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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Portrait, gemalt von ihrem Vater. An der Hinterwand, unter einem vortrefflichen Bilde Schiller’s, stand der Flügel, zu dessen Accorden sie wohl dann und wann im allerengsten Familiencirkel, oder die blondhaarigen Neffen zu beiden Seiten, Volksweisen vorträgt, welche sie so sehr liebt.

Eben wollte ich von den offenen Thürflügeln des Salons aus, zu denen herein ein frischer, würzig harziger Luststrom quoll, die labende Aussicht auf den Garten und die im Hintergrunde aufsteigenden bewaldeten Ausläufer des Thüringer Waldes genießen, als plötzlich die Thür des Nebenzimmers zurückgeschlagen wurde und ich mich gegenüber der sinnigen Schöpferin der „Goldelse“ befand, die, in einem Lehnstuhl sitzend, mich mit anmuthvoller Handbewegung grüßte.

Mein Blick überflog die elegante Gestalt der Dichterin, deren schöpferische, kunstbegabte Hand eine Goldelse gemalt, eine Felicitas gemeißelt und eine Gisela erzogen hatte. Der leicht geneigte, von dunklen Locken umrahmte Kopf, das heiter lachende blaue Auge, der schelmische Zug, der die Mundwinkel umspielte, machten den gewinnendsten Eindruck; herzlicher, als man wohl sonst einer Dame zu thun pflegt, der man zum ersten Male gegenüber steht, drückte ich der Schriftstellerin die Hand, die in ihren Dichtungen einen so unerschrockenen Kampf aufgenommen hatte mit der buntfarbig gleißenden Heuchelei, mit der Jämmerlichkeit einer herzlosen Religiosität, die nur in äußerem Formelkram und einschläfernder Selbstberäucherung sich bläht, und mit den längst verrotteten, längst verurtheilten Ansprüchen eines Standes, der sich umsonst gegen die freiheitlichen Forderungen der Gegenwart stemmt.

Und doch war über die ganze Figur eine feste harmonische Ruhe ausgegossen, die sich nur dann unterbrach, wenn irgend eine Mittheilung das Auge hell aufleuchten ließ. Ein ganz eigentümliches Zucken – ich konnte nicht unterscheiden, ob es nur schalkhaft oder innere Erregung war – umspielte dann den Mund, der sehr fröhlich lachen konnte, wenn es sich um heitere Dinge handelte. Vielleicht mit in Folge ihres Gehörleidens ist bei der Unterhaltung ihr Auge stets scharf und fragend auf den Sprechenden gerichtet, und nur wenn sie ihr Vis-à-Vis nicht oder nur halb verstanden hat, wendet sie dasselbe dem Bruder zu, der dann sofort mit lauter Stimme die Worte des Fremden wiederholt. Ein äußerst gewandter und eleganter Conversationston und ein liebenswürdiges, verständnißfeines Eingehen auf alle Fragen der Kunst und Literatur erleichtern eine Unterhaltung mit ihr ungemein und machen solche zu einer sehr angenehmen und anregenden.

Zunächst sprach ich ihr meinen tiefgefühlten Dank aus für die vielen genußreichen Stunden, welche ihre poetischen Schöpfungen mir bereitet hatten – nicht mir allein, denn in diesem Augenblick fühlte ich mich berufen zum Anwalt der nach vielen Hunderttausenden zählenden Leser der Gartenlaube. Mit der ihr eigenthümlichen mädchenhaften Bescheidenheit, welcher das Lob ein Erröthen in die Wangen trieb, nahm sie diesen Dank entgegen und suchte ihm schalkhaft dadurch die Spitze abzubrechen, daß sie auf die bekannte oder, was so ziemlich auf dasselbe hinauskommt, nicht bekannte Eckartsberger Brochüre: „Die Religion der Gartenlaube“, sowie auf das fanatische Gebahren jener schwarzen Biedermänner hinwies, denen die Dichterin allzu grell in das Gesicht geleuchtet.

Wie mechanisch blätterte sie dabei, mit der Linken in einem seitwärts auf ihrem prächtigen Schreibtisch liegenden Album, in welchem sie all’ die unzähligen Zuschriften aufbewahrt, die, aus aller Herren Ländern – so weit die deutsche Zunge klingt – zwischen zwei schön verzierte Pappendeckel hier zusammengeweht, meist in tief empfundener und begeisterter Weise den Gefühlen des Dankes, der Verehrung und Liebe beredten Ausdruck geben.

„O ja,“ sagte sie - im Laufe des Gespräches, „ich leugne nicht, daß mir diese Blätter manche angenehme Stunde bereitet haben und noch bereiten; geben sie mir doch den Beweis, daß meine schriftstellerische Thätigkeit nicht ohne Segen ist. „Glauben Sie nicht auch,“ fügte sie hinzu, „daß so manches vielversprechende Talent krank und siech wird, weil die Welt, für die es ja ringt und strebt, die schaffende Seele achtlos sich verbluten läßt? Nicht Alle haben leider das Glück, sich bis zu einer allgemeinen Anerkennung durchzuringen.“

„Aber auch nur Wenige haben das Glück, wirklich berufen zu sein,“ erlaubte ich mir zu erwidern; „und wenn halbe Talente ihr Mühen erfolglos sehen, so erliegen sie eben dem unerbittlichen Gesetz, dem jedwede Halbheit nothwendig erliegen muß. Ich meinerseits glaube, wirklich Berufene ringen sich stets durch.“

Besonders oft war in diesen Briefen des Dankes der Wunsch ausgesprochen, Näheres zu erfahren über eine Schriftstellerin, die gleichsam wie im Sturm sich die Herzen so Vieler erobert, und als ich hervorhob, wie berechtigt ein solcher Wunsch sei, und wie Einem ganz unwillkürlich die Begierde nahe trete, zu hören, welch’ eine Vergangenheit es ihr möglich gemacht habe, die reichen Schätze in sich aufzunehmen, wie sie in ihren Werken zu Tage treten, erwiderte sie, daß, wenn es denn einmal sein müßte, sie eine eigentliche Biographie für spätere Zeit ihrer eigenen Feder vorbehalte. Damit war mir auch zugleich der enge Rahmen gegeben, in welchen ich diese flüchtige Skizze zu bringen habe.

Auf die oft gehörte Frage hinübergleitend, warum sie es vorgezogen, unter dem Pseudonym E. Marlitt sich einzuführen, fühlte ich heraus, daß sie bei dem einmal eingewurzelten und zum Theil auch wohl nicht ganz unberechtigten Vorurtheile gegen alle Frauenliteratur, den Erfolgen ihrer Begabung mißtrauend, sich dafür entschieden habe. Von dem Drange beseelt, der Welt nach Kräften sich nützlich zu machen, hatte sie die Feder in die Hand genommen, aber nichts lag ihr dabei ferner, als die Sucht, ihren Namen genannt zu wissen, oder gar berühmt zu werden. Und nun diese rauschenden Erfolge! Das gesammte Publicum der Gartenlaube zum Auditorium zu haben, und dann seine Romane in unglaublich rasch aufeinander folgenden Auflagen immer und immer wieder vergriffen und sie in fast alle lebenden Sprachen übersetzt zu sehen, das sind Erfolge, die selbst auf den Anspruchslosesten eine berauschende Wirkung ausüben könnten. E. Marlitt freut sich ihrer, wie ein guter Mensch sich freut im Bewußtsein einer braven schönen That, welche das Glück und, die Freude Anderer bezweckte. Ich brachte ihr die mir seitens eines ganzen für sie schwärmenden Damencirkels aufgetragenen Grüße mit den Versicherungen der Verehrung und Ergebenheit, und da hätte ich wohl gewünscht, die Damen hätten selbst sehen können, wie sie so herzlich erfreut lachen konnte, und wie das sinnige blaue Auge leuchtete im Reflex innerer Befriedigung.

Und doch auch konnte sie recht ernst werden, als sich das Gespräch ausdehnte auf die Vergewaltigungen, welche ihren lebensvollen Gestalten in den sogenannten dramatischen Bearbeitungen von unberufenen Autoritäten zweifelhaftesten Ranges widerfahren sind. Daß diese Bühnenspeculanten Geld machen, ohne auch nur die Autorin zu fragen, ob sie auf den ihr von Rechtswegen gebührenden Ehrensold freiwillig verzichten wolle, daran denkt ihre Seele nicht; aber es berührt sie auf das Schmerzlichste, ihre künstlerisch harmonisch in sich abgerundeten Gebilde gewaltsam zerrissen und roh wieder zusammengeleimt, ohne alle Farbe, ohne allen Duft, verstümmelt und verkrüppelt über die Bretter gehen sehen zu müssen. Wenn ein armer Schelm in der Verzweiflung seiner Noth dem Vorübergehenden seine paar Groschen abnimmt, so kann er sicher sein, daß ein ganzes Heer von Wächtern des Gesetzes hinter ihm her ist, um ihn hinter Schloß und Riegel fest zu machen; wenn aber unter den Augen eines großen gebildeten Publicums der frechste literarische Straßenraub verübt wird, da findet sich leider weder Gesetz noch Wächter.

Es giebt nichts Interessanteres, als einen Blick zu werfen in die geistige Werkstätte eines Dichters, aus der das funkelnde Gold der Dichtung in wunderbar getriebenen Formen heraus in die Welt tritt – die Eigentümlichkeiten kennen zu lernen, unter denen Schöpfungen entstanden, die zu Lieblingen aller Kreise geworden sind. So hat Marlitt z. B. vorzugsweise ihre schöpferischen Stunden, wenn der Himmel bedeckt ist und der Regen oder Schnee an die Fenster schlägt; dann, gleichsam in sich selbst zurückgeworfen, tritt jene behagliche, innerlich warme Stimmung und mit ihr die intensive Schaffungslust ein, der sie unwiderstehlich gehorchen muß. Dann schweift ihre Phantasie auf blühende Fluren, ihre Gestalten gewinnen volles pulsirendes Leben, und mächtig dehnt sich der Stoff aus, mit dem sie sich trägt. Zur Feder greift sie erst dann, wenn dieser bis auf Einzelheiten herab im Kopfe völlig ausgebaut ist, und die Charaktere in plastischer Vollendung ihr vorschweben. Geradezu unmöglich aber würde es für sie sein, wenn sie in der Art und Weise vieler Anderer nach einem schriftlich ausgeführten Plane arbeiten sollte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 828. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_828.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)