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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Einladung zu diesen Privatconferenzen pflegt aber den Betreffenden immer einen gelinden Schreck in's Herz zu jagen, denn sie ist ein zarter Wink, endlich einmal auch der Habenseite des Conto zu ihrem Rechte zu verhelfen. Dergleichen Citationen in das Allerheiligste sind übrigens außerordentliche Seltenheiten, zu denen nur im äußersten Nothfalle geschritten wird, denn Waters – so erzählte mir nachher mein Freund - ist ein Gentleman durch und durch. Von unliebsamen Mahnungen oder gar von lästigen Klagen und häßlichen gerichtlichen Maßnahmen ist bei ihm nicht die Rede; im Gegentheil, wenn einer seiner Kunden vielleicht ein Wort fallen läßt von einer gewissen financiellen Ebbe, an der er augenblicklich laborirt, so ist ihm ein willkommener Vorschuß viel gewisser, als eine Aufforderung, die Rechnung zu begleichen. Mit allen reichen Erben steht Waters denn auch auf vertrautestem Fuße, und für gar manche derselben hat er Jahre lang den allezeit bereitwilligen Bankier abgegeben, bis sie zu den Gütern und Titeln ihrer Ahnen gelangten.

Das eigentliche Comptoir des Hauses ist nicht der mindest merkwürdige Theil des merkwürdigen Etablissements; es liegt im Erdgeschoß und hat ganz das Aussehen, als wäre man in einem großen Bankinstitute. Da gewahrt man Reihen von Mahagonypulten, an welchen zahlreiche Commis dickleibige Strazzen und Hauptbücher regieren. Der Erste dieser Schreiberschaar lud uns höflich ein, doch auch das sogenante „Strong Room“, das feuerfeste unterirdische Gewölbe, noch zu besichtigen, das zur nächtlichen Aufbewahrung der Geschäftsbücher dient. Eine sinnreiche Maschinerie hebt diese letzteren jeden Morgen in das Comptoir herauf und läßt sie allabendlich wieder in ihr sicheres Verließ hinab. Es war eine sehr ansehnliche Localität; an den Wänden sah ich lange Regale aufgeschlagen und auf denselben ruhten ganze Generationen von Contobüchern, denen man den fleißigen Gebrauch deutlich genug ansah. Es war ihrer eine solche Masse, als wenn sie die Rechnungen der gesammten Nation umschlössen.

„Nun,“ frug mich mein Freund, als wir wieder auf der Straße standen, „nun, was sagst Du zu diesem König von Savile Row?“

„Ich neige mein Haupt in schuldiger Ehrfurcht vor ihm – aber ich denke, ihn nicht um seine Protection zu ersuchen. Fünfzehn Pfund Sterling für einen Frack, wie ich sie auf dem Conto des Herzogs von Sutherland zufällig notirt fand – das paßt nicht für die Börse eines deutschen Touristen.“




Aus den Erinnerungen eines Gefängniß-Inspectors.

5.0 Ein preußischer Subalternbeamter.

„Und führe uns nicht in Versuchung.“

Wie unzählige Male wird das nachgebetet, und wie selten wird das verstanden! Es giebt nur einen Ort, an welchem sich das Verständniß von selbst aufdrängt. Dieser Ort ist das Gefängniß. Die Gefangenen, welche hier Jahr ein, Jahr aus beherbergt werden müssen, sind sämmtlich der Versuchung unterlegen. Sie sind es aber nicht immer, weil Neigungen, Gewohnheiten und Leidenschaften dem Versucher zu Hülfe kamen und in die Hände arbeiteten, sie sind es häufig genug erst dann, nachdem Sorgen, Kümmernisse und die bitterste Noth, welche unverschuldet sie heimsuchte, alle Kräfte aufgezehrt und jeden Widerstand unmöglich gemacht hatten.

In meiner Erinnerung summiren sich diese Ausnahmsfälle zu einer nicht geringen Höhe. Jeder einzelne Fall hat mir die schmerzlichsten Seelenleiden vor Augen geführt. Ich habe Gelegenheit gehabt, in die Brust des Gefallenen tief hineinzusehen, und die Wahrnehmungen, die ich hierbei machte, haben mich oft zum aufrichtigen Mitleiden, oft sogar zur Bewunderung hingerissen.

Der Fall, den ich hier mittheilen will, und der nicht sehr alt ist, soll nicht allein unterhalten, er soll auch neuerdings die Aufmerksamkeit auf einen Uebelstand hinleiten, welcher dringend Abhülfe fordert. –

Es war früh nach fünf Uhr, ein wundervoller Morgen im schönen Monat Mai. Ich hatte die Anstalt zum ersten Mal revidirt, Alles in Ordnung gefunden, nichts zu tadeln gehabt, für den Augenblick nichts zu thun, und trat, um eine Stunde allein zu sein und den schönen Morgen im Freien zuzubringen, aus dem Hause hinaus in den kleinen Garten, der mir zur Benützung überlassen war. Meine Angehörigen und auch die mir untergebenen Beamten wußten es, daß ich nicht gestört sein wollte, so lange ich mich in diesem Garten befand. Ich konnte daher, wenn ich gerufen wurde, allemal annehmen, daß etwas Ungewöhnliches vorgekommen sein mußte.

An jenem Morgen war ich kaum fünf Minuten aus dem Hause, als meine Tochter erschien und mir meldete, daß ein Mann mich zu sprechen verlange, der nicht warten wolle und sich auch nicht abweisen lasse.

Der Gefängniß-Beamte muß zu jeder Zeit zugänglich sein, er darf dies nicht auf gewisse Tagesstunden beschränken; ich verließ daher, wenn auch ungern, ohne Zögern den Garten und ging in das Haus zurück nach meinem Arbeitszimmer. An der Thür desselben erwartete mich ein großer, starker Mann, der mich mit den Worten anredete.

„Ich melde mich bei Ihnen als Gefangener.“

„Haben Sie Strafe zu verbüßen?“ fragte ich, ohne den Mann genauer anzusehen, indem ich in mein Zimmer eintrat und die Thür desselben offen ließ.

„Nein.“

Erst dieses kurze, ganz ungewöhnlich gesprochene Wort machte mich aufmerksam. Ich wendete mich zurück, nach der Thür zu, und sah nun den Mann in das Zimmer und mir näher treten. Die Bewegungen, die er hierbei machte, waren schleichend und schleppend, ohne Sicherheit und ohne Halt. Und doch hatte ich einen Mann vor mir, der mindestens sechs Zoll über fünf Fuß groß, starkknochig gebaut war und kaum vierzig Jahre alt sein mochte. Wenige Schritte vor mir blieb derselbe stehen, schweigend und in sich zusammengesunken. Um den Kopf, der mühsam hochgehalten wurde, hing das dunkelgefärbte Haar angeordnet, wirr umher; das mit einem starken, struppigen Bart bedeckte Gesicht hatte keine Farbe, es sah entsetzlich bleich; die Augen zeigten sich geröthet, die Lider stark aufgelaufen, der Blick war müde, schläfrig, wie dies nach einer durchwachten Nacht der Fall zu sein pflegt; die linke Hand befand sich in der Seitentasche eines schmutzigen Paletot, die rechte hing schlaff an der Seite herab. In demselben Moment, in welchem ich diese in das Auge faßte, löste sich von dem untersten Theile derselben ein dunkelgefärbter Tropfen los und fiel auf den Boden nieder, wo vorher schon ähnliche Tropfen niedergefallen sein mußten, da die Diele an dieser Stelle bereits dunkel gefärbt war.

„Sie verlieren Blut!“ schrie ich vor Ueberraschung laut auf. „Sind Sie verwundet?“

Der Mann erwiderte nichts, er streckte mir nur beide Hände entgegen, welche in der Gegend des Gelenkes mit schmutzigen Tüchern umwunden waren. Diese Tücher zeigten sich bereits so naß, daß sie das Blut nicht mehr aufnehmen und zurückhalten konnten, die Tropfen lösten sich schneller los, sie fielen zahlreicher zu Boden nieder, und bald hatten sich auch hier kleine Blutlachen gebildet. Das Hochhalten der Hände mußte dem Manne Schmerzen bereiten, er biß die Zähne fest zusammen; auch die Augen wurden auf einige Augenblicke lebhaft, sie richteten sich fest, aber stier und stechend auf mich. Das währte jedoch nur ganz kurze Zeit, die Kräfte schienen zu schwinden, die Arme fielen schlaff hernieder, der Mund blieb geschlossen, kein Wort begleitete diese Bewegungen.

„Wer sind Sie?“ fragte ich, um dieser peinlichen Scene ein Ende zu machen.

„Ich bin der Actuar Thürbeck,“ entgegnete der Mann mit matter, leiser Stimme.

„Aber was wollen Sie denn hier? Ich habe keine Anweisung, Sie in das Gefängniß aufzunehmen.“

„Das weiß ich. Sie müssen mich aber dennoch aufnehmen. Ich bin ein Verbrecher, sogar ein schwerer Verbrecher, Sie dürfen mich nicht wieder aus diesen Räumen lassen.“

„Was haben Sie, Herr, gethan?“

Thürbeck stierte vor sich nieder, er antwortete nicht, aber in seinem Gesicht zuckte jede Muskel. Einige Male machte er den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_763.jpg&oldid=- (Version vom 5.12.2022)