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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

soll ich Dir jetzt nicht sagen und Dir dafür danken, daß Deine Großmuth uns Beiden damals geholfen hat? Ja, solch ein reicher Oheim, der überdies Vormund ist, ist zu gebrauchen, wenn man seine Sachen nur schlau und dreist zugleich anzufangen weiß! Haha! hast ihm aber die Daumschrauben wohl gehörig ansetzen müssen, he, alter Junge?“

Adalbert war kreideweiß geworden; seine Züge verzerrten sich wie in furchtbarem Grimm, während seine Augen Blitze zu sprühen schienen.

„Rosen,“ keuchte er mehr als er sprach, „ich verbiete Dir, länger von diesen Dingen zu reden, hörst Du? – ich verbiete es Dir!“

Als hätte dies eine Wort dem Genannten plötzlich alle Haltung wiedergegeben, ihn vollkommen nüchtern gemacht, sprang er rasch von seinem Sitze auf und indem er einen Blick über Eva gleiten ließ, die todesbleich und vor Entsetzen über die Heftigkeit ihres Mannes stumm zurückgesunken war, flüsterte er:

„Ich schweige jetzt aus Rücksicht für Deine Frau, aber später treffen wir uns!“ und war gleich darauf durch die Thür eines Seitenzimmers verschwunden.

Glücklicherweise hatte die Scene keine weiteren Zeugen gehabt, da schon beim Beginn der Unterhaltung der im anstoßenden Salon anfangende Tanz die anderen Gäste angelockt und aus der Nähe der Sprechenden entfernt hatte. Nachher bemerkte man nur, daß Adalbert sich besorgt über seine Frau beugte und diese gleich darauf an seinem Arm aus dem Zimmer führte, wobei er einigen nähertretenden Bekannten die kurze Erklärung gab, daß Eva – wahrscheinlich durch die Hitze des Zimmers – unwohl geworden sei und sich in der Ruhe des Hauses erholen müsse.

In der That hatte der Schreck so auf die junge Frau gewirkt, daß sie sich einer Ohnmacht nahe fühlte und erst Erleichterung fand, als sie zu Hause in ein heftiges Weinen ausbrach. Adalbert war auf’s Zärtlichste und Sorgsamste um sie bemüht, indem er ihr wieder die ganze Weichheit und Liebenswürdigkeit zeigte, deren seine Natur fähig war. „Armes Vöglein,“ sagte er, indem er ihr das Haupt an seine Brust drückte, „hat Dich die Rauhheit der Männer erschreckt? Laß mich Dein Köpfchen hier betten, daß es Ruhe finde!“ – Ach, aber wie sollte sie Ruhe finden an dem Herzen, das selbst so stürmisch und unruhvoll klopfte?!

„Was war es, was bedeutete das Alles, Adalbert?“ vermochte sie nur bang und ängstlich zu fragen.

„Eine unerhörte Tactlosigkeit Rosen’s,“ sagte er, die Stirn runzelnd, „der alte Sünden und Thorheiten wieder anregte und mich dadurch erbitterte; denn nicht wahr, Eva, fuhr er weicher fort, „alle sind begraben in Deiner Liebe?“

„Alle, Adalbert,“ sagte sie, indem sie den Arm um seinen Nacken schlang, „und wären ihrer weit mehr und größer, als die er Dir schuld gab!“

Er küßte sie zärtlich, gab ihr tausend Schmeichelnamen und brachte es wirklich durch seine Bemühungen dahin, daß sie ruhiger wurde und zuletzt fast die Ursache ihrer Aufregung vergaß. Nur ihr erschöpfter Körper erinnerte sie noch daran und so gab sie Adalbert’s Bitten nach, sich zum Schlaf niederzulegen, damit rasch die letzte Spur des unangenehmen Vorfalls getilgt werde. Er begleitete sie noch bis zur Thür ihres Schlafzimmers, zog sie dann, als er ihr gute Nacht wünschte, noch einmal an seine Brust und küßte sie auf ihr schönes Haar, auf ihre Augen mit einer Rührung, die sie lange nicht mehr an ihm wahrgenommen. Als sie sich darauf zur Ruhe gelegt hatte, verließ er noch einmal das Haus; auf Eva aber senkte sich schnell der Schlummer nieder und hielt sie fest in seinen Armen, daß ihr die Wirklichkeit mit Allem, was dieselbe vielleicht über sie verhängen mochte, entschwand.

Ihr Schlaf dehnte sich am andern Morgen über die gewöhnliche Dauer aus, und selbst als sie mit halbwachen Sinnen unruhiges Geräusch und verworrene Stimmen im Hause vernahm, verschwammen dieselben mit ihren Träumen. Erst als ihr Mädchen zu ihr ins Zimmer stürzte und sie mit entsetzten Worten anrief, erwachte sie zu klarem Bewußtsein.

„Gnädige Frau, stehen Sie auf!“ klangen dieselben, „es steht nicht gut im Hause!“

„Um Gotteswillen, ist ein Unglück geschehen? Wo ist mein Mann?“ fragte Eva.

„Der Herr ist krank – verwundet glaube ich!“ stammelte das Mädchen.

Eva stieß einen Schrei aus und eine Fluth von Fragen wollte sich über ihre Lippen drängen, aber es kamen nur halbgebrochene Worte heraus, auf die das weinende, zitternde Mädchen nicht zu antworten wußte.

„Ich komme!“ stöhnte Eva endlich, warf sich in Hast einige Kleidungsstücke über und war im Begriff, ihr Zimmer zu verlassen, als ihr der Besuch des Doctors H., ihres Hausarztes, gemeldet ward.

„Was ist geschehen?“ riefen ihm ihre bebenden Lippen, fast deutlicher noch die stumme Sprache ihrer Augen entgegen.

Der Arzt schloß die Thür hinter sich, trat dann auf sie zu und sagte, indem er ihre Hand ergriff, mit bewegter Stimme: „Fassen Sie sich, gnädige Frau, um ertragen zu können, was ich Ihnen sagen muß!“

„Adalbert – mein Mann?!“ stammelte sie.

„Es hat eine Begegnung mit einem Cameraden stattgefunden und Ihr Herr Gemahl ist durch einen Pistolenschuß in die Seite verwundet worden.“

Sie zuckte noch zusammen, aber sie stieß keinen Schrei mehr aus. „Ist Gefahr da?“ fragte sie.

„Leider ja, gnädige Frau!“

„Auch Hoffnung?“

Der Arzt zuckte die Schultern. „Bei Gott ist kein Ding unmöglich, gnädige Frau!“

Sie wankte, daß er sie mit seinen Armen halten mußte, dann aber raffte sie sich gewaltsam auf und bat leise: „Führen Sie mich zu ihm!“ –

Als sie die Gestalt ihres Gatten bleich, regungslos, in weiße Tücher gewickelt, vor sich sah, sank sie mit einem Laut unsäglichen Wehs an seinem Lager nieder. Er lächelte matt, als er sie sah, legte dann die Hand auf ihr Haupt und sagte leise: „Armes Kind – nun sterbe ich!“

Den Ausbruch ihres leidenschaftlichen Schmerzes dämpfte der Arzt, der herzutrat und sie beschwor, jede Aufregung des Kranken zu vermeiden. Dieser schüttelte nur fast merklich das Haupt, als wollte er damit die Nutzlosigkeit jeder Sorge andeuten, und faßte nach Evas Hand, die er fest in der seinen hielt.

„Verlaß mich nicht – keinen Augenblick!“ bat er sie flüsternd.

Sie konnte nicht antworten, aber sie beugte sich über ihn und küßte seine Stirn, seinen Mund, seine Hände. Endlich erhob sie sich und fragte den Arzt:

„Kann etwas geschehen? Darf ich etwas für ihn thun?“

„Nichts!“ entgegnete dieser. „Nur ruhig – ruhig sein!“

Und ruhig blieb sie bei ihm, Stunden, lange, bange Stunden hindurch, in denen auch er sich nicht regte und zu schlafen schien; aber es war schwer zu sagen, ob er, ob sie bleicher und todtenähnlicher aussah. Endlich ward er unruhig, seine Züge zuckten wie in schmerzlichem Krampf, und in seinen Wangen stieg Fieberhitze auf. Er öffnete die Augen, sah Eva mit einem langen Blick an und flüsterte:

„Laß uns allein sein, Eva, ganz allein, hörst Du?“

Sie winkte dem anwesenden Wärter, das Zimmer zu verlassen – der Arzt hatte sich früher schon mit der geflüsterten Bemerkung entfernt, daß seine Hülfe für den Augenblick überflüssig sei und er später wiederkommen würde – und neigte sich mit den liebevollen Worten über ihn:

„Hast Du mir etwas zu sagen, Adalbert?“

„Zu beichten, ja, Eva!“ erwiderte der Kranke hastig. „Dem Sterben muß die Beichte vorhergehn – und sie ist schwer, die Beichte!“ fügte er mit einem stöhnenden Seufzer hinzu.

„So vertrau’ sie Gott, Deinem Herrn, allein an, der sie ohne Worte verstehn wird!“ bat sie erschüttert.

„Nein, Eva, nein, Du mußt es wissen! Rosen kann sich mit der Hälfte begnügen, die er weiß und Dir sagte, aber Du mußt Alles hören! Er hat nur den Funken gesehen, ich aber habe den Brand gefühlt immer und immer – hier im Herzen, Eva!“

„Laß, o laß, Adalbert!“ rief sie flehend, „Du sollst, Du mußt Dich schonen!“

„Schonen?“ rief er mit einer Art kurzen, wilden Lachens; „glaubst Du, die Flamme brennt minder heiß, wenn Andere sie nicht sehen?! Nein, laß mich, das allein giebt mir Lust und Linderung! – – Du hast es gehört, daß wir gejubelt und getollt und gespielt haben, und zuletzt war Alles verspielt und uns erwartete Cassation, denn wir hatten unsere Ehre um zweitausend

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_046.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)