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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Abend“ Seine Majestät in waadtländischem Patois gefragt, ob er auch Schalen und Tassen für die vielen Mäuler mitgebracht; Milch habe er wohl genug, aber gar wenig Geschirr.

Er machte indessen Feuer auf dem Heerde, hängte einen großen Kessel Milch darüber, und als sie abgekocht war, kamen auch die letzten Wanderer vom Paneyrossaz-Gletscher an. Auch nicht Einer fehlte, da es zum Essen ging, und das halbe Dutzend Schüsselchen und Schalen von verschiedenstem Kaliber wanderte von Mund zu Mund. Es wurde spät, ehe die letzten Sechs abgefüttert wurden, aber sie hatten dann auch den Vortheil, ihr Brod in die warme Milch brocken zu dürfen, was den Ersteren als ein zu zeitraubendes Geschäft nicht gestattet war. Eine zweite Auflage desselben Gerichts blieb nicht aus, zu einem Kännchen Kaffee sogar war Stoff vorhanden, wie der Alte schmunzelnd bemerkte, und als er nun gar noch einige Flaschen Wein herbei zauberte, die er im Frühjahr für fremde Gäste mit auf die Alp genommen, da drückten wir ihm zärtlich die Hände und tranken auf das Wohl des Meisters Senn von Enzeindaz. Die Jungen suchten allmählich ihr Nachtlager auf den Heuböden der zerstreuten Hütten. Ein einziges Bett, gestand jetzt unser Wirth, könne er uns anbieten, und es wurde mir, als dem Aeltesten der Truppe, großmüthigst zugesprochen. Dies Bett war reinlich überzogen, die dürren Blätter, die seinen Hauptbestandtheil ausmachten, waren aufgeschüttelt worden und raschelten bei jeder Bewegung, die meine müden Glieder sich erlaubten; einige Ziegenfelle ersetzten den Luxus der wärmenden Decke. Es wurde stiller und stiller in den Hütten, die Müdigkeit, welche Alle ohne Ausnahme beherrschte, ließ keinen Schelmenstreich aufkommen, der Traumgott allein trieb sein neckisches Spiel mit den jugendlichen Schläfern und nur das Blöken der Heerden und ihr helles Geläut unterbrach die Stille der Nacht.

Der Rutsch im Schnee auf dem Plateau des Sanetsch.
Nach der Natur aufgenommen von Bachelin.

Um vier Uhr Morgens wurde die Tagwacht geblasen, aller Ecken und Enden krochen fröhliche Gesichter aus dem Heu, das Frühstück war schnell besorgt; die Schalen warmer Milch gingen wieder von Mund zu Mund und ein Stündchen später waren wir auf dem Marsch. Ueber blumige Triften, zwischen weidende Heerden führte dieser Pfad, erst sanft, dann steiler ansteigend, nach dem Col de Cheville, der Grenze von Waadt und Wallis. Wir waren seit Beginn unserer Reise vom schönsten Wetter begünstigt, wiederum war kein Wölkchen am Himmel, und die weißen Firnen der Diablerets schimmerten und glitzerten unter den schrägen Strahlen der Morgensonne. Von der Höhe des Passes bot sich uns plötzlich das schauerlich ergreifende Bild des von den Trümmern der Diablerets verschütteten weiten Thales. Auf den Diablerets ereignen sich bekanntlich zuweilen ungeheure Felsstürze, wie deren im Jahre 1714 in einem Bezirke von drei Stunden unter fürchterlichem Dampfen und Krachen niedergingen und in sich mehrere Hütten, Heerden und sechszehn Alpenhirten begruben. Sie zerstörten viele große Wälder, welche als Dämme gegen Schneelawinen gedient hatten, herrliche Weiden lagen heute noch unter den haushohen Felsenblöcken begraben und die Hirten erzählen sich schauerliche Geschichten von schrecklichen Kämpfen, die nächtlich zwischen Walliser und Waadtländer Teufeln auf den Trümmern der Diablerets stattfinden und wobei die Steine als furchtbare Geschosse hin und wider fliegen.

Rührend ist die Erzählung von einem der Hirten, welcher bei diesem entsetzlichen Bergsturz auf wunderbare Weise sein Leben

rettete. Eine breite Felswand hatte sich nämlich quer über seine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 799. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_799.jpg&oldid=- (Version vom 16.12.2022)