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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

lebte die liebenswürdige Greisin in ihrem Gott zufrieden ihre Tage, heiter und froh die Früchte ihres Fleißes genießend, heiter und froh die Würde und die Bürde des Alters tragend. Dankbar gegen Gott und Menschen, in ruhiger Heiterkeit und Klarheit der Seele und des Geistes wird sie sicher auch von dem Licht dieser Welt geschieden sein, hinzugehen dorthin, wo wir jenes große „Vielleicht!“ aufzusuchen haben.

C. Sp.     




Moderne Geister-Offenbarungen.

Die Lehre der Spiriten. – Sitzung im Breslauer Verein. – Spiritistisches Abenteuer in München.

Der Spiritismus oder Spiritualismus (Geisterlehre), seit dessen erstem Auftauchen nun gerade zwei Decennien verflossen sind, macht in der letzten Zeit wieder da und dort so viel von sich reden und beschäftigt die Gemüther in so lebhafter Weise, daß ich nur den Dank der Gartenlaube-Leser zu verdienen glaube, wenn ich heute über diese mitten in dem realistischen Treiben unserer Tage so seltsam dastehende Erscheinung einen nach den räumlichen Verhältnissen des Blattes eingehenden Bericht erstatte.

Die Lehre der Spiriten, Spiritisten oder, wie sie namentlich in Amerika heißen, der Spiritualisten, ist ungefähr folgende: In der Natur zeigt Alles eine stufenweise Entwicklung, nirgends finden wir eine Kluft, überall fortschreitende, naturgemäße Entwicklung, aus welcher zuletzt durch Gottes Willen und Allmacht der Mensch hervorging. Dieser besteht von Geburt ab gewissermaßen aus drei Theilen: dem Körper, dem Geiste und dem „Fluidum“, einem Theile des Urfluidums, woraus, nach der Ansicht der Spiritisten, die Welt erschaffen. Letzteres, eine Art Aether, hat den ganzen Körper des Menschen durchdrungen, ist in ihn „versenkt“ und vermittelt dessen sinnliche Wahrnehmungen seinem unsterblichen Geiste. Es nur empfindet, fühlt (das Schöne, Gute) und ohne dasselbe würden Körper und Geist nie in Beziehungen treten können. Der Tod des Menschen erstreckt sich nur auf seinen Körper; das Fluidum mit dem Geist wandert in eine andere Welt, ersteres als neuer unsichtbarer Leib des Geistes. Alle Leidenschaften des Individuums, welche hienieden der freie Wille nicht besiegt hatte, behält es, vermag aber, in Abwesenheit des Körpers, nicht diese zu befriedigen; der fluidale Leib leidet daher mehr oder weniger Qual und Pein, die sich verringern, wenn der Geist die ihm drüben vom Schöpfer noch immer und in reichem Maße ertheilten Winke und Rathschläge benutzt und sich bessert. Jeder Geist im Jenseits kann, wenn er will, mit den Menschen in Verbindung treten, respective mit den in diese „eingekörperten“ Geistern, indem er sein Fluidum auf das Fluidum des betreffenden Menschen wirken läßt, der dann Medium wird und heißt.

Der Spiritist will nicht Geister beschwören, da er wohl weiß, daß es von dem freien Willen des Geistes abhängt, ob er sich mittheilen wolle, oder nicht; dabei kommt es noch darauf an, ob diejenige Person, welcher er sich mittheilen will, auch die nöthigen Eigenschaften besitzt, damit sie ihm als Medium zu einem schriftlichen Verkehre dienen könne; das heißt, es hängt davon ab, ob das Fluidum eines Geistes und dasjenige des Menschen (eines Mediums) so geartet sind, daß sie sich verbinden können; denn nur in diesem Falle kann ein Geist auf den Organismus eines Menschen wirken. Das Fluidum des Mediums, das mit seinem Nervensystem eng verbunden ist, muß also im Stande sein, dem Geiste als Leiter zu dienen.

Die Manifestationen der Geister sind zweierlei: intelligente oder physische. Die ersteren geschehen bewußt, indem das schreibende Medium mit Wissen sich dem Willen des sich offenbarenden Geistes überläßt, oder unbewußt, indem Dichter, Denker, Künstler ihre Gedanken von außen durch den Geist mitgetheilt erhalten (Inspiration). Die physischen Manifestationen sind diejenigen, mit welchen die Geister auf das Gehör, Gesicht (durch persönliche Erscheinung), ja selbst auf das Gefühl wirken. Die Spiritisten weisen den Vorwurf, sie seien bemüht, durch die Manifestationen der Geister voreilig den Schleier von Dingen zu ziehen, die Gott absichtlich verhüllt habe, mit der Bemerkung zurück, daß die „schlechten oder leichtsinnigen“ Geister überhaupt Nichts mittheilen können, weil sie Nichts wissen, daß sie vielmehr den Menschen durch Lügen und Vorspiegelungen zu ärgern suchen – daß aber die guten Geister, wenn sie Etwas mittheilen, dies nur mit Erlaubniß und auf Veranlassung Gottes thun.

Dies ungefähr sind die Grundlehren des Spiritismus, dessen Anhänger, auf zehn bis zwölf Millionen geschätzt, über alle fünf Welttheile verbreitet sind. Eine zahlreiche periodische Literatur (in Amerika erscheinen allein vierzehn spiritistische Journale, während die Zahl der über diesen Gegenstand dort erschienenen Bücher auf mehr als vierhundert angegeben wird) vermittelt den Verkehr zwischen den einzelnen Vereinen und Gesellschaften, die in Frankreich, Italien, Spanien, England, Rußland, Mexico bestehen und in den allerletzten Jahren sich auch in Pesth, Lemberg, Prag, sowie in mehreren Städten Deutschlands, wie Wien, Leipzig, Breslau etc. constituirt haben.

Ueber den Spiritistenverein in der letztgenannten Stadt nun bin ich in der Lage, detaillirtere und um so zuverlässigere Mittheilungen zu machen, als ich der Berichterstattung für die Gartenlaube halber dem Vereine beitrat und seinen Sitzungen persönlich beiwohnte. Der Bericht dürfte auch darum Anspruch auf Beachtung haben, weil seine Schilderung so ziemlich auf das Treiben aller anderen Vereine anwendbar sein wird.

Die Gesellschaft der Spiritisten zu Breslau, an deren Spitze als Leiter ein homöopathischer Arzt steht, will alle Thatsachen aus spiriten Erfahrungen studiren und auf das moralische Seelenleben anwenden, wobei alle Erörterungen über Politik und confessionell-religiöse Streitfragen ausgeschlossen bleiben. Zuerst benutzte man, um mit nicht eingekörperten Geistern sich in Verbindung zu setzen, den Psychographen, das heißt eine hölzerne Maschine, bestehend aus einer beweglichen Vorrichtung mit einem Zeiger, dem ein Alphabet untergelegt wurde, die dadurch in Bewegung nach den Buchstaben gerieth, daß Jemand, welcher das nöthige Fluidum besaß, an jenem Zeiger mit seiner Hand festhielt. Zuerst wurden so Buchstaben, dann Worte und zuletzt ganze Sätze gegeben, welche mit der Verstandeskraft und dem Wissen des Anhaltenden in keiner Verbindung stehen konnten. Später zeigten sich somnambule Media, dann geistig Inspirirte, welche, ohne zu schlafen, über hohe, geistige Dinge sprachen, die weit über dem eigenen Fassungs- und Ideenkreis des Inspirirten lagen. Zuletzt entwickelte sich das sogenannte inspirirte Schreiben, bei welchem ein Medium eine Feder ergreift und nun, ohne zu sprechen, dasjenige aufzeichnet, was der citirte Geist ihm eingiebt, und ihm folgte das inspirirte Sprechen.

Der Breslauer Verein bemüht sich nun, alle die oben geschilderten Lehren und Einrichtungen zur moralischen Vervollkommnung seiner Mitglieder zu benutzen und theils durch eigene Experimente, theils auch aus medianimischen Schriften, wie z. B. „das Licht des Jenseits“ von Constantin Delhez, einer spiritischen Monatsschrift, sich zu erbauen. Gegenwärtig zählt der Breslauer Verein nur zwanzig Mitglieder, besitzt aber doch mehrere sehr ergiebige Medien, nämlich einen männlichen Somnambulen, der aber ziemlich passiv ist, einen vierzehnjährigen Knaben, den Sohn des oben erwähnten Vereins-Leiters, der als Inspirirter durch einen geistigen Führer spricht, zwei Frauen, welche an dem Psychographen durch Magnetismus aus Mittheilungen geistiger Führer Belehrungen im Sinne der reinsten Moral erhalten, und endlich vier medianimisch schreibende Männer.

Dies sind die activen Mitglieder des Breslauer Spiritisten- Vereins, der jede Sitzung mit den Worten: „Gott! Setze Dich. Ich bin August X, Wilhelm Y oder Peter Z!“ beginnt und jede mit der Weisung. „Nun, Adieu, höre auf!“ schließt. Darunter sind jedoch nicht die Zusammenkünfte der Vereinsmitglieder, sondern die Sitzungen des sogenannten Anhaltens und Inspirirtwerdens zu verstehen.

Nachdem ich die allgemeinen Grundlehren des Spiritismus, wie sie mir theils aus Studium, theils aus Anschauung bekannt geworden, schilderte, will ich jene geheime Spiritisten-Sitzung beschreiben, welcher ich beizuwohnen Gelegenheit hatte. Sie fand zu Breslau am Sonntag, den vierzehnten November 1869, Vormittags 91/4 Uhr statt, und um für sie Zutritt zu erlangen, mußte ich Mitglied des Spiritisten-Vereins werden, als welches

ich zu der Sonntags-Sitzung besonders eingeladen worden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_795.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2022)