht. Ich wüßte aber keinen Grund des Rechts, der Billigkeit, der die Annahme Deines Opfers rechtfertigte. Du bist ärmer als wir. Wenn Gott Dich Deiner Stimme beraubt, hast Du nichts.“

„Ich habe Euch, meine Geschwister!“ sagte Rose innig.

„Nun gut, so haben wir Dich, wenn wir je in Noth gerathen sollten,“ entgegnete Hasso in gleicher Weise.

Rose preßte ihre Stirn in beide Hände. War dort ein Gedanke, der Hasso’s Annahme widersprach und den sie zurückzudrängen strebte?

„Gieb Dich zufrieden, Kind,“ tröstete Dore sie. „Du bist keine Erbschleicherin gewesen, Du wahrhaftig nicht, und um diese hat’s nicht Noth. Was ich habe, haben sie auch, ich gebe mich ihnen doch in Pension und sie müssen mich zu Tode füttern.“

Ihr Wort erregte den Jubel der Geschwister.

„Von Dir werden sie nehmen, von mir nicht,“ sagte Rose gekränkt.

„Wir nehmen auch von ihr nicht, wir nehmen sie nur,“ sagte Hasso lächelnd.

In Rosens Zügen malte sich ein eigenthümlicher Kampf.

„Jedem das Seine!“ scherzte Dore. „Ich bin auf dem Lande zu brauchen, denn ich bin dort aufgewachsen und kann mit Rath und That helfen und sie werden Beides brauchen, aber Du bist zu was Anderem erzogen. Du wirst nicht schlechter singen, wenn Du denken kannst, Du brauchst es nicht um’s Geld zu thun, und Dir gönnt Jeder die Erbschaft, wir erst recht!“

„Wir erst recht nicht,“ fuhr Ursula in demselben Tone fort. „Gönnen, das Wort hat der Neid erfunden, seinem bohrenden Stachel die Spitze abzubrechen. Dem Gönnen hallt immer ein Seufzer nach. Die Freude weckt ein reinklingendes Echo.“

Ueber Rosens Wangen perlten helle Thränen.

„Daß Reichthum so drücken kann, hätte ich nie geglaubt!“ seufzte sie, und wieder zuckte es über ihr Gesicht wie aufblitzende Entschlüsse, wie Zagen und Hoffen in jähem Wechsel. Auf einmal faßte sie Hasso heftig bei der Hand. „Komm’“, sagte sie, „ich muß Dich allein sprechen.“

Sie zog ihn in das Nebenzimmer. Sie war furchtbar erregt, die Hand, die noch in der seinen ruhte, war eiskalt, in ihren Augen malte sich holde Scham.

„Verachte mich nicht, Hasso,“ sagte sie, „es ist nicht unweibliches Empfinden, es ist die Gewalt der Umstände, die, Ungewöhnliches mir auferlegend, mich über Gewohnheit und Sitte hinaushebt. Es ist das vollendete Zutrauen, das ich in Deine Ehre, Deinen Zartsinn, Deinen Glauben an meine Weiblichkeit setze, das mich zu der ungewöhnlichen Frage drängt, die ich vor Gottes Angesicht an Dich richte, er, unser einziger Vertrauter bei der Lösung dieses Conflicts. Hasso, dieser Reichthum drückt mich zu Boden wie Diebstahl, er droht mir wie ein Fluch. Aus Trotz und Eigensinn ist er mir verschrieben worden, der nächste Tag würde ihn mir wieder genommen haben, wäre der Verstorbenen die Zeit zur That geblieben. Du willst mich nicht von der Last befreien, nun gut, nimm mich dazu mit der Last. Bin ich Dein Weib, so hört das Mein und Dein auf, eine Streitfrage zwischen uns zu sein.“

Sie hatte zagend ihre Rede angefangen, Scham glühte auf ihrer Stirn, bebte wie leiser Fieberfrost durch ihre Glieder, aber während sie sprach, erhöhte das Gefühl der Reinheit ihrer Absichten ihren Muth und liebliche weibliche Schüchternheit, von der Energie eines festen Entschlusses besiegt, durchglühte ihre Worte, als sie leise hinzusetzte: „Ich glaube, Du hast mich lieb, wie ich Dich, wenn wir auch Beide zu sehr daran gewöhnt waren, um es besonders zu bemerken. Erst seit Kurzem sehe ich anders in Dich, in mich hinein. Du könntest leicht zu stolz sein, um die reich gewordene Geliebte zu werben, Hasso, da ist meine Hand, laß uns an den Reichthum nicht denken und glücklich sein.“

Sie reichte ihm mit unnachahmlicher Anmuth die Hand hin, er ergriff sie mit einem halb erstickten Ruf jauchzender Freude, er küßte sie, drückte sie an sein Herz. Es war ein ungetheiltes wonniges Entzücken, das ihn durchströmte, wie es nur auf Augenblicke in das menschliche Leben hineinleuchtet, in einem solchen Augenblick die Seele allerdings mit unendlichem Reichthum überschüttend.

Einen Augenblick, dann kam die Ueberlegung. „Wenn Du nur edelmüthig wärst, wenn Du mich nicht liebtest, wenn Du Dein geschwisterliches Empfinden für Liebe nähmst und die Täuschung zu spät gewahrtest, Rose, ich ertrüge es nicht!“

„Nein,“ sagte sie, „keine Täuschung mehr, die Täuschung ist eben überwunden und ich kenne mich jetzt besser. Hasso, es blitzte einmal ein Licht in meine Seele hinein, das mich blendete, es klangen Schmeichelworte in mein Ohr, die ich für Wahrheit nahm. Mein Herz schlug stürmisch und heiß, aber wie Mehlthau auf eine Pflanze fiel jenes Mannes kalter Egoismus auf die keimende Liebesblüthe. Es war eine taube Blüthe, Hasso, sie fiel ab, in den Kern der Pflanze drang das Gift nicht. Mein Herz ist frei, ist Dein, das schwöre ich Dir zu, und,“ setzte sie mit lieblicher Verschämtheit hinzu, „das Bild, das es ganz erfüllt, ist Deines. Seit wir hier sind, habe ich Dich täglich lieber gewonnen. Glaubst Du mir nicht, Hasso? Du sollst mich nicht um’s Geld heirathen, es gilt Herz gegen Herz.“ –

„Rose, Engel, Gottes Segen mein!“ rief Hasso mit erstickter Stimme und sank zu ihren Füßen nieder.

Die Thür öffnete sich, die Glücklichen sahen und hörten es nicht. Clemens stand auf der Schwelle. Sein Gesicht war todtenblaß, seine Hände ballten sich krampfhaft zusammen. „Verrechnet, verrechnet überall!“ stieß er zwischen den Zähnen hervor, dann verließ er das Zimmer, ohne daß die in das holde Entzücken eines ersten Liebesgeständnisses versunkenen beiden glücklichen Menschen sein Kommen und Gehen auch nur gewahrt hätten.



Im Herbst desselben Jahres feierte das junge Paar seine Hochzeit. Ziemlich um dieselbe Zeit kehrte Clemens seiner Heimath den Rücken. Lindemann hatte die dreitausend Thaler nicht gezahlt und so viel richtiges Gefühl hatte Clemens noch in der Seele, daß er sich schämte, Hasso um Hülfe zu bitten. Er entfloh seinen Gläubigern, er entfloh den drückenden Verhältnissen, in die seine Schulden ihn versetzt, entfloh den Vorwürfen seines Vaters, und hinterließ diesem nur ein paar Zeilen, in welchen er ihn, Abschied nehmend, bat, womöglich seine Angelegenheiten zu ordnen, und mit Hinweis auf sein musikalisches Talent als eine sichere Quelle seines Fortkommens, versprach, alle seine Verbindlichkeiten in Kurzem zu lösen. Der alte Herr biß die Zähne zusammen und warf den Brief in’s Feuer. Er machte öffentlich bekannt, daß er nicht im Stande sei, für die Schulden des Sohnes aufzukommen, verbot seiner Tochter, Clemens’ Namen zu nennen, und damit war äußerlich die Sache abgethan. Was innerlich in ihm vorging, sah nur Einer, und es wird wohl dereinst mit im Schuldbuch des Sohnes stehen.

Clemens’ klingende Schulden zahlte durch Lindemann’s Vermittelung Hasso im Stillen ab, nicht ahnend, daß dieser es an Clemens schrieb, und noch weniger vermuthend, daß er durch diesen Act natürlicher Großmuth sich den Vorzug erwarb, künftig unter die Merkwürdigkeiten L.’s gezählt zu werden, wenn auch zu einer, die das Städtchen leider nur kurze Zeit in seine Mauern einzuschließen so glücklich gewesen war.

Von Clemens’ treulosem Verrath an der Liebe erfuhren die Zwillingsschwestern nichts, der blieb Geheimniß zwischen Rose und Hasso, und Dorens Combinationen wiesen sie mit Entrüstung zurück, ja, es war dies die einzige Gelegenheit, bei der sie fast in Zorn geriethen. Wer hätte auch so grausam sein mögen, den unschuldigen Cultus zu stören, den sie ihrer ersten und einzigen Jugendliebe widmeten. So war denn das geschwisterliche Kleeblatt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 737. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_737.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)