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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

dreimal im Brunnen unter, und dann bist ein richtiger Hüglinger-Bub …“

„Und wenn Du nit willst,“ rief Martl wieder, „dann hast Du’s mit allen Burschen in der ganzen Gemeind’ zu thun; dann leiden wir Dich nit und wollen Dir’s schon so salzen, daß Du gern wieder gehst …“

„Laßt mich in Ruh’,“ erwiderte Wendel, als er zu Worte kam, „ich will in der Gemeind’ bleiben, als ein ordentlicher Bursch und will gut auskommen mit Euch Allen … aber solche Sachen mach’ ich nit mit. … Also aus der Bahn! Das ist mir zu dumm!“

„Was? Schimpfen willst Du auch noch?“ schrie es ihm zugleich aus einem Halbdutzend Kehlen entgegen. „Packt an, Buben, jetzt muß er erst recht geschutzt werden …“ Im nächsten Augenblick war er umringt und die Bursche hingen von allen Seiten an ihm, wie eine Meute, die das erreichte Wild zu Boden zerren will. Diesmal aber waren sie wirklich an den Unrechten gekommen; mit einer Kraft, die sie dem sehnigen Burschen nicht zugetraut hatten, fühlten sie sich bald geschüttelt und hinweggeschleudert, daß sie wie reife Nüsse zu Boden kollerten – ein paar der Hartnäckigsten faßte Wendel am Nacken und stieß sie aneinander, daß sie verblüfft standen und keine Miene machten, den Sieger, der sich eilig davon machte, zu verfolgen. Stumm und ärgerlich sahen sie einander an, schüttelten Koth und Staub von den Kleidern, und Martl, nachdem er seine fünf Sinne zusammengelesen, ballte ihm die Faust nach und rief: „Lauf’ nur zu, wir holen Dich doch schon ein und dann raiten wir schon ab miteinander!“

Inzwischen war Christel eilenden Schritts in die Nähe des Bergwirthshauses gekommen, aus dem ihr schon von ferne Schreien und Singen entgegen tönte. „Das ist einmal spaßig,“ sagte sie, indem sie aufhorchend einen Augenblick anhielt, „das ist gerad’ als wenn das die Stimm’ vom Vater wär’ … aber das kann ja doch nit sein; das Gehör muß mich täuschen …“

Jetzt hatte sie das Haus erreicht und die Thür geöffnet und blieb auf der Schwelle stehn, wie versteinert von dem Anblick, der sich ihr bot. „… Vater …“ wollte sie rufen, aber das Wort erstarb ihr in der Kehle, denn der, den sie so zu nennen gewohnt war, war kaum wieder zu erkennen. Das graue halbkahle Haupt glühte vom Uebermaß des genossenen Weins, die Augen starrten, und die Zechgenossen, die zuletzt selbst ihren Spott mit ihm getrieben, hatten die Stöpsel der geleerten Flaschen an eine Schnur gereiht und ihm wie eine Halskette umgehängt, auf die der Betrunkene in blödem Stolz lachend herniedersah. Als er die Tochter erblickte, mochte ein Gefühl in ihm aufdämmern, wie weit er sich vergessen habe; etwas unsicher erhob er sich und rief ihr lallend entgegen: „Kommst endlich, Christel? Hast mich lang genug warten lassen … jetzt setz’ Dich auch her zu mir und laß Dir’s schmecken; ich hab’ heut’ meinen lustigen Tag. … Trink’, sollst leben, Christel, und Dein Hochzeiter daneben!“

Die Erstarrung des Schreckens wich aus Gliedern und Antlitz des Mädchens; dafür quoll ihr Gemüth über vor Entrüstung und Scham. „Vater,“ rief sie und stand mit ein paar Schritten am Tisch, „was soll das geben? Da seh’ ich wohl, daß ich lang ausgeblieben bin, aber ich hab’ nit gewußt, daß der Feichtenbauer ist wie ein kleines Kind, das man keine Stund’ allein lassen darf …“ Dabei hatte sie mit fester Hand die Schnur mit den Stöpseln ergriffen, abgerissen und mit Abscheu wie ekles Ungeziefer weithin in die Stube geschleudert.

In dem umnebelten Gehirne des Alten begann es immermehr sich zu lichten; das Gefühl begangenen Unrechts und die Beschämung, vor dem eigenen Kinde so dazustehn, stieg immer mächtiger in ihm auf, aber noch behaupteten die wilden Geister die Oberhand und wandelten das Schamgefühl in Erbitterung gegen die, welche es hervorgerufen. „Was unterstehst Du Dich, Du Balg?“ schrie er auftaumelnd. „Willst Du Dich an Deinem leiblichen Vater vergreifen? …“

„Gott soll mich bewahren vor einer so schweren Sünd’,“ erwiderte Christel fest, „aber wo Gefahr ist, fürcht’ ich mich nit, zuzugreifen! Du weißt, Vater, daß Dir der Wein verboten ist, weil er Gift für Dich ist … Du weißt, was Du verlobt hast, weil die Schmerzen nachgelassen haben in Deinen Händen … ist das die Manier, wie der Feichtenbauer sein Wort halt?“

„Christel,“ rief der Alte wieder, indeß die Zechgenossen sich allmählich bei Seite stahlen, „red’ nit so mit Deinem Vater – ich vertrag’s nit! Ich bin der Herr vom Haus: was ich sag’, das muß geschehn und was ich thu, muß einem Jeden recht sein … also widersprich mir nit, sondern setz’ Dich her zu mir und bleib’ da – ich hab’ Dir ’was Wichtiges zu sagen …“

„Ich bleib nit, Vater,“ entgegnete sie, „aber ich bitt’ Dich dafür, mach’ Schand und Spott ein End, und laß einspannen, daß wir heimkommen!“

„Ich will aber noch nit heim,“ lärmte er entgegen, „ich will nit eher heim, als bis mein Schwiegersohn da ist …“

„Vater …“ sagte Christel erröthend und etwas verwirrt, weil sie die Rede nicht zu deuten wußte, „so ’was gehört nit da her in die Wirthsstuben! Geh’, Vater, ich bitt Dich noch einmal, was ich bitten kann, laß’ einspannen … mach’, daß wir heimkommen!“

„Ich will nit,“ rief der Alte und machte sich los, als sie ihn am Arme gefaßt hatte, „ich muß warten, bis mein Schwiegersohn, der Domini, da ist … und ich will Dir’s nur sagen, Christel, der Domini wird Dein Mann, ich hab’s ihm versprochen und will haben, daß Ihr einander gleich da in meiner Gegenwart das Jawort gebt!“

„Der Wein redt aus Dir, Vater,“ entgegnete Christel unwillig … „wenn’s um mein Jawort geht, muß ich zuerst gefragt werden – dafür hab’ ich Dein Wort; das aber weiß ich gewiß, der Domini kriegt’s nit!“

„Was, Du willst Dich sperren gegen mich?“ rief der Bauer … „Jetzt soll’s erst recht so sein ... Wenn er nur gleich da wär’ … Domini, Schwiegersohn, wo steckt er denn?“

„Da bin ich, Feichtenbauer,“ erwiderte der Bursche, der eingetreten war und mit boshaftem Lachen sich mitten in die Stube stellte, „mußt mich aber recht verstehn,“ fuhr er fort, „der Domini ist da – aber mit dem Schwiegersohn ist es nichts! Hast die Rechnung ohne den Wirth gemacht, Feichtenbauer, und spürst gar nit, daß der Marder schon im Taubenschlag ist … wirst doch das Gesangl kennen, das uralte:

Die Liebschaft im Haus
Ist gar selten ein Gwinn:
Was D’ in Schuhen ersparst,
Geht in Strümpfen dahin …“

Dem Alten war’s, als würde er plötzlich mit eiskaltem Wasser übergossen. „Wie wär’ das …“ stieß er mit unsicherer Stimme heraus, indem sein Rausch immer mehr zu verfliegen begann … „Was soll denn das eigentlich heißen?“

„Das soll heißen, daß Du zu spät gekommen bist,“ höhnte Domini, „und daß Deine Tochter Dir schon einen Schwiegersohn ausgesucht hat.“

„… Christel …“ stammelte der Alte, während das Mädchen, überrascht von der Entdeckung, die sie so plötzlich und schlimm hereinbrechen sah, keines Wortes mächtig vor ihm stand.

„Freilich,“ fuhr der Bursche immer giftiger fort, „ob’s Dir recht sein wird, das weiß ich justament nit … das einzige Kind von dem steinreichen Feichtenbauern und ein armseliger Berglerbub, ein nothiger Bauernknecht …“

Der Bauer war vollständig nüchtern geworden; er stürzte auf Domini los und packte ihn am Halse. … „Wer?“ würgte er hervor. „Red’, Kerl, oder ich erdrossel’ Dich … Red’ und gesteh’s ein, daß Du gelogen hast … oder sag’ wer?“

„Laß meinen Janker los,“ sagte Domini und schob ihn unsanft von sich. „Was fragst mich, wenn Du’s nit glauben willst? Da steht ja Deine Tochter selber … sie soll sagen, ob ich sie nicht angetroffen hab’ bei dem Schönthun und Spenzeln … sie soll sagen, ob sie’s nicht mit Deinem Knecht hat, dem Wendel …“

Der Alte brachte keinen Laut hervor, einem halb Wahnsinnigen ähnlich, stand er mit geballten Fäusten vor Christel, als wolle er die Antwort in ihren Zügen lesen, um sie dann zu Boden zu schmettern. Das Mädchen, das im Bewußtsein seiner Reinheit und Unschuld sich selber wiedergefunden hatte, überhob ihn der Mühe weitern Forschens. „Es ist mir zwar nit lieb, daß Du’s auf diese Weis’ erfahren mußt, Vater,“ sagte sie, „ich hätt’ Dir ohnehin heut’ Alles noch selber erzählt … aber es ist wahr, Vater, vor einer Stund’ hab’ ich mit dem Wendel gesprochen, da habe wir einander das Jawort gegeben. …“

„Das unterstehst Du Dich ohne mich?“ schrie der Alte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 772. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_772.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)