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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Deutsche Energie und Ausdauer!

Am 20. October 1869 brachte die gesammte Presse Amerika’s die Nachricht, daß Tags zuvor um zwei Uhr Nachmittags unter Musik und Kanonendonner und den sonstigen entsprechenden Feierlichkeiten die ersten Arbeiten am Sutro-Tunnel im Staate Nevada in der Nähe von Virginia-City begonnen wurden. Nicht umsonst erregte diese Nachricht das größte Interesse, ja in vielen Kreisen eine ungeheure Sensation, denn seit vier bis fünf Jahren hatte das Project dieses großartigen Werkes die Aufmerksamkeit nicht blos des fernen Westens, sondern der ganzen Vereinigten Staaten auf sich gezogen.

In Californien und Nevada befinden sich bekanntlich die bedeutendsten Silber- und Goldminen der Welt und keine derselben ist reicher und ergiebiger, als die sogenannte Comstock-Lode, deren Ertrag in jedem der letzten Jahre sechszehn Millionen betrug – soviel wie das ganze Mexico zusammen producirt. Und diese Schätze sind alle nahe der Oberfläche gefunden, denn von Minen nach europäischen Begriffen, in großen Tiefen und nach wissenschaftlichen Principien, ist hierorts nie die Rede gewesen. Und deshalb ist auch bei dieser oberflächlichen Betriebsweise die Thatsache nicht erstaunlich, daß die Unkosten, das Metall zu Tage zu fördern, ungeheuer groß waren, und von diesen sechszehn Millionen nur fünfmalhunderttausend Pfund Reinertrag übrig blieben. Wo nämlich die eine Grube von reichster Ergiebigkeit ist, da sind wieder andere völlig arm an Erzen, und in der Hoffnung, tiefer auf ergiebige Adern zu stoßen, arbeitet man weiter, und es steigt der Kostenaufwand ungeheuer und in vielen Fällen ohne irgend welches versöhnende Resultat.

Es war in der That wunderbar, daß der praktische Amerikaner nicht längst auf erfolgreichere Ausbeutung dieser enormen Gold- und Silberlager verfallen war, wenn nicht auch zugleich sein eigenthümlicher Charakterzug, rasch an’s Ziel seiner Bestrebungen zu gelangen und schnell die Früchte seiner Arbeit genießen zu wollen, in Erwägung gezogen wird.

Dem speculativen Geist eines unserer Landsleute, Adolph Sutro, aus Aachen gebürtig, aber seit einigen zwanzig Jahren einer der thätigsten und geachtetsten Bürger San Francisco’s, der in jenen Gegenden großen Landbesitz hatte, entsprang zuerst die Idee einen sogenannten Stollen zu bauen, der, die Comstock-Lode gerade durchschneidend, nach verschiedenen Richtungen hin sich in Zweigtunnels ausdehnen sollte. In einer Tiefe von zweitausend und mehr Fuß angelegt, sollte der Hauptstollen vier Meilen lang, zwölf Fuß breit und zwölf Fuß hoch werden, weit genug um zwei Karren, einen hinein, den anderen hinaus zu befördern, und noch Raum unter denselben für einen Canal zum Abzug des Wassers übrig lassend.

Sutro’s Plan fand rasch den Beifall einiger unternehmender hervorragender Bürger Californiens und Nevada's, und man beschloß, denselben mit Aufwand aller zu Gebote stehenden Mittel durchzuführen. Niemand verhehlte sich die ungeheuren Schwierigkeiten, die von allen Seiten der Ausführung entgegentreten würden – jedoch der Muth der Ueberzeugung stählte die kleine, kühne Gesellschaft. Man sicherte sich zuerst die Rechte einer Corporation von der Legislatur Nevada’s und begann dann die vielseitigen Operationen.

Man hatte Sutro zum bevollmächtigten Agenten ernannt, und Senator Stewart von Nevada zum Präsidenten. Letzterer jedoch wurde bald nachher von der Compagnie aufgefordert zu resigniren, da man es nicht zulässig fand, daß ein Betheiligter an den Interessen im Vereinigten-Staaten-Senat sei, an den man Ansprüche zu machen vorhatte. Man erwählte an Stewart’s Stelle jetzt Sutro zum Präsidenten der Gesellschaft, und in dieser Eigenschaft begab sich derselbe nun nach Washington. Es galt von der Regierung Concessionen zu erlangen, die das Zweckmäßige und Ersprießliche des Unternehmens durch ertheilte Rechte beweisen sollten. Niemand war geeigneter sich diese Vorrechte zu erkämpfen als der energische, geistigen und physischen Strapazen vollkommen gewachsene, von Feuereifer für die endlosen Vortheile seines Projectes durchdrungene, kühne, rastlos thätige Präsident der Gesellschaft. Rastlos vertrat er die ihm anvertrauten Interessen mit Wort und That und Schrift, wie es schwerlich ein Anderer gekonnt hätte. Ohne Furcht und mit wunderbarer Gewandtheit plaidirte er für seine Sache, die Sache der armen Minenarbeiter, aber hauptsächlich für die Sache des Landes überhaupt. Und die klugen, berechnenden Amerikaner stutzten vor den enormen Vortheilen, die eine richtige Ausbeutung der von den bedeutendsten Geologen geprüften und bewiesenem Reichhaltigkeit der Comstock-Lode mit sich bringen würde. Sutro kannte den Charakter der neuen Landsleute zu genau, um ihnen mit Theorien gegenüber zu treten, darum brachte er Zahlen und Facten, genau bewiesen, sorgfältig gesammelt, und er imponirte ihnen so sehr, daß man, als man die Richtigkeit seiner Behauptungen einsah, Concessionen machte, wie nie einer derartigen Gesellschaft zuvor zu Theil geworden waren.

Die Legislatur von Nevada brachte Sutro nach seiner Rückkehr von Washington eine Dankadresse dar, denn sie kannte zu wohl den unendlichen Werth, den diese Errungenschaften und ihre Folgen für den Aufschwung des Staates haben müßten.

Im Auftrage der Compagnie bereiste Sutro demnächst Europa, um das Bergwesen dort zu prüfen und die bedeutendsten Tunnels zu besichtigen. Zugleich auch sollte er untersuchen, ob in der finanziellen Welt Europa’s irgend welche Chancen vorhanden seien, die Anleihe mehrerer Millionen für den kostbaren Stollenbau zu realisiren. Hier fand er das Letztere unthunlich, und so kehrte er nach mehreren Monaten nach Amerika zurück.

Er versuchte nun die Geldfürsten New-Yorks für die Sache zu gewinnen; allein durch den Rückschlag der Geschäfte in Folge des amerikanischen Bürgerkrieges (der sich noch bei Weitem fühlbarer macht, als man in Europa anzunehmen geneigt ist) zurückhaltend und vorsichtig geworden, hielten diese ihn von einer Woche zur anderen hin mit unbestimmten Versprechungen. Endlich verlor er denn doch die Geduld und reiste plötzlich nach Washington ab, um bei dem mittlerweile wieder versammelten Congreß sein Heil zu versuchen. Er stellte nun der Regierung vor, daß sie, wie das ja auch überall in Europa der Fall ist, das Bergwesen in die eignen Hände nehmen sollte, da in den reichen Schätzen Californiens und Nevadas allein genug Reichthum liege, um die ungeheure Staatsschuld nach und nach zu decken.

Er gewann die einflußreichsten politischen Persönlichkeiten für seine Ansicht; Alles schien Erfolg zu versprechen – seine Bill sollte in kürzester Zeit dem Congreß zur Abstimmung vorgelegt werden – die Mehrzahl der Mitglieder desselben wollte für die Sache stimmen; da urplötzlich schien irgend eine böse Macht gegen ihn zu agiren, man legte im Congreß seine Eingabe bei Seite und ging zu anderen Fragen über, und dann vertagte man sich und die unerörterten Bills bis zum nächsten Jahr.

Jeder Andere würde nach den ungeheuren pecuniären Opfern, die er gebracht, nach den tausend Schwierigkeiten, die sich ihm entgegengestellt hatten und die zu analysiren hier zu weitläufig wäre, entmuthigt worden sein bei der Entdeckung, daß eine imfame Intrigue gegen den Erfolg der Sutro-Tunnel-Compagnie arbeite – nicht so die kleine kühne Gesellschaft selbst, am wenigsten ihr Präsident.

Ungeschwächt im Vertrauen auf die Trefflichkeit seiner Unternehmung für das Wohl und das Aufblühen des ganzen Landes, reiste er im letzten Frühjahr wieder nach Nevada ab, um im Verein mit den anderen Mitgliedern der Gesellschaft über die ferneren Schritte zu berathen. Hier in Nevada spielte der Zufall ihm jüngst eine Depesche in die Hand, die als Schlüssel zur Enträthselung der gegen sie arbeitenden Intrigue diente. Eine gewisse Bank, das mächtigste Finanzinstitut des fernen Westens, die mit Actien bei der jetzigen Minenbearbeitung in enormer Weise betheiligt ist, eine Bank, die das ganze Geldmonopol bis kürzlich in Händen hatte und in jenen Minenregionen unumschränkt herrscht und sich durch den Schweiß des armen Arbeiters gottlos bereichert hat, ein Institut, das zum Fluch statt zum Segen geworden ist, hatte unter den Nevada-Senatoren in Washington Einen zu gewinnen gewußt, der Alles aufbieten sollte, den Einfluß und Erfolg der Sutro-Tunnel-Compagnie zu vernichten. Die Depesche gab die zweifelhaftesten Instructionen – sie waren nur zu genau befolgt worden!

Sutro war wüthend über diese Infamie. Und wie er stets

das Interesse des armen Arbeiters ebenso sehr im Auge gehabt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 784. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_784.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2022)