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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Nit wahr ist es!“ rief der Alte zürnend. „Das bissel Hitz’ hat der Feichten nichts gethan – die hat einen gar gesunden Kern! Und wenn Du von gipfeldürr werden redst, Du Dummkopf, so kannst Du gehn und Dich getrost um ein Paar andere Augen umschaun! Die Feichten muß sich erholen und sie erholt sich auch … bis der neue Hof unter Dach ist, kennst Du ihr nichts mehr an; nachher komm’ zu mir, daß ich Dich recht auslachen kann, ich zahl’ Dir einen Kronthaler, wenn Du mir das Vergnügen machst!“

Der Knecht entfernte sich schweigend; in der Thür, durch das laute Gespräch herbeigerufen, stand Christel und mahnte den Vater, in’s Haus zu kommen, die feuchte Regenluft könne ihm schaden.

Wer das Mädchen vor wenigen Wochen gesehen, an dem frischen Maimorgen unter den hoffnungsgrünen Linden der Wallfahrtskirche, frisch und hoffnungsreich, wie beide, der hätte wohl Mühe gehabt, in dieser wie vom Tragen schwerer Lasten ermüdeten Gestalt, in diesem kalt ernsthaften, um nicht zu sagen, finstern Angesicht sie wieder zu erkennen. Sie war noch immer schön, aber die Schönheit war eine andere geworden; das übervolle braune Haar erschien noch glänzender, weil es durch die fast durchscheinende Weiße des Gesichts noch mehr hervorgehoben wurde; das Blau der Augen war dunkler geworden, wie das Wasser eines sonst durchsichtigen Bergquells über einer geheimnißvollen Untiefe seines Grundes.

Mühsam und ächzend erhob sich der Alte und wankte, von Christel unterstützt, dem Hause zu. „Hast Du es gehört,“ sagte er, „was der Domini sich unterstanden hat? Er will die große Feichten umhauen, das Wahrzeichen von …“

„Ich hab’ Alles gehört,“ entgegnete das Mädchen kalt; der Bauer aber rief spottend nach: „Ich hab’ Alles gehört? Und das sagst Du so gleichgültig, als wenn gar nichts dahinter wär’? Aber ich will es ihm eintränken! Ich will ihm zeigen, daß ich auch noch ein Wört’l mitzureden hab’! Was bild’t sich denn der Bursch’ ein, der übermüthige!“

„Was braucht er sich einzubilden!“ sagte Christel wie zuvor, aber mit einem Anfluge von Bitterkeit. „Er weiß ja, daß er bald Herr sein wird vom Feichtenhof … was liegt also daran, wenn er den Herrn schon um ein paar Wochen früher spielt!“

„Christel,“, rief der Alte, indem er sich von ihr losmachte, „mach’ mich nit Du auch noch harb’ mit Deinem Gered’! Du kannst es lang wissen, daß mir die Lust vergangen ist mit dem Domini und daß ich schon gern abgebaut hätte mit ihm … aber Du bist das lebendige Widerspiel und weil ich nimmer will, hast Du Deinen Kopf aufgesetzt und bleibst dabei, daß er durchaus Dein Mann werden soll! Wegen was thust das? Ich brauch’ nit mehr aufzupassen auf ihn, der Herr Pfarrer hat mir Kirchengeld versprochen, so viel als ich will – das kann ich jede Stund’ haben und den Domini damit hinauszahlen! Ich bin erst dahinter gekommen, daß er nit viel besser ist als ein Lump! Er hat gesagt, er müßt’ wieder hinein in’s Tirol, zu seinem Vater … gestern aber hab’ ich’s erfahren, daß es nit wahr ist, daß er im Land herumvagirt und in den Wirthshäusern zecht und spielt ...“

„Ich weiß, Vater,“ sagte Christel kaltblütig wie zuvor.

„So – weißt Du’s?“ eiferte er. „Und daß er die Susi mit herumschleppt, die liederliche Dirn’, die sich von uns fortgelogen hat … weißt’ das auch?“ Sie schwieg – aber aus ihrem Schweigen sprach die Bestätigung. „Und doch willst Du, daß er Dein Mann werden soll?“ fuhr er noch heftiger fort. „Kreuzbirnbaum, das ist mir zu rund! Hast Deinen Verstand verloren, Madel – oder was steckt da dahinter?“

Ein Steinführer, der eben eine Ladung Ziegel abgeleert hatte, kam herzu sich den Lieferschein bestätigen zu lassen und unterbrach das Gespräch. „Weißt schon die Neuigkeit, Feichtenbauer?“ sagte der Mann, während der Bauer den Zettel überflog „Wie ich gerad’ gehalten hab’ unten am Berg’ und hab’ eine Halbe getrunken, ist der Gerichtsdiener auch hinein gekommen in die Zechstuben und hat’s erzählt … sie haben ihn …“

„Sie haben ihn? Wen?“ fragte der Bauer verwundert, während eine böse Ahnung Christel das Blut in die Wangen jagte und es ihr vor den Augen flirren machte.

„Ha, wen sonst als den Mordbrenner, der Dir den Hof angezündet hat?“ sagte der Fuhrmann. „Er hat durchbrennen wollen, über’s Meer nach Amerika – da ist’s gerad’ noch aufgekommen, sie haben ihn noch eingeholt, jetzt liegt er schon in Ketten und Banden und wird vor’m nächsten Schwurgericht verhandelt … er soll’s auch schon eingestanden haben …“

„Und wer … wer ist es?“ fragte der Feichtenbauer fast athemlos und mit aufblitzenden Augen; die gleiche Frage zitterte unausgesprochen auf Christel’s glühendem Munde.

„Wer wird’s sein! Niemand als Dein früherer Knecht … der Wendel …“

„Der Wendel?“ brach der Alte triumphirend aus. „Also ist er’s wirklich gewesen? Und sie haben ihn schon, und er liegt wirklich schon hinter Schloß und Riegel? O, ich hab’s gewußt! Ich hab’s immer gesagt, so viel man mir’s hat ausreden wollen. … O, wie mich das freut … ich lass’ ein Hochamt lesen, ein levitirtes, weil ich nur das noch erlebt hab’ ... Komm’ herein, Fuhrmann, komm’ mit mir in’s Haus, das mußt mir noch einmal und ganz genau erzählen. …“

Er ging, wie von seinen Schmerzen geheilt, in’s Haus und zog den Fuhrmann mit hinein, unbekümmert um Christel, welche bei Seite gewankt war, ihre Verwirrung mindestens vor den Augen des Fremden zu verbergen. Ihre Stirne brannte, ihr Athem flog, das aufwallende Herz drohte wie im Krampfe das Mieder zu sprengen … ein kühler Windstoß, der ihr den Regen in’s Gesicht warf, gab ihr die Besinnung wieder.

„Hat mir denn geträumt oder hab’ ich das wirklich gehört?“ flüsterte sie dumpf in sich hinein. „Der Wendel ist gefangen ... er soll’s eingestanden haben.… Wie ist denn das möglich? … Aber es muß doch wahr sein … ich hör’, wie der Vater in der Stuben drinn’ lacht und sich freut.… Also hab’ ich ihn nit erretten können und es wär’ Alles umsonst gewesen.… Alles, Alles umsonst? … Und wenn es ist, dann hat’s kein anderer Mensch gethan, als der Domini, dann hat er sein heiliges Wort gebrochen und hat ihn verrathen … der elende Mensch ist zu Allem fähig! … Aber wenn er das gethan hat,“, fuhr sie rascher und wie aufathmend fort, „dann wär’ ich ja auch von meinem Versprechen los und ledig! O mein Gott, dann bin ich ja auch frei von ihm!“ … Ein Funke der Freude wollte in ihrem Gemüthe aufglimmen, aber die einen Augenblick gehobene Last rollte zurück und erstickte ihn … selbst wenn Domini seine Zusage nicht gehalten, wenn er das gelobte Schweigen gebrochen, war sie dann wirklich von ihm befreit? Konnte sie sich ganz und gar lossagen von dem Schändlichen? … Sie vermochte nicht, den Gedanken an’s Ende zu denken; sie war wie der Gefangene, den das Klirren seiner Ketten aus dem Freiheitstraume weckt.… Zorn, Scham, Abscheu umwölkten und verfinsterten ihre Seele … das Heiligste, ihr makelloser Ruf, ihre Ehre hielt sie mit unzerreißbaren Banden an den Elenden geschmiedet; sie war ihm verfallen für immer. …

Die Hand an die Stirne pressend, murmelte sie in zermalmendem Weh vor sich hin: „Es ist Alles vorbei … Alles verloren! O Du heilige Mutter im Himmel droben, hab’ Erbarmniß und mach’ mit mir ein gnädig’s End’ … und das bald … recht bald!“

(Schluß folgt.)




Goethe’s Geliebte in Rom.

Im Jahrgang 1868, Nr. 39, S.617 flg. brachte die Gartenlaube einen Artikel, welcher unter der Ueberschrift „Goethe und die schöne Mailänderin“ eine der reizendsten Episoden aus dem reichen Leben unsers Dichters nach dessen eigenen Andeutungen, wie er sie in seinem „Zweiten Aufenthalt in Rom“ gegeben, anschaulich darstellt und in den weitesten Kreisen Interesse und Theilnahme erweckt hat. Es freut mich, dem erwähnten Artikel eine Illustration nachtragen zu können, eine Illustration, welche zwar den über jener Episode liegenden Schleier nicht ganz hebt (er wird wohl auch niemals ganz gehoben werden können), aber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 806. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_806.jpg&oldid=- (Version vom 21.12.2022)