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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

unserer geistig-gemühtlichen Physiognomie bestellt sein mag – für unsere Bekanntschaft mit dem eigenen Gesicht ist genügend gesorgt durch die Wasser- und Hausspiegel. Ohne diese bedürfte es der höchsten Kunst, um zu erfahren, wie man selbst aussieht!

Wie genial wirkt das ordinärste Spiegelstück, indem es uns rasch und wohlgetroffen unser Portrait zeigt, und wie einfach ist die Regel, welche dieser an’s Wunderbare grenzenden Erscheinung zu Grunde liegt! An jedem Billardtisch können wir mittelst der elastischen Elfenbeinkugel das Ebenbild und Widerspiel dieses Gesetzes hervorrufen: Der Winkel, unter dem das Licht abprallt, ist gleich jenem, unter dem es auffällt, wobei die Wege des Lichtes stets in derselben Ebene bleiben. Und mit diesem höchst einfachen Schlüssel öffnet sich nicht blos das Verständniß für die Erscheinungen an unserem Toilettespiegel, sondern es werden auch alle befremdenden Auftritte bei den beliebig geformten Spiegeln begreiflich.

Fig. 2.0 Der Spiegel als Thürhüter.

Gar leicht können wir uns dann erklären, wieso das Bild einer von schiefer Ebene abrollenden Kugel in einem passend geneigten Spiegel mit beschleunigter Bewegung (!) aufwärts zu rollen scheint; warum zwischen zwei parallel gestellten Spiegeln eine Flamme in einer endlosen Reihe wiederstrahlt, und warum sich ein schöner Kreis von Flammen zeigt, wenn wir einen Handspiegel schief an unseren Wandspiegel legen, und eine angezündete Kerze zwischen beide bringen – wem fallen hier nicht die Herrlichkeiten des Kaleidoskopes ein? Und in der That beruhen dieselben auf diesem einfachen Grundversuche, sowie auch die sinnverwirrende Pracht der mit Spiegel bedeckten Kaufgewölbe und der Spiegelsäle aus der Rococo-Zeit.

In dem Spiegelzimmer, sowie im Schöngucker, entsteht die Vervielfachung der Bilder dadurch, daß jedes Bild des einen Spiegels im zweiten Spiegel an einer anderen Stelle ein neues Bild erzeugt; anders ist dies jedoch, sobald der abzubildende Gegenstand nicht mehr zwischen den beiden Spiegeln, sondern außerhalb derselben liegt. Man sieht dann das Bild des Gegenstandes nur einmal. So wirft, links in unserer Zeichnung, der obere in einem einfachen Gerüst schief aufgestellte Spiegel die Lichtstrahlen, welche er von den Gegenständen jenseits des Hügels empfängt, nach einem zweiten, zum oberen parallel gelegten Spiegel. Die Krieger können dann in dem unteren Spiegel ohne Gefahr hinter dem Berge, Hügel, Walle, hinter den Schanzen, Mauern und dergleichen mehr erkennen, was im jenseits gelegenen feindlichen Lager vorgeht. Dieser so billige Kriegsspion wurde von keinem geringeren Manne als von Hevelius, dem durch seine astronomischen Forschungen weit berufenen Rathsherrn zu Danzig, schon vor zweihundertzweiunddreißig Jahren in seinem den Mond beschreibenden Buche angegeben. Hewel – so hieß der Erfinder unseres Instrumentes im Deutschen – faßte die Spiegel in ein Zförmiges Rohr, dessen oberer Arm gegen den Feind, und dessen unterer Zweig gegen das beobachtende Auge gerichtet war; er nannte dieses Winkelrohr mit Anspielung darauf, daß es das Treiben, Thun und Lassen des zweiten streitenden Theiles zeigt, Polemoskop.

Fig. 1.0 Das Polemoskop oder der Spiegel als Kriegsspion.

Obschon Hewel seinen Kriegsgucker in zweckmäßiger Weise mit Linsen verband, und dadurch zu einem Winkelrohr gestaltete, wobei der Beobachter durch die Schanzmauer geschützt war, und obschon auch das offene Polemoskop in unserer ersten Figur sich mit Linsen in passender Weise versehen ließe, so hat diese Spiegelcombination im eigentlichen Kriege doch nur eine spärliche Anwendung gefunden. Etwas häufiger mag die Spiegelverbindung des Polemoskopes in jenem kleinen Kriege benützt worden sein, den einzelne Menschen unter sich oder gegen die Gesellschaft führen. So sehen wir in unserem zweiten Bilde eine nicht sehr ehrenwerthe Gesellschaft im oberen Raume, welche in dem auf einem Tische ruhenden Spiegel eines Polemoskopes die nachforschenden, vor der unteren Einlaßthür harrenden Männer des Gesetzes erkennt. Der obere Spiegel ragt nach außen, empfängt die von den unten Stehendeu ausgehenden Lichtstrahlen und sendet die letzteren zum anderen Spiegel, aus dem eine alte Uebelthäterin die für die Versammlung keineswegs erfreuliche Botschaft meldet. Der Mann im unteren Raume beobachtet die Gegner überdies in einem einfachen Wandspiegel und scheint sich auch auf’s Horchen zu verlegen. Mit mehr Erfolg als hier sollen sich solche polemoskopische Spiegel-Zusammenstellungen gegen lästige Besucher, zudringliche Mahner, bekannte Schuldenmacher etc. bewähren. Ja selbst der einfachen Neugierde kann eine am Fenster befindliche polemoskopische Spiegellagerung gute Dienste leisten, indem man ruhig im Zimmer beobachten kann, was in der Gasse vorgeht.

Wenn auch Hewel der Erste war, welcher parallele Spiegel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 750. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_750.jpg&oldid=- (Version vom 29.11.2022)