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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

mit der vernichtenden Klarheit des Blitzes erkannte, zwischen dem Glück und ihm eine unausfüllbare Kluft aufgerissen hatte. …

„Da ist mir gewesen,“ schloß Wendel die entsetzliche Beichte, „als wäre Jemand bei mir gewesen und hätt’ mir in Einem fort in’s Ohr geschrieen: Kehr’ um! Vielleicht ist es noch Zeit … vielleicht kannst Du’s noch ungescheh’n machen … kehr’ um! Da bin ich wieder zurück zum Feichtenhof … mehr todt als lebendig! Ich hab’ gemeint, die Kniee brechen mir ein, wie ich ihn von fern hab’ liegen sehen, denn ich hab’ nit anders gedacht, als daß jeden Augenblick das Feuer daraus aufschlagen wird. … Aber ich bin noch hingekommen, bin hinein in den Stadel … das Heu muß nit ganz trocken gewesen sein, es hat wohl an allen Ecken geglost … es hätt’ nur ein Lüft’l gebraucht, so hätt’s angefangen zu brennen … da hab’ ich Alles ausgedrückt und ausgetreten mit Händen und Füßen, dann bin ich wieder hinaus in den Wald und auf die Knie’ niedergefallen und hab’ unserm Herrgott gedankt …“

Christel hatte sich staunend aufgerichtet. „Wie? Du hast es wieder ausgelöscht?“ fragte sie hastig. … „Wie ist es aber doch gekommen, daß …“

„Weil unser Herrgott,“ murmelte Wendel dumpf, „von mir nichts mehr wissen will, weil er mein Gebet verworfen hat und meine Reu’ … es muß doch ein Funken übrig geblieben sein und muß gefaßt haben … mitten unter meinem Beten hat das helle Feuer aufgeschlagen vor meinen Augen …“

Er verstummte; auch das Mädchen wußte und vermochte nichts zu erwidern; wie sie im gemeinsamen Entzücken verstummt waren, hielt auch der Schmerz sie gleichmäßig schweigend gebannt.

„O Du armer, armer Mensch,“ rief Christel zuerst, „hat’s so weit kommen müssen mit Dir! Wie hast Dir selber so ’was anthun können!“

„Wie?“ rief Wendel entgegen; „Du red’st nur von mir und giebst mir nit einmal ein einzig’s hartes Wort? O Du leibhaftiger Engel vom Himmel herunter! Aber ich will all’ meiner Lebtag nichts thun als arbeiten und wenn mir das Blut aus den Fingern spritzt, ich will nit rasten, bis ich Alles wieder ersetzt und gut gemacht hab’ …“

„Thu’ das, Wendel,“ sagte das Mädchen ergriffen, „aber thu’s wegen Dir selber! Mir ist es nit um den Reichthum, um das bissel Hab’ und Gut … das verzeih’ ich Dir, aber daß Du – Du, den ich für den bravsten Menschen gehalten hab’, auf den ich Häuser gebaut hätt’, daß Du Dich selber so hast zu Schanden gemacht. … O Wendel, Wendel, Du wirst viel thun müssen, wenn ich Dir das verzeihen soll. … Jetzt ist es freilich wahr, daß Du fort mußt, in die Welt, über’s Meer, in ein Land, wo Dich Niemand finden kann!“

„Fort! Von Dir fort!“ klagte er. „Ich werd’s nit können, Christel … ich seh’s jetzt erst ein, was das heißt! – Ich kann nit leben ohne Dich!“

„Du wirst es müssen,“ entgegnete sie traurig, „Du hast uns das Schicksal selber aufgesetzt! Und Du mußt eilig fort, Du hast keinen Augenblick zu versäumen. … Geh’, geh’, mich überkommt auf einmal eine unbeschreibliche Angst, als wenn mir noch ein großes Unglück bevorstehn thät. … Wenn sie Dich finden, wenn ich sehn müßt’, wie sie Dich gebunden fortschleppen … es wär’ mein Letztes … Wendel, ich bitt’ Dich um Gotteswillen, befrei’ mich von der Angst und geh’ …“

„Ich gehe schon,“ erwiderte er zögernd, „ich will ja gehn – sag’ mir nur noch ein einziges Mal, daß Du mich nit verachtest, Christel … daß Du mich nit ganz und gar verloren giebst – daß Du nit im Zorn an mich denken willst …“

„Mach’, daß Du Dir’s selber verzeihen kannst,“ sagte sie weich, „von mir aus ist Dir Alles verziehen – ich werd’ Dich nie vergessen, Wendel, da hast meine Hand darauf! … Ach Du lieber Gott, ich könnt’s ja nit, wenn ich auch wollt’ …“

Sie streckte die Hand durch’s Gitter, die er ergriff und mit Küssen bedeckte; als sie dieselbe sachte zurückzog, kam sie wie zum Segen auf seinen Scheitel zu liegen.

„B’hüt’ Dich Gott,“ schluchzte sie, „wenn es sein kann, laß mich von Dir ’was hören – und denk’ an mich. …“

Sie wankte vom Fenster hinweg; wohl rief die vertraute Stimme draußen zärtlich ihren Namen und bat um einen letzten Blick, ein allerletztes Lebewohl; sie zwang sich zu schweigen, bis das Geräusch des endlich sich Entfernenden sich verloren hatte – dann horchte sie noch einige Augenblicke in die Nacht hinaus und sank, von Schwäche überwältigt, auf das Bett. … Bald jedoch erhob sie sich wieder und begann sich zu entkleiden, hielt aber auch damit inne, indem sie sich mit der Hand über die heiße Stirn fuhr.

„Es wird heut’ Nacht doch nichts werden mit dem Schlafen,“ sagte sie vor sich hin, indem sie den Docht der Lampe aufstörte und nach einem alten vergriffenen Buch langte, das darüber auf dem Simse lag. „Ich will beten. …“

Sie wollte sich auf’s Bett setzen, aber sie erreichte es nicht – der Flügel des Kleiderschranks öffnete sich und Domini stand vor ihr.

„Jesus. …“ schrie sie entsetzt und wollte der Thür zu, aber Domini hatte ihr den Weg vertreten und verschlang mit höhnischen Blicken die Gestalt der halb Entkleideten. …

„Geb’ sich die Jungfer keine Müh’ und mach’ Sie keinen Lärm,“ sagte er, „jetzt haben wir Zwei ein Wort unter vier Augen miteinander zu reden!“

„Mensch,“ stammelte sie, kaum ihrer Sinne mächtig, „wie kommst Du hieher? Was willst Du von mir?“

„Was ich will?“ fragte er höhnisch entgegen. „Was sollt’ ich sonst wollen, als Dich, Du zimpferlicher Schatz … meinst, ich hätt’ umsonst den Weg ausspionirt in Deine Kammer?“

„Elender Bursch’,“ rief sie in Zorn auflodernd, „den Augenblick gehst Du aus der Kammer oder ich schreie Alles im Hause wach …“

„Das läss’st Du schon bleiben, Schatz,“ entgegnete er näher tretend, „das ist nit Dein Ernst! Gehn könnt’ ich wohl – aber weißt Du, wohin ich dann gehe? Geraden Wegs auf’s Landgericht, damit sie Deinen saubern Gasselbuben, den Mordbrenner, packen und ihn Dir in Ketten und Banden herbei führen …“

„Heilige Mutter!“ rief Christel und mußte sich am Bettpfosten halten, um nicht umzusinken.

„Aha – giebst es jetzt wohlfeiler?“ fuhr Domini fort. „Ich glaub’s! Du hast wohl Deinen Vater aufgeredt, daß er sein Wort zurückgenommen hat, und hast ihm gesagt, Du nimmst mich niemals und hättest einen völligen Abscheu vor mir … aber ich denk’, ein bissel was wird schon davon abgehn, daß wir einen Handel machen können! Den Wendel kannst doch einmal nit haben – also gieb mir freiwillig Dein Jawort, und ich hab’ von Allem nichts gehört …“

„Nein, nein … in Ewigkeit nit …“ rief Christel mit einer Geberde des Abscheus.

„So?“ fragte Domini und that, als wolle er sich zur Thür wenden, hielt aber inne, als sie eine Bewegung machte, ihn dennoch zurückzuhalten. „Geschwind,“ fahr er fort, „wenn Du Dich anders besonnen hast, so sag’s; ich kann das lange Herumzerren nit leiden, bei mir muß Alles fein lüftig gehn. … Also willst oder willst nit?“

Durch Christel’s Sinn schwirrten und schwankten die verschiedensten Gedanken, wie sie der Gewalt des Schändlichen zu entrinnen vermöchte; jeder ward schon im Entstehen wieder unterdrückt, denn keiner vermochte, das unselige Geheimniß, dessen Mitwisser er geworden, in ihm zu verschließen. Sie wollte und wollte nicht; sie schwankte zwischen Ja und Nein, wie zwischen zwei Bechern mit verschiedenen Giften gefüllt – sie wußte selbst nicht, wie es geschah, aber ihre Lippen bewegten sich und es klang von ihnen: „… Ich will …“

„Die Hand darauf?“ rief Domini triumphirend.

„Hier ist sie …“ stammelte sie mit erlöschender Stimme … „aber jetzt fort von mir … fort aus der Kammer hinaus – im Augenblick …“

Sie wollte ihm die Hand wieder entziehn, aber er hielt sie lachend fest und zog sie näher an sich, so kräftig sie ihn auch von sich abstemmte. „Oho,“ rief er, „so haben wir nit gewettet! Jetzt bin ich einmal da, und will für Dein Wort ein Unterpfand …“

„Bösewicht!“ rief sie, seiner sich ungestüm erwehrend, aber er kehrte sich nicht daran und faßte sie immer kecker um den Leib … „Wer steht mir denn gut,“ höhnte er, „daß es Dich bis morgen nit reut? Daß Du mir nit morgen Alles aus dem Gesicht heraus leugnest? Ich geh’ nit von Dir, eh’ ich nit sicher weiß, daß daß Du nimmermehr loskannst von mir …“

Nirgends ein Ausweg, nirgend eine Hülfe – und immer wilder umschlang er die verzweifelt Widerstrebende, der mit der ermattenden Kraft zuletzt auch die Besinnung schwand – –




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