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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

zusammen. Doch darin hatte ich mich getäuscht. Alle drei verschwanden sogleich im Holze und die Singemaus, die fortan nur mehr des Nachts sang, entwickelte einen höchst egoistischen herrischen Charakter, ließ keine andere Maus an die Freßnäpfchen und trat sehr gebieterisch gegen die anderen Mäuse auf, die oft gegen ihren Willen handeln mochten, da sich in ihrem Singen Aerger und Zorn häufig genug erkennen ließen.

Weil mir nun das Zusammenbringen der Mäuse nicht nach Wunsch geglückt war, so ließ ich einen allerliebsten kleineren Bauer mit Gängen, Treppchen und Nestern fertigen und that das Singemäuschen allein hinein, wo es sich vor meiner Beobachtung nicht so verbergen konnte, als in der großen Kiste mit dem Holze. Sodann riß ich aus einem alten Kalender mehrere ganz weiche Druckseiten, schnitt diese in Stückchen und legte das Papier in den Bauer, ohne daß die Maus jedoch den Tag über Notiz davon nahm; sie setzte sich vielmehr ruhig auf das oberste Bänkchen, nur ab und zu ganz leise singend, während ich im unteren Geschoß ihrer neuen Wohnung noch verschiedene Einrichtungen traf.

Den anderen Morgen sah ich sogleich nach meinem Mäuschen und mußte laut lachen über die Bude, die es sich in der Nacht gebaut, zugleich aber bewunderte ich die große Geschicklichkeit, mit welcher sie die weichsten Papierstreifen kerzengerade zu einer Wand nebeneinander gestellt und sich einen höchst kunstvollen Ausgang gebaut hatte.

Was nun den sogenannten Gesang meines Mäuschens betrifft, so wird es mir schwer werden diesen zu beschreiben; ich vermag ihn um so weniger mit einem Vogelgesang zu vergleichen, als das Thierchen einmal so, einmal so singt, und immer wieder neue Erfindungen hören läßt, von so wunderbarer Art und so ganz eigenthümlich, daß ich zur vollen Bewunderung hingerissen wurde. Nun hat doch auch jeder Vogel seine bestimmte und eigenthümliche Art zu singen, und singt alles, was er singt, einstimmig. Das Mäuschen hingegen singt zweistimmig, das ist das Merkwürdigste. Es beginnt mit dem Triller des Canarienvogels, schlägt dann wie eine Wachtel, gluckst wie ein Huhn, singt zuletzt in den weichsten Tönen die Scala zweistimmig, und durch alles dies hindurch hört man Baßtöne und hohle Laute, wie von einer Unke. Bei Tage und des Abends singt sie weniger kräftig, weniger hübsch; sie gluckst viel oder singt auch lange hintereinander immer denselben Ton, kurz abgestoßen. Am schönsten und besten singt sie Nachts oder nach einer gehabten Aufregung, so einmal, als mir eine von den zuerst gefangenen Mäusen entkommen war. Diese vor dem Einbruch der Nacht wieder zu fangen, setzte ich die Singemaus mit ihrem Bauer an die Erde, als Lockvogel, und die Falle oben auf. Da umkletterte der Flüchtling den Bauer der Singemaus, welche in sichtbarer Unruhe hin und her lief und dabei (man mag die Ueberschwenglichkeit meiner Worte belächeln, aber man muß dieses Thierchen eben gehört haben) so wundervoll und so staunenswerth in der Vielseitigkeit der Abwechslung mehrstimmig sang, wie ich es noch nie vernommen.

Ein ander Mal, als ich sie von den anderen Mäusen entfernt und wieder allein gesetzt hatte, sang sie nichts als Klagetöne.

Unterhaltend ist es, wenn sie namentlich Nachts etwas am Tage Gehörtes einüben will; sie trifft das zum Bewundern und es ist darum meine Absicht, mir einen recht guten Schläger anzuschaffen, der der Maus vorsingt und, wie ich nicht zweifle, eine sehr gelehrige Schülerin an ihr haben wird.

Soll sie sich hören lassen und sucht man sie künstlich durch Klopfen an den Bauer und dergleichen mehr anzuregen, so bringt man sie zu keinem ordentlichen Vortrag; sie gluckst, singt höchstens ein Trillerchen und ist fertig. Freilich sind gerade bei solchem Anlaß meist fremde Leute im Zimmer, die sie hören wollen und deren Stimmen sie beunruhigen mögen. Denn sie singt sonst zu jeder Zeit, wenn ich mit den Meinigen spreche, und scheint meine Stimme vollkommen zu kennen.

Was die Persönlichkeit der Singemaus anlangt, so gehört sie zu den kleinen grauen Hausmäuschen, welche die Katzen, wie man sagt, am liebsten verzehren. Das Singemäuschen ist sehr klein, ganz grau, hat große hochstehende Ohren, sehr schwarze glänzende Augen wie Perlen und einen Höcker auf der Nase. Die zwei anderen Mäuschen sind ihr ganz gleich und von derselben Gattung. Ich meine manchmal, daß sie vielleicht später auch noch zu singen anfangen werden, denn sie scheinen noch jung zu sein.

Rudolstadt, im December 1869.

Henriette v. Byern.

Consonanzen und Dissonanzen. Unter diesem Titel hat vor kurzem unser langjähriger und sehr geschätzter Mitarbeiter, Herr Professor Lobe, der literarisch vielfach verdiente Kunst-Veteran aus Weimar’s goldenen Tagen (Leipzig, Baumgärtner’s Buchhandlung), eine Sammlung seiner Aufsätze aus älterer und neuerer Zeit erscheinen lassen, von denen manche ihre erste Veröffentlichung in der Gartenlaube gefunden hatten. Im Interesse des Publicums freuen wir uns aufrichtig, daß Lobe diese so mannigfaltige, in den verschiedensten Journalen, zum Theil wohl in musikalischen Fachzeitschriften umhergestreueten Arbeiten der Mit- und Nachwelt nicht verloren gehen ließ. Denn in ihrem gegenwärtigen Nebeneinander erscheinen sie nicht als flüchtige Tagesproducte, sondern als innerlich zusammenhängender Ausdruck der feinen, klaren und edlen Gesichtspunkte, von denen aus eine gereifte und besonnene Individualität, ein denkender, gemüthreicher, welt- und kunsterfahrener Mann, die künstlerischen Uebungen seiner Zeit, namentlich in der musikalischen Sphäre, mit klug und scharf blickendem Auge beobachtet hat. Lobe bewahrt der lebendigen Strömung der Gegenwart jene warme Theilnahme, die ihr der Zeitgenosse schuldig ist. Als alter Weimaraner wurzelt er mit seiner Bildung und seinen Erinnerungen in der Schule jener classischen Zeit, die von dem Kunstwerke vor Allem noch durchsichtige Reinheit der Formen, deutliche und bestimmte Ausprägung des Inhalts verlangte. Unklar und unfertig gährende Richtungen und Elemente unserer Tage finden daher an ihm keinen Bewunderer und er kämpft um so lebhafter gegen dieselben, je mehr sie mit Anmaßung auftreten, neue Bahnen gebrochen und alles Große und Vollendete der Vergangenheit übertroffen und in den Schatten gestellt zu haben. Lobe ist nicht blos ein Feind der hohlen und aufgeblasenen Phrase, mit besonderem Geschick weiß er ihr auch die blendenden Hüllen abzustreifen und unter ihnen das leere Nichts oder den baaren Unsinn zu zeigen. Die sogenannte Zukunftsmusik, soweit sie eine Herrschaft aufstrebt und unberechtigte Ansprüche macht, hat bis jetzt keinen gefährlicheren Gegner gehabt, als unseren musikalischen Publicisten. Doch ist es nicht allein dieser charaktervolle Ernst der Ueberzeugung, diese auf den innersten Kern der Erscheinung dringende Schärfe, was seinen Artikeln einen auszeichnenden Werth verleiht. Sie berühren den Leser auch wohlthuend durch die frische Munterkeit und heitere Naivetät des Anschauens, durch anziehende Lebendigkeit der Darstellung und besonders durch jenen Zug bescheidenen und anmuthigen Wohlwollens, den man früher als liebenswürdige Urbanität bezeichnete, ein Begriff, welcher der heutigen Gesellschaft mit dem Gebrauche des Wortes abhanden gekommen ist. So viel über die kritische Seite des Buches, in welchem das gebildete Publicum auch eine hübsche Auswahl von unterhaltenden Partieen finden wird. Sie bestehen in bedeutsamen Lebenserinnerungen des Autors, in Gesprächen zum Beispiel, die er mit Karl Maria von Weber und Felix Mendelssohn geführt, in einem Potrait Karl August’s, der Schilderung eines Quartetts bei Goethe etc.

Ein alter Agitator. Mit Portrait. In den Zeitungen taucht neuerdings wieder ein Name auf, der, fast verschollen, in den Bewegungsjahren überall genannt wurde, wo von Revolutionen und gewaltsamen Umstürzungen die Rede war. Michael Bakunin, heißt es, der fanatische Slavist, der Führer der Dresdener Revolution, soll in der letzten Zeit von Genf aus jene Proclamationen in das russische Reich geschleudert haben, über deren Inhalt und Bedeutung die Nachrichten zwar sehr verschieden lauten, die aber doch eine Anzahl Studenten in Petersburg und Moskau verführt und in Folge dessen in Untersuchungshaft gebracht haben. Selbstverständlich ist die Richtigkeit dieser Zeitungsmittheilungen noch abzuwarten, jedenfalls aber dürfte unseren Lesern das Portrait einen Mannes willkommen sein, der, wie man auch über ihn denken mag, stets eine fabelhafte Energie und Kühnheit entwickelt und nur neuerdings durch seine überspannten und rohen communistischen Ideen in den Augen seiner früheren Parteigenossen sehr an Bedeutung eingebüßt hat. Das Portrait, eine Photographie, ist kurz nach seiner Flucht aus Sibirien in Amerika aufgenommen und uns von einem Freunde verehrt worden.

Wenige seiner Gesinnungsgenossen, die im Jahre 1849 beim alten Werner im „Hahn“ zu Leipzig mit ihm zusammen den russischen „Kochenstaufen“ brauten, werden in der gebeugten müden Gestalt den hochgebauten aristokratischen Hünen von früher wieder erkennen. Damals war Bakunin eine durch seine Liebenswürdigkeit, wie durch seine überwältigende und hinreißende Beredtsamkeit mächtig wirkende Persönlichkeit – jetzt ist er fast ein gebrochener Greis, dessen matt gewordener Witz – wenn die Zeitungen wahr berichten – sich in wahnsinnigen Proclamationen und verwerflichen und lächerlichen Angriffen auf das Eigenthum gefällt. Daß in seinem Gemüth eine tiefe Verbitterung Platz gegriffen hat, dürfte freilich nach all’ den Leiden, die er in den letzten zwanzig Jahren durchgekämpft, kaum noch Verwunderung erregen, trotz alledem ist es bei dem scharfen Verstande des Mannes unbegreiflich, sein Streben auf Bahnen verirrt zu sehen, auf die ihm nur die Beschränktheit oder das Verbrechen zu folgen vermögen.

Bakunin war schon in vormärzlichen Zeiten wegen seiner Bestrebungen zur Flucht aus Rußland und Frankreich genöthigt. Er ging damals auf nichts Geringeres aus, als auf Entzündung eines Brandes aller europäischen Staaten, um dann aus deren Trümmern das slavische Weltreich hervorgehen zu lassen. Mit erstaunlicher Beweglichkeit war er damals überall, wo etwas los war, schrieb, sprach und kämpfte rastlos, Alles für seinen großen slavischen Plan, und entwickelte namentlich beim Kampf in Dresden die rücksichtsloseste Energie. Der Niederlage folgte die Flucht, dieser ein gesunder Schlaf und die Gefangennahme in Chemnitz. Man schaffte den vielbegehrten Mann – denn Rußland und Oesterreich verlangten seine Auslieferung – auf den Königstein.

In der Nacht des 13. Juni 1850 nahmen an der sächsischen Grenze österreichische Kürassiere den Gefangenen in Empfang und führten ihn erst nach Prag und dann nach Olmütz. Nachdem er auch hier, wie vorher in Sachsen, zum Tode verurtheilt und zu lebenslänglichem schweren Kerker begnadigt worden war, geschah seine Auslieferung an Rußland. Sein nächstes Ziel war Sibirien.

Wie Bakunin selbst dort seine Fesseln sprengte, wie treue Liebe ihm Schutz und Mittel zur Flucht gewährte, wie der Einsame durch die Einöden und Gebirge Sibiriens sich nach China durchschlug, die Küste des Stillen Oceans erreichte und über diesen nach Nordamerika, von da aber nach Europa fuhr – das gleicht einer Odyssee und verdient noch erzählt zu werden. – Nach längerem Aufenthalt in Dänemark zog Bakunin, nunmehr mit seiner Retterin aus Sibirien vermählt, sich nach Genf, seitdem seinem ständigen Aufenthalt, zurück. Von dort aus setzt er auch seine Agitationen fort.


Inhalt: Aus eigener Kraft . Von W. v. Hillern geb. Birch. (Fortsetzung) – Winterdiner im Walde. Originalzeichnung von L. Beckmann. – Ein Abend im Asyl für Obdachlose. Von Max Ring. – Doctor Reinhard. Von F. L. Reimar. (Schluß) – Ein Paar „Rebeller“ von Anno Neun. Von Friedrich Hofmann. Mit Abbildung. – Vermißte Landsleute jenseits des Oceans. – Blätter und Blüthen: Das Singemäuschen. Von Henriette v. Byern. – Consonanzen und Dissonanzen. – Ein alter Agitator. Mit Porträt.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_064.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)