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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Neben diesen deutschen politischen Flüchtlingen machte sich noch eine andere Classe Europamüder – oder vielmehr Europascheuer – bemerkbar, denen der Blick eines Sachverständigen auf der Stelle ansah, daß sie in Deutschland irgend einem Officierscorps angehört hatten. Ihre Zahl war, besonders in den großen Städten, auffallend groß und unter ihnen wieder der unverkennbare preußische Typus vorherrschend.

Das Leben dieser Flüchtlinge würde für einen geschickten Schriftsteller eine unerschöpfliche Quelle der wunderbarsten Romane sein, denn was eine große Menge von ihnen, besonders während der Kriegsjahre, erlebte, könnte schwerlich romantischer erfunden werden. Obwohl das, was ich sage, sich auf beide oben bezeichnete Classen von Flüchtlingen bezieht, so möchte ich doch behaupten, daß in Bezug auf Seltsamkeit und Romantik die Schicksale der lebensschiffbrüchigen Officiere den Vorzug verdienen. Das ist sehr begreiflich. Die meisten von ihnen mußten ihr Vaterland fliehen, um ihren Gläubigern zu entgehen, wenn es auch nicht an solchen fehlte, die sich durch ihren Leichtsinn zu Schwindeleien und Verbrechen hatten hinreißen lassen. Unter ihnen gab es eine auffallende Menge von Grafen und Edelleuten mit wohl bekannten Namen, welche einst in gewissen Kreisen eine Rolle gespielt hatten und denen dann sämmtlich jede Art von Arbeit erniedrigend schien.

Mit den politischen Flüchtlingen war das anders; die meisten hatten nicht nur irgend ein nützliches Geschäft oder Handwerk gelernt, sondern waren auch an die Arbeit gewöhnt und freuten sich, in einem Lande zu sein, wo die Arbeit nicht schändet und wo Jeder, der arbeiten will, seinen reichlichen Lohn findet. Sie ergriffen daher frischweg die erste sich darbietende Gelegenheit – obwohl es auch unter ihnen an bummelnden Lumpen wahrhaftig nicht fehlte – kamen leicht über die Nahrungssorgen hinweg und viele gelangten in verhältnißmäßig kurzer Zeit zu einflußreichen und geachteten Stellungen.

Die Officiere waren schlimmer daran; sie hatten neben dem Soldatenhandwerk wenig Anderes und besonders nichts gelernt, was sich in Amerika praktisch verwerthen ließ, und hatten außerdem das Vorurtheil gegen die Arbeit zu überwinden. Viele versuchten gewisse adlige Künste zu verwerthen; allein auch in diesen fanden sie sich von den amerikanischen Schwindlern überflügelt, besonders da diese das Terrain besser kannten, auf dem sie zu arbeiten hatten. Da aber der Gleichmacher Hunger seine zwingenden Wirkungen auch auf adlige Magen nicht verfehlte, so mußten deren arbeitsscheue Besitzer ihren adligen Gefühlen Zwang anthun und – nach welchen harten Kämpfen und Schicksalen! – nicht selten zu den wunderlichsten und niedrigsten Beschäftigungen greifen, um nur nothdürftig das Leben zu fristen. Ich habe Größen gekannt, die einst eine große Rolle in der eleganten Welt spielten, und froh waren, wenn sie einen Kohlenwagen fahren durften, oder wenn es ihnen gestattet war, in einem Bierhause als Aufwärter zu dienen.

Man kann sich daher vorstellen, welche Aufregung und Veränderung der im Jahre 1861 ausbrechende Bürgerkrieg besonders unter dieser Classe von Flüchtlingen hervorbrachte. Von allen Wissenschaften und Handwerken, die es gab, war das Soldatenhandwerk bis dahin das unprofitlichste in Amerika gewesen, und wenn auch hin und wieder ein Officier dazu getrieben wurde, als Gemeiner in die kleine stehende Armee einzutreten, so war dies in der That der letzte Verzweiflungsschritt. Nun plötzlich gelangte die Kriegskunst an die Spitze aller Künste und Handwerke, denn es mußte eine Armee von beinahe einer Million Soldaten aus dem Nichts in kürzester Zeit geschaffen werden. Wer in Europa Lieutenant gewesen war, konnte nun leicht eine Anstellung als Major oder Oberst bekommen und vor ihm lag, wenn er nur einiges Geschick und Muth besaß, eine ehrenvolle Laufbahn.

Die natürliche Folge dieses Zustandes war, daß ein jeder, der nur jemals als Officier oder Gemeiner den Parademarsch geübt hatte, seine Ansprüche geltend machte. Die Preußen waren am besten daran, da jeder von ihnen einige Jahre Soldat gewesen war, und sie strömten von allen Seiten herbei, um ihren Platz an der reich besetzten Tafel einzunehmen, die ihnen Onkel Sam mit freigebigen Händen bereitet hatte.

Es war eine wunderliche Zeit. Diese militärische Unwissenheit und Naivetät der höchsten Beamten der amerikanischen Regierung überstieg jeden Glauben und die lächerlichsten Maßregeln und Mißgriffe waren die Folge; allein praktisch wie die Amerikaner sind und voll Vertrauen in ihre Lernfähigkeit besannen sie sich nicht lange; sie sahen die Notwendigkeit ein, rasch und energisch zu handeln, und in wunderbarer Schnelligkeit entstand eine Armee, die zuerst das Lächeln und Achselzucken, aber gar bald die Bewunderung Europas erregte.

Die Kunde von diesen Zuständen verfehlte seine Wirkung in Europa nicht. Alle Officierskorps geriethen in Aufregung und alle diejenigen, die bis dahin geschwankt hatten, ob sie ihre unbehaglichen Stellungen aufgeben und den Ocean überschreiten sollten, entschlossen sich nun schnell. Ganze Schaaren europäischer Officiere kamen in New-York an, und wenn sie keine guten Stellen fanden und nicht ihr Glück machten, so lag es nur an ihnen.

Da die meisten dieser Officiere nicht Englisch verstanden, so war es natürlich, daß sie ein Unterkommen in den deutschen Regimentern suchten, und namentlich war die von General Blenker befehligte, zwölftausend Mann starke deutsche Division reichlich mit ihnen versehen. Der Stab des ehemaligen Freischaaren-Obersten, welcher von den ihm einst in Europa gegenüberstehenden fürstlichen Officieren verlacht und verhöhnt worden war, zählte so viele vornehme Namen, als kaum der Stab irgend eines preußischen oder österreichischen Generals.

Blenker, mein alter Bekannter von Baden her, hatte mich sofort nach meiner Ankunft auf die liebenswürdigste Weise eingeladen, und bei dieser Gelegenheit wurde ich mit dem Prinzen Salm bekannt, welcher Oberst und Chef des Blenker’schen Generalstabes war.

Der Prinz war damals ein Mann von einigen dreißig Jahren. Er hatte als ganz junger Officier in der preußischen Cavallerie gedient und sich im holsteinischen Kriege durch seine tollkühne Tapferkeit ausgezeichnet, wofür er vom Könige einen Ehrensäbel erhielt, was eine in Preußen seltene militärische Belohnung ist. Er war der jüngste Sohn des regierenden Fürsten Salm, dessen mediatisirtes Fürstenthum mit seiner Hauptstadt Anholt in Westphalen liegt. Die Familie ist katholisch, und gleich anderen westphälischen adeligen Familien hatte sie die Gewohnheit, ihre Söhne zum Theil in österreichische, zum Theil in preußische Dienste zu senden, eine Praxis, welche von der preußischen Herrscherfamilie mit nicht besonders günstigen Augen angesehen wird. Auch der junge Prinz Felix ließ sich durch verschiedene Umstände – ich glaube, der Hauptumstand war ein schönes Mädchen und nicht die katholische Religion – bewegen, den preußischen Dienst zu verlassen und in österreichische Dienste zu treten.

Jedermann weiß, daß in früheren Zeiten der Adel einen anderen Ehrencodex hatte, als er im Bürgerstande in Geltung war. Wie es in alten Zeiten unter dem Adel nicht für entehrend betrachtet wurde, den Pfeffersäcken am Kreuzwege aufzupassen und ihnen ihr Geld und ihre Waaren abzunehmen, so galt es bei deren Nachkommen auch als keineswegs unehrenhaft, dem Bürgerpack Geld abzuschwindeln, und es lachend zu verjubeln und an Bezahlung nicht zu denken. Andererseits rächte sich aber das Bürgerpack, und man konnte darauf rechnen, daß beschnittene und unbeschnittene Juden einem leichtsinnigen jungen Prinzen oder sonstigen vornehmen Edelmann auf all’ seinen Kreuzwegen auflauerten und ihn auf raffinirte Weise mit Hülfe des Gesetzes plünderten.

Prinz Felix Salm war besser als viele seiner Standesgenossen. Jung, leichtsinnig und gutherzig wie er war, fiel ihm nicht ein, irgend Jemand zu plündern; aber er war eben als Prinz erzogen worden und dachte nicht daran, seinen kostspieligen Neigungen Zwang aufzulegen. Er lebte in den Tag hinein, und als seine reichen Hülfsquellen anfingen sparsam zu fließen, fiel er in die Hände von Berliner und Wiener Wucherern, die nur zu bereit waren, ihm, was er brauchte, gegen ein Paar hundert Procent vorzuschießen. Das Wechselnetz, welches die Geldspinnen um den jungen, leichtsinnigen Prinzen woben, zog sich immer mehr und mehr über seinem Haupte zusammen, und endlich konnte ihn nichts als Abwesenheit retten. Der Krieg in Amerika bot einen anständigen Vorwand, und so erschien denn Prinz Salm eines Tages in Washington, versehen mit sehr gewichtigen Empfehlungsbriefen von allerhöchsten Personen.

Ein Prinz, der in den Dienst der Republik treten wollte, war eine Seltenheit, und da dieser Prinz sich bereits als braver Cavallerieofficier in der Schlacht ausgezeichnet hatte und überdies mit Empfehlungen versehen war, die Herr Seward, der Staatsminister, besonders hoch schätzte, so wurde denn dem Prinzen Salm – eine Oberstenstelle und das Commando einer amerikanischen Cavallerie-Brigade angeboten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_025.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)