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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Juhe, jetzt kommen die Richtigen!“ rief der Feichtenbauer, indem er sich taumelnd erhob und, von Domini begleitet, durch den Flur unter die Hausthür schwankte. „Heda, eingekehrt, Ihr Hüglinger Buben …“, rief er, „heut’ bin ich der Wirth am Berg; da geht kein richtiger Bursch vorbei! Herein da, alle miteinander!“

Der Gesang brach ab und ging in Gelächter über, die Bursche kamen an’s Haus heran, mit dem Feichtenbauer zu schwatzen, dessen Zustand schon auf den ersten Blick erkennen ließ, daß es ohne Spaß und Jux nicht abgehen werde. Die Bauern in der Stube ließen sich inzwischen durch die ihnen gewordene Gastfreundschaft und freie Zeche nicht beirren, während der kurzen Abwesenheit des Bauers ihre Gedanken über denselben und seinen Begleiter auszutauschen.

„Was muß denn dem Feichtenbauer passirt sein, daß er heut’ gar so freigebig?“ sagte der Eine, mit dem er bald in Streit gekommen wäre. „Er ist ja ganz aus dem Häusel! Ich bin doch schon wie er bald dreißig Jahr auf meinem Gütel, und wenn ich auch nie besonders mit ihm zusammengekommen bin, hab’ ich ihn doch niemals so gesehn und auch nichts davon sagen hören, daß er mit der Flaschen so gut umgehn kann! …“

„Es hat eine eigene Bewandtniß mit ihm,“ sagte der Wirth, nicht ohne sich vorher vorsichtig umgesehn zu haben, „ich kenn’ ihn auch von Jugend auf, aber er ist immer ein exterer Mann gewesen, mit einem wilden und ungleichen Humor, wie wenn’s im April durcheinander regnet und die Sonn’ scheint! Er hat gearbeitet für Zehn, hat sich oft kaum das Essen und einen Tropfen Bier vergönnt, geschweige denn was Andres – nachher aber wieder, wenn ihm das Radel ist laufend ’worden, hat er keinen Handstreich gethan, manchmal zu der dringendsten Zeit, und ist Wochen lang aus dem Wirthshaus und aus dem Rausch nicht herausgekommen; … er ist das ewige Widerspiel!“

„Das ist wahr,“ sagte ein Anderer, „ich hab’ ihn selber so gesehn – die Bäurin hat genug mit ihm auszustehn gehabt und hat sich hinunter gekränkt und gehärmt, bis sie darüber abgeserbt und ausgezehrt ist … aber seit langer Zeit ist alles still gewesen …“

„Das macht,“ sagte der Wirth, „weil ihm die Bäurin auf ihrem Todbett in’s Gewissen geredt hat … darüber ist er in sich gegangen, und hat es ihr mit Hand und Mund versprochen hinüber in die Ewigkeit, daß er gut thun will … aber diemalen, so scheint’s, kriegt das Versprechen doch ein Loch …“

„Ich hab’ auch sagen hören,“ bemerkte ein Dritter, „er hat das Wetterreißen in den Händen und Füßen; das soll ihn dasig (kleinlaut) gemacht haben, denn der Bader hat ihm Alles verboten, Bier und Wein, und hat ihm gesagt, er könnt’ ganz contract werden, wenn er sich nicht halten thät’ …“

„Die Hauptsach’ nit zu vergessen,“ unterbrach ihn der Wirth, „wenn er die Zeit her gut gethan hat, so ist daran wohl meistens seine Tochter schuld – das ist ein richtiges Leut, ein Madel, vor dem man den Hut abziehn muß bis auf den Erdboden; die regiert den ganzen Feichtenhof und den Bauern dazu – und heut’, heut’ muß er ihr justament aus’kommen sein, und da hat ihn der Domini in seine Händ’ kriegt, der hat seine Freud’ d’ran, wenn’s irgendwo was absetzt, und legt überall noch ein Scheit zu …“

„Wer ist der Domini denn eigentlich?“ fragte der Erste wieder. „Wie mag ihn denn der aufgegabelt haben?“

„Kann mir’s nicht einbilden,“ erwiderte der Wirth, „so viel aber weiß ich, wenn er auch noch so alert thut, aussuchen thät’ ich mir ihn nicht, wenn ich eine Gesellschaft haben wollt’! Er ist da drüben am Inn zu Haus, wo’s in’s Tirol hinein geht, ein Wirthssohn, und sein Vater soll so reich sein, daß er die Kronenthaler in Habermetzen mißt; er selber ist ein gelernter Metzger, und geht die meiste Zeit feiernd im Gäu herum, Vieh einzukaufen, mit dem er handelt …“

Das Gespräch wurde durch den stürmischen Eintritt der Bursche unterbrochen, welche auf des Bauers Geheiß am Tische Platz nahmen und sich nicht lang nöthigen ließen, an dem Gelage theilzunehmen; der Wirth trug zu, was man verlangte; war er auch mit der ganzen Zecherei nicht recht verstanden, so wäre es doch zu sehr gegen seinen Vortheil gewesen, einen Gewinn von der Hand zu weisen und solche Gäste durch Widerspruch auf vielleicht lange Zeit zu verscheuchen. Johlend und juchzend ward mit den Gläsern angestoßen, daß der Wein überströmte, und dabei von den Heldenthaten erzählt, die man eben verrichtet hatte. „Das ist ein Hauptgaudi gewesen,“ rief der Anführer der Bursche, eine stämmige Gestalt mit breitem, von Sommersprossen bedecktem Gesicht und brandrothen Haaren, „das muß ich erzählen, wie uns die alte Kramergütlerin von Mittling in’s Eisen gegangen ist.… Es ist ein böses Leut, das keinem Menschen was vergönnt und den Ehhalten statt des Mehls Kleien unter die Nudel mischt … ich weiß es selber, denn ich bin ein paar Wochen bei ihr im Dienst gewesen und hab’ ihr allerhand in ein Wachsl’ gedruckt … da ist sie uns heut’ justament recht in die Händ’ gelaufen, daß ich meinen Gift hab’ auslassen können an der alten Hex’! Ihr hättet das Gesicht sehn sollen, wie wir ihr den Weg versperrt haben und wie sie gesehn hat, daß sie sonst nirgends aus kann, denn links ist ein Kothlacken gewesen und rechts der Straßengraben.… Wie wir ihr gesagt haben, daß wir sie nicht durchlassen, wenn sie nicht über den Stock springt, den ich ihr vorgehalten hab’, da hat sie geschrieen und aufbegehrt und geschimpft wie ein Rohrspatz – zuletzt aber, wie sie gesehn hat, daß doch nichts Andres hilft, hat sie klein beigegeben und ist über den Stock gesprungen, wie der best dressirte Pudelhund … die Röcke sind nur so geflogen!“

Wildes Gelächter begleitete die Erzählung, in das auch der Feichtenbauer einstimmte, obwohl bei nüchternem Verstande ihm wohl kaum entgangen wäre, daß die einer Standesgenossin zugefügte Schmach mittelbar auch ihn treffe; die andern Bauern lachten gezwungen, sie wollten es mit dem Muthwillen des jungen Volkes nicht aufnehmen. Dadurch ermuntert, reihten die Bursche Erzählung an Erzählung und prahlten, wie draußen im Flachlande die jungen Leute den unbeliebten Landgerichtsoberschreiber zwangen, ihnen mit ausgespannten Armen das Vaterunser vorzusagen, und wie ein andermal ein wegen seiner scharfen Predigten gegen die sündhafte Tanzlust mißliebiger Pfarrer genöthigt wurde, auf offener Straße eine Menuett aufzuführen.

Ueber dem Lärmen und Schreien war der Eintritt eines weitern Gastes um so minder beachtet worden, als derselbe gleich unmittelbar neben der Thür Platz nahm, nachdem er einen ansehnlichen Holzkasten, den er als Rückenbürde trug, auf die Bank abgesetzt, und der ihn begleitende Spitzhund sich hart unter demselben und zu den Füßen seines Herrn niedergekauert hatte. Der Händler war ein bejahrter, aber immerhin noch rüstiger Mann, der, als er die Mütze abnahm, sich den Schweiß der Wanderung abzuwischen, einen fast ganz kahlen Scheitel entblößte; der blaue Staubkittel, den er trug, verrieth, daß er sehr arm oder sehr sparsam war, und dafür sprach auch, daß das Glas Bier, das er sich genügsam geben ließ, ihm nach Mühe und Hitze trefflich mundete. Er schien anfangs das Gespräch am Fenstertische gar nicht zu beachten; als es ihm nicht mehr entgehen konnte – war er keineswegs davon erbaut, schüttelte den Kopf und schob zuletzt seinen Krug mit einer nicht mißzuverstehenden Geberde des Unwillens und einem kurzer Lachlaute von sich.

Die Bursche, die ihn jetzt gewahrten, steckten die Köpfe zusammen, und der Keckste, der rothe Steger-Martl, rief herüber: „Heda, Landsmann … Du da hinten an der Thür …“

„Soll das mich angehn?“ fragte der Mann gelassen und wandte ihnen halb das Gesicht zu. „Ich wüßte nicht, daß wir miteinander Schwein’ gehütet hätten und Du und Du geworden wären, und Euer Landsmann bin ich auch nit …“

„Das hören wir an Eurer Sprach’,“ entgegnete der Bursche, „daß Ihr ein Blitzschwab’ seid – aber Ihr habt vorhin gelacht bei dem, was ich erzählt hab’, und da will ich Euch nur fragen, ob Ihr was dawider einzuwenden habt – ob Euch ’was nit recht ist? …“

„Ich sitz’ hier in offener Schenk’!“ erwiderte der Händler so kaltblütig wie zuvor, „und bin ein Gast wie jeder andere; ich frag’ nicht, was Andre an ihrem Tisch treiben, und brauche mich nicht fragen zu lassen, was ich an dem meinigen thue – aber damit Ihr nicht etwa glaubt, ich fürchte mich vor Euch, so kann ich Euch wohl sagen, über was ich gelacht habe … über Euch, weil Ihr damit groß gethan, wie Ihr an wehrlosen Menschen Euren Muthwillen ausgeübt habt, so Viele über Einen, so viele Bursche über ein altes Weib, und weil ich mir vorgestellt hab’, wie es wohl wär’, wenn Ihr einmal dabei an den Unrechten kämt!“

„So?“ sagte Martl, der aufgestanden war und sich mitten

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