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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

No. 5. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Aus eigener Kraft.
Von W. v. Hillern geb. Birch.
(Fortsetzung.)


4. Bei Hösli’s.

Es war heiß geworden im Laufe des Mittags. Man konnte ohne Bedenken Alfred zu dem Besuche bei den Nachbarn mitnehmen.

Adelheid war elegant gekleidet in einen blaßblauen Sommerstoff mit Sternchen, von glänzendem Stroh gestickt. Ein Hütchen derselben Farbe, inwendig mit einem Diadem von Strohsternchen geschmückt, bedeckte das weithin leuchtende Haar, dessen rother Schimmer die gelben Strohverzierungen matt und weißlich erscheinen ließ. Sie sah aus wie Aurora, die sich aus einer blauen Wolke erhebt und die Sterne ihres Glanzes beraubt. Sie freute sich des neuen Anzuges, sie freute sich ihrer Schönheit, diese Republikaner sollten sie anstaunen in ihrer vornehmen Pracht. Alfred sah sie bewunderungsvoll an, als er so neben ihr herhinkte, und alle Leute, die in die „Enge“ herauswanderten, um den herrlichen Sonntag bei Kaffee und Küchli am Strande zu feiern, blieben stehen und schauten der strahlenden Erscheinung nach, bis sie in das zunächst gelegene große eiserne Portal der Hösli’schen Besitzung verschwand.

Sie schritt durch eine weite grüne Anlage im englischen Styl zu dem Hause, wo ein Diener in schwarzem Frack und weißer Halsbinde bereit stand. Das Gesicht des Dieners contrastirte eigenthümlich zu der hellen Cravatte und Weste, denn es war schwarzbraun. Der Bediente war ein Neger. Adelheid fragte auf Englisch, ob Frau Hösli zu sprechen, und gab ihm ihre Karte. Er führte sie stumm durch das Vestibül nach der Seeseite des Hauses, in einen Empfangssalon, dessen Glasthür die Aussicht auf Garten und See freigab, und Adelheid konnte Frau Hösli beobachten, wie sie sich halb sitzend, halb liegend in einer zwischen schattigen Eichen angebrachten Hängematte wiegte und eine Cigarette rauchte. Herr Hösli saß auf einem niedrigen eisernen Gartenstuhl und blätterte in einer der großen Zeitungen, wie sie nur in auswärtigen Staaten gedruckt werden. Zwischen ihm und seiner Frau stand ein chinesisches Kaffeeservice.

Jetzt überbrachte der Neger die Karte und Frau Hösli las die inhaltsschweren Worte: „La baronne de Salten-Hermersdorff, née Comtesse de Eulenhorst.“ Herr Hösli verschwand mit seiner Zeitung. Frau Hösli erhob sich mit der gleichgültigsten Miene aus der Hängematte und ging auf das Haus zu. Adelheid hatte während ihres langsamen Einherschreitens volle Zeit, die eigenthümliche stumpfe Pracht des Salons, in dem sie sich befand, erneuter Prüfung zu unterwerfen. Es war ein halbrundes Zimmer mit Tapeten von dunkelbrauner Seide, durchwoben von kleinen goldenen Muscheln. Die tief niederhangenden Gardinen, sowie die runden Wanddivans waren von demselben Stoff. Wäre diese kostbare Tapete weiß oder roth oder blau, meinte Adelheid, welch einen fürstlichen Eindruck müßte die Einrichtung machen, während sie in dieser unscheinbaren Farbe eigentlich nach nichts aussah. Thüren und Lamperien waren braun polirt und mit Goldleisten besetzt, der Boden und Plafond bestanden aus der schönsten Mosaik von dunklem Holz. In der Mitte und in den Ecken des Plafonds war kostbares Schnitzwerk mit Arabesken von Gold angebracht. Ein Kronleuchter von matter Bronze mit Mohrenköpfen hing von der Decke nieder, und rechts und links von einem prachtvollen schwarzen Marmorkamin hielten zwei Mohren von Onyx und Alabaster vergoldete Kandelaber. Ueber dem Kamin war ein mächtiger Spiegel in die Wand eingelassen, der den See und die Berge gleichsam in das Zimmer hinein verlegte, da die breite Glasthür mit der Aussicht auf dieselben ihm gerade gegenüber lag. An dieser Mittelwand des Zimmers um den Spiegel herum hingen in Medaillonsrahmen von geschnitztem Holz und Bronze meisterhaft gemalte Oelbilder, sämmtlich Portraits berühmter Staatsmänner Amerika’s. Auch schweizerische Denker und Dichter fehlten nicht, und Alfred betrachtete mit Innigkeit, so oft er das Zimmer betrat, die Bilder Pestalozzi’s, dieses großen modernen Evangelisten der Liebe – Geßner’s, der mit der Feder zu malen und mit dem Pinsel zu dichten verstand, und Lavater’s, vor dessen Seherblick sich die geheime Harmonie zwischen Erscheinung und Wesen des Menschen offenbart hatte!

Viel, unendlich viel dachte der Knabe beim Anschauen dieser stummen Zeugen der Größe eines bescheidenen und in seiner Einfachheit so oft verkannten Volkes, während seine Mutter sich den Kopf zerbrach, was für ein Wappen sich die Hösli’s anmaßten. Ueber der Glasthür war nämlich ein kostbar gemaltes Fenster. Es zeigte in brennenden Farben ein Allianz-Wappen, Adelheid wußte nicht, daß es die vereinten Wappen Zürich’s und Brasiliens waren. Frau Hösli, die Tochter eines Kaufmanns aus Rio de Janeiro, hatte, obgleich sie sich ihrem Manne zu Liebe völlig in die schweizerische Art eingelebt, doch eine stolze und zähe Anhänglichkeit für ihr Vaterland bewahrt. Das Allianz-Wappen war eine Aufmerksamkeit ihres Gatten für sie gewesen.

Außer zwei eingelegten Tischchen von Ebenholz vor den Divans, hatte das Zimmer keinen Schmuck weiter, als eine große antike Vase

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_065.jpg&oldid=- (Version vom 19.12.2018)