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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

zurück bis hinter die Eisblumen an Christel’s Fenster und weit getragen von der reinen klaren Winterluft klangen die Abendglocken aus den Thaldörfern herauf und läuteten zum Gebet und riefen, wie es unter den Linden der Wallfahrtskirche gerufen, mit majestätischen Stimmen ihr Heilig – heilig – heilig ist der Herr Zebaoth … Himmel und Erde sind seiner Herrlichkeit voll. …

Als der Frühling kam und der Waldeinfang des Feichtenhofs wieder anfing in Blätter zu schießen, lag das Wahrzeichen desselben gefällt und lang hingestreckt in dem jung aufkeimenden Grase – Tags darauf ließ der Pfarrer den versprochenen Brief nach Amerika abgehn.

Ob er Wendel erreichte, was aus diesem geworden, ist unbekannt geblieben; auch Domini verscholl. Auf den Feichtenhof, der längst in fremden Händen sich zu neuem Ansehn und Wohlstand gehoben, ist nie mehr eine Kunde gelangt von den beiden Gasselbuben.




Weihnachten im Walde.
Eine Jugenderinnerung.


Langer trockener Decemberfrost, den der dabei eisig stürmende Nord um so empfindlicher werden ließ, war vorhergegangen, bis endlich milderes Wetter folgte, welches sich bald zu ausdauerndem Schneefall anließ, so daß mit dem Hereinbrechen des Weihnachtstages der weite Wald in wunderbarer Pracht seines neuen Schmuckes prangte, besonders da sich vorher, etwa gegen Mitternacht, der Himmel völlig geklärt hatte und so die unverhüllt aufgehende Sonne die Haide mit wundersamem Farbenschmelz übergoß. Purpurn angehaucht leuchteten da zuerst die schneebedeckten Fichten- und Tannenwipfel in rosigem Lichte, während weiter herab die frischgefallene Last auf dem niedergedrückten Gezweig der sonst ungebeugt gen Himmel starrenden Baumwelt noch im Halbschatten lag, tiefer aber, unter dem beschneiten Nadeldache, herrschte noch grauendes Dämmern, daß trotz der überall ausgebreiteten lichten Decke das spähende Auge doch nur auf wenige Schritte in das verschwimmende Düster des Waldes eindringen konnte. Aber bald huschte das vergoldende Licht an den hohen Waldwänden und einzelnen Bäumen hernieder, bis es den Boden erreichte und nun in flirrenden Punkten und langen Streifen eindrang in die Tiefen der geschlossenen Holzbestände, darinnen gleichsam vom Boden aus wieder an den Stämmen hinanklimmend, dabei sich halb verlierend, um gleich darauf wieder von Neuem hell aufzuglänzen – fortwährend wechselnd, in nimmer rastender zauberischer Beweglichkeit. Wo aber der Lichtstrom ungehindert über weite Flächen hinfluthete und deren gleichförmig darüber ausgebreiteten Teppich in seiner makellosen Reinheit grell beleuchtete, da ward das Auge um so mehr geblendet, als es hier mit angestrengter Sehkraft etwaiges Gefährt zu erspähen trachtete und solches wohl auch hier und da von den nach Aufhören des Schneefalles noch umhergezogenen Wildgattungen gewahrte. Sonst aber, so weit die Blicke reichten, kein Tritt eines menschlichen Fußes, als der, welchen ich, der einsame Waldläufer, lautlos in das sonst noch so unberührte Edelweiß gefurcht. Aber vorwärts trieb es mich mit unwiderstehlicher Gewalt auf der pfadlosen Wanderung, hingerissen von immer neu auftauchenden Reizen, welche die mit phantastischen Formen umkleideten Bäume, Sträucher, Ranken und Gräser, wie der bestrickende Zauber von Farbenfrische in Wald und Luft mit jedem weiteren Schritte dem Auge boten.

Wie nun schon diese Herrlichkeit das Herz mit tiefster Wonne erfüllte, so steigerte sich der Hochgenuß für mich noch bedeutend durch das Erscheinen der lebendigen Thierwelt, welche bald die stille Einsamkeit belebte.

Zuerst waren es der Krähen zahlreiche Züge, welche aus ihren Horst- und Schlafstätten kommend den weiten Wald überflogen, um Feld und Dorf und Stadt heimzusuchen, dort unter dem tiefen Schnee ihr kärgliches Mahl zu finden. Schweren Fluges und tristen Gekrächzes durchstrichen die geflügelten schwarzen Gesellen die eisige Luft in langgedehnter Reihenfolge – wie Leidtragende hinter einem Leichenzuge – und regten durch den Contrast ihrer Erscheinung zur sonnigverklärten, schneeprächtigen Natur das Menschengemüth unwillkürlich zu ernster Stimmung an. Um so mehr aber ward darnach das Herz erquickt, als die fröhlich zwitschernden und lustig pinkenden Stimmchen der Goldhähnchen und Meisen durch den sonst so tief schweigenden Wald an das Ohr schlugen; begierig suchte mein Auge nach den rastlosen niedlichen Urhebern, welche in den schneebehangenen Zweigen schwirrend hin und her huschten und bald hier, bald da, oben und unten in das Geäst sich einhingen, um Insecteneierchen und Larven zu suchen. Flogen die Leichtbeschwingten wieder davon, dann schnellten die kleinen Zweige den Schnee federgleich empor, andere Schneelagen wehten mit herab und im Nu war die Luft mit Tausenden sonnendurchschienener Krystalle erfüllt und ein entzückendes Glitzern und Flimmern durchglänzte das Dunkel des Waldes.

So setzte ich meine Wanderung fort, bisweilen Wege überschreitend, die etwa zu einem Haidedorfe führten, oder den plumpen Fußspuren der Waldarbeiter begegnend, die in den Holzschlägen noch vollauf Arbeit fanden und deren eintönige Axtschläge den Forst durchhallten. Bald kam ich auch an einer solchen Blöße vorbei, wo die wackeren Leute schon fleißig ihrer schweren Arbeit oblagen, während hinter der haushohen Wurzelwand einer vom Sturme niedergeworfenen Riesenfichte ihr hellflackerndes Feuerchen brannte, dem die knisternden Funken lustig entstiegen, indeß der blaue Rauch die umliegenden mächtigen Waldwände in hoher duftiger Säule überstieg. Von hier aus führte mich mein Weg hinab in ein erlenbestandenes Thal, wo das wilde, über die Kiesel seines Bettes noch ungefesselt rauschende Wasser in schäumender Fluth die schneeigen und an ihren Säumen beeisten Ufer netzte. Später betrat ich wieder die Heerstraße; aus den einsam zur Seite gelegenen Haidedörfern klang der anheimelnde Dreiklang der Dreschflegel; aber weit ab von ihnen, tief im Forste einer meilenweit eingehegten Wildbahn, lag mein Ziel: eine jeglicher menschlichen Wohnung fern stehende Försterei.

Hier endlich angekommen ward ich auf’s Herzlichste willkommen geheißen, und die Kinder, mit denen das Haus vollauf gesegnet war, umsprangen mich fröhlichen Muthes; war ja doch heute das liebe Weihnachtsfest und die Kleinen, Knaben wie Mädchen, die mir herzlich zugethan waren, ahnten wohl, daß ihr Gast an einem solchen Tage nicht leer gekommen sein würde. So verbrachte ich denn den Nachmittag im traulichen, echt waidmännisch geschmückten Stübchen der Försterwohnung, hier und da helfende Hand mit anlegend, wo der Förster für seine Buben noch für den Abend zu schnitzen oder zu leimen hatte. So war der Abend bald herbeigekommen und nun ließen sich die gütigen Förstersleute nicht länger bitten, und es ward die harzduftige, frischglänzende Tanne, bereits geschmückt mit buntem Flitter und vergoldeten und silberbetupften rothwangigen Aepfeln und klappernden Nüssen, hereingebracht. Darunter aber wurden auf schneeweißem Tischtuch die Geschenke für die im Nebenstübchen jubelnden Wildfänge ausgebreitet, dann noch hurtig die Lichter des Baumes entzündet, worauf der Signalruf auf des Vaters Flügelhorn ertönte, der die jauchzenden, sich drängenden Geschwister im Nu zur Thür hereintosen ließ.

Da gab’s denn ein Freuen und Seligsein der staunenden Kleinen. Hier ward der niedliche, so naturgetreue Wildschuppen mit seinen daneben aufgestellten Thieren bewundert, dort die kleinen Flinten und Jagdtaschen gemustert; von den Mädchen aber mit gleicher Wonne die Puppen, Wägelchen, Kochgeschirre etc. in’s Auge gefaßt. Aber auch Höschen und Schürzchen, Strümpfe und Schuhe fanden vollsten Beifall, der sich natürlich auch ganz besonders auf die rosinenreichen Stollen und das andere Naschwerk erstreckte.

Draußen aber war der Mond aufgegangen und beleuchtete die Winterlandschaft mit erst noch bleichem Schein, der von dem lichtglänzenden Stübchen aus fast gespenstig erschien, bis er in hellstrahlender Pracht den grabesstillen Wald überstrahlte. Da rief plötzlich das älteste Mädchen freudig: „Die Hirsche, die Hirsche kommen!“ Und schnell das Schürzchen voll Aepfel nehmend, öffnete es das Fenster, sie ihren Lieblingen zum Leckerbissen auf die äußere Brüstung desselben und die darunter stehende Gartenbank

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 824. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_824.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)