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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

erscheinen ließen. Das Verbrechen war, wie man im gewöhnlichen Leben zu sagen pflegt, auf offener Landstraße verübt. Der Beschädigte war ein reicher Viehhändler und außerdem ein Mann, der ungewöhnlich groß und stark gewesen sein sollte. Es waren dies Eigenschaften, welche zu der Annahme führten, daß der Mann seinem Angreifer Widerstand entgegengesetzt habe und nur erst nach hartem Kampfe erlegen sei. Dafür sprachen auch die große Zahl und die Beschaffenheit der Verletzungen. Die Gerichtsärzte hatten eine Schuß- und elf Stichwunden constatirt. Der Schuß war nach dem Kopfe abgefeuert worden. Die kleine Kugel, welche ungefähr den Umfang eines sogenannten Rehpostens gehabt haben sollte, hatte die Weichtheile der linken Wange in etwas schräger Richtung von unten nach oben zerrissen, während die verschiedenartig tiefen Stichwunden sich über die ganze Fläche des oberen Theiles der Brust verbreiteten. Aus diesem Befunde entnahm man Belastungs-Momente für meinen Gefangenen. Man sagte, er sei mindestens eben so groß als der Beschädigte und jedenfalls eben so stark als dieser gewesen; er habe daher den Angriff unternehmen und siegreich bestehen können.

In dem Besitze des Gefangenen waren ein kleines Terzerol und ein dolchartiges Messer gefunden worden. Beide Waffen sollten nach dem übereinstimmenden Gutachten der Gerichtsärzte zu den an der Leiche vorgefundenen Verletzungen passen, namentlich das Messer genau in die Stichwunden. Bis zu dem Orte der That hatten zwei, von demselben fort nur eine Fußspur geführt. Es war unzweifelhaft, daß die letztere von dem Thäter zurückgelassen sein mußte. Dieselbe war daher auch mit großer Sorgfalt beobachtet, ausgemessen und nachgezeichnet worden. Die durch Sachverständige ausgeführte Vergleichung dieser Zeichnung mit dem Schuhwerke meines Gefangenen führte zu dem Ausspruche, daß Beides, Schuhwerk und Zeichnung, in der genauesten Uebereinstimmung sich befände.

Mein Gefangener und der ermordete Viehhändler hatten am Tage vor dem Auffinden der Leiche in demselben Gasthofe verkehrt und waren am Abend fast zu gleicher Zeit, der Viehhändler kaum eine Viertelstunde früher, von dort abgereist, und zwar Beide zu Fuß, weil ein Wagen nicht hatte beschafft werden können. Der Gefangene wurde von mehr als zehn Zeugen mit der größten Bestimmtheit wiedererkannt. Es wurde aber auch von einigen Zeugen noch bemerkt, daß derselbe anfangs in dem Gasthofe habe übernachten wollen, daß er nach der Abreise des Viehhändlers unruhig geworden sei und dann plötzlich erklärt habe, daß er nicht bleiben könne, daß er fortmüsse. Seine Abreise habe dann „Hals über Kopf“, wie sich die Zeugen ausdrückten, stattgefunden.

Ich habe bereits erwähnt, daß mein Gefangener oberhalb des linken Auges eine Narbe hatte. Aehnliche, aber weniger tiefe Narben waren auf der Oberfläche der linken Hand vorgefunden. Nach dem Ausspruche der Sachverständigen traf das Alter dieser Narben mit der Zeit der Verübung des Mordes zusammen. Die Entstehung blieb unaufgeklärt. Der Gefangene wollte die Verletzungen bei Gelegenheit eines unglücklichen Falles, also zufällig erhalten haben, vermochte aber für seine Behauptung Beweis nicht beizubringen. Ebensowenig war er im Stande nachzuweisen, wo er sich zur Zeit der Verübung des Mordes befunden hatte. Auch über das Motiv der That schien kein Zweifel zu bestehen. Der Viehhändler hatte in dem Gasthofe eine große Summe Geld gehabt, und diese auch mit fortgenommen. Bei seiner Leiche war davon nichts vorgefunden, der Thäter mußte daher das Geld sich angeeignet, ihm konnte der Mord nur als Mittel zur Erlangung des Geldes gedient haben.

Bemerkenswerth ist hierbei noch der Umstand, daß nur allein das Geld vermißt wurde, daß alle übrigen Werthsachen, namentlich eine alte, aber kostbare Uhr, noch bei der Leiche vorgefunden worden waren. Es sollte hieraus hervorgehen, daß der Thäter mit kluger Berechnung verfahren und vorsichtig Alles, was die Entdeckung zu erleichtern geeignet sein mußte, zu beseitigen bestrebt gewesen war. Von einem gewöhnlichen Verbrecher sollte ein solches umsichtiges Handeln nicht anzunehmen sein.

Endlich muß ich noch eine Auskunft erwähnen, welche die Ortsbehörde des Gefangenen dem Untersuchungsrichter gegeben hatte. Es war darin gesagt, daß dem Gefangenen nichts Nachtheiliges nachgesagt werden könne, daß derselbe aber in der letzteren Zeit mehrfache nicht unerhebliche Verluste erlitten haben solle. Man wird zugeben müssen, daß jedes einzelne Moment völlig werthlos war, oder doch nur eine geringe Bedeutung hatte, daß dieselben aber zusammengerechnet ein Gewicht erlangen konnten, unter dessen Druck der Gefangene erliegen mußte.

Der Untersuchungsrichter arbeitete fast Tag und Nacht. Die Verhöre wurden häufig abgebrochen, und nach Verlauf von einer halben, höchstens einer vollen Stunde wieder aufgenommen und dann nicht selten bis spät Abends fortgesetzt. Er ließ wenigstens in den ersten Tagen der Haft meinen Gefangenen gar nicht zur Ruhe kommen. Die dadurch herbeigeführte fortdauernde Aufregung und der Mangel jedes Ruhepunktes hatten für denselben die bedauerlichsten Folgen. Sein Geist erlahmte, er hielt den Schlägen nicht mehr Stand.

„Was nützt es denn auch,“ sagte er eines Tages, „daß ich wiederholt versichere, unschuldig zu sein? Man glaubt mir ja nicht, weil ich schuldig sein soll, oder schuldig sein muß. Mein Streiten hilft zu nichts, es ist nutzlos.“

Das wurde bei ihm zur fixen Idee. Alle Vorstellungen waren vergeblich, jeder Zuspruch erwies sich wirkungslos, er verharrte in dem Wahne, daß er unter allen Umständen der Schuldige sein solle. Wenn ich ihn in seine Zelle zurückbrachte, so warf er sich regelmäßig auf die Bank, stützte den Kopf auf beide Hände und starrte schweigend vor sich hin. Und wenn ich dann Fragen an ihn richtete oder ihn zu trösten versuchte, so schreckte er zusammen, er blieb aber in seiner Stellung und verharrte in seinem Schweigen. Dieser Zustand übertrug sich auch auf sein Verhalten vor dem Untersuchungsrichter. Er sprach entweder gar nicht oder gab, wenn er dazu gedrängt wurde, kurze, einsilbige Antworten. Einige Tage später schien es mir sogar, als ob er die an ihn gerichteten Fragen gar nicht verstehe, die Worte einzeln sich erst klar machen, die Bedeutung derselben erst aus weiter Ferne herbeiholen müsse. Der Zustand, in welchen der Gefangene lediglich durch die Haft und durch die Untersuchung versetzt war, verstärkte meine Theilnahme. Ich glaubte darin eine Geistesstörung finden zu müssen und fürchtete, daß diese immer tiefere Wurzeln schlagen und zuletzt unheilbar werden möchte. Der Gefängnißarzt bestärkte mich in dieser Annahme. Derselbe verordnete zwar auch verschiedene Heilmittel, erklärte aber gleichzeitig, daß er sich nur dann Erfolg verspreche, wenn der Gefangene durch irgend ein ungewöhnliches Ereigniß aus seinem lethargischen Zustande aufgerüttelt werde.

Dies Ereigniß wollte ich herbeiführen. Ich schrieb an die Frau des Gefangenen. Ich schilderte ihr den Zustand ihres Mannes wahr und treu, und forderte sie auf, entweder selbst zu kommen, oder, wenn sie dazu nicht im Stande sein sollte, von dort aus Schritte zu thun, welche eine Aenderung zu erwirken geeignet sein möchten.

Ich habe später unzählige Male gewünscht, diesen Brief nicht geschrieben zu haben; er hat entsetzliches Unheil angestiftet. Der Frau war bis zu dessen Empfange das Schicksal ihres Mannes unbekannt gewesen, da das Verbrechen weit ab von dem Wohnorte des Gefangenen verübt war und die hier veranlaßten behördlichen Nachforschungen, wie dies in ähnlichen Fällen zu geschehen pflegt, geheim gehalten worden waren. Der Schreck, die Furcht und die Angst in Verbindung mit ihrem ohnedies schon reizbaren Zustande hatten sie niedergeworfen und, nachdem sie eine unzeitige Entbindung überstanden, dem Tode in die Arme geführt. Mein Gefangener war Wittwer, er hatte nur noch für einen Sohn zu sorgen. Die Nachricht von dem Tode seiner Frau war aber das Ereigniß, welches den Gefangenen mit einem Male der Theilnahmlosigkeit entriß. Die Aeußerungen seines Schmerzes waren gewaltig und langdauernd, ein rührendes Zeugniß für die Liebe zu der Verstorbenen, allein sie machten ihm in demselben Verhältnisse, in welchem sie schwächer wurden, den Kopf und die Brust frei und bewirkten, daß er wieder denken lernte, daß er seine Lage übersehen und sich auf den Kampf für seine Unschuld vorbereiten konnte.

Nach etwas länger als acht Monaten war endlich die Untersuchung geschlossen, die Anklage erhoben und die Versetzung in Anklagestand wegen Raubes und Mordes beschlossen. Das nächste Schwurgericht sollte in der Sache entscheiden. Im Allgemeinen zweifelte man nicht an der Verurtheilung, nur einzelne Stimmen wollten die erbrachten Beweise nicht für zureichend erachten, sie meinten, daß bestimmtere Anzeichen dazu gehörten, um ein Todesurtheil fällen zu können und daß deshalb eine Anklage gar nicht hätte erhoben werden sollen.

Bevor das Schwurgericht zusammentrat, bevor also eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_099.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)