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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

eine scherzhafte Wendung zu geben, sagte ich: „Jetzt weiß ich bestimmt, daß Sie, wie ich immer behauptete, eine Hexe sind, denn Sie möchten gern weinen und können nicht.“

Sie stampfte ungeduldig mit ihrem kleinen Fuße und mit der Hand mich abwehrend, sagte sie mit zitternder Stimme: „O, wäre ich ein Mann!“

„Meine liebe Prinzessin,“ antwortete ich, „ich bin einer,“ steckte meinen geladenen Revolver unter meinen Gummimantel in den Gürtel und verließ das Haus, um im Hauptquartier Oberst von *** aufzusuchen.

Ich hörte, daß derselbe bei General Stahel sei. Ich fand den letztern neben dem Kamin sitzend, vor welchem *** stand, sich den Rücken wärmend. Ohne ein Wort zu sagen, gab ich dem General die Hand, trat vor den Oberst hin, sah ihm fest in’s Auge und fragte: „Oberst ***, haben Sie den Befehl gegeben, mein und der Prinzessin Pferd aus dem Stalle zu werfen?“

„O, es ist da genug Platz für Ihre Pferde,“ antwortete er.

„Haben Sie Befehl gegeben, meine Pferde aus dem Stalle zu werfen?“ wiederholte ich mit erhobener Stimme. Er mußte wohl in meinem Blicke etwas sehen, was ihm nicht gefiel; oder vielleicht sah er auch ein, daß er zu weit gegangen war; genug, er bejahte meine Frage nicht, sagte einige ausweichende Worte und verließ das Zimmer, wie ich vermuthe, seinen Befehl zu widerrufen.

Als er fort war, trat ich zu Stahel, schlug meinen Mantel zurück, zeigte ihm meinen Revolver und sagte: „Sehen Sie hier, Stahel; *** war seinem Ende in seinem ganzen Leben nicht näher als jetzt. Hätte er mich thätlich insultirt, wie ich beinahe von ihm erwartete, so würde ich ihn auf der Stelle hier erschossen haben.“ Der General hob nur die Hand und schüttelte den Kopf, sagte aber kein Wort.

Die Brutalität, mit welcher *** seine Stellung mißbrauchte, trug ihm schlechte Früchte, und wenn er trotz seiner militärischen Tüchtigkeit nicht General wurde, so verdankte er das nur seinem Benehmen gegen die Prinzessin. Diese erzählte es dem Präsidenten und verschiedenen Senatoren, und der Erstere gelobte, daß ein gegen eine Dame so brutaler Mensch nie General werden solle. Er hielt sein Wort. *** blieb Oberst, bis er am Ende des Krieges ausgemustert wurde. Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht. Doch war ich später noch einmal mit ihm in Washington zusammen und vertrug mich sehr gut mit ihm, denn im gewöhnlichen Leben war er ein angenehmer Gesellschafter und achtungswerther Mann.

Ich schlief die Nacht mit Salm im Zelte auf einer auf den bloßen Boden gelegten Matratze. Es war eine abscheuliche Nacht, denn die eine wollene Decke, die wir hatten, schützte uns nur nothdürftig gegen den Wind und Regen, die von allen Seiten eindrangen.




Der Leipziger Carneval.

Das Jahr 1866 war verhängnißvoll über Europa hereingebrochen. Die Schlacht von Königgrätz hatte das deutsche Land in Geburtswehen versetzt, deren Dauer im Bündniß mit jener schrecklichen, aus Asiens Sümpfen entstammten Seuche auf die allgemeine gewerbliche Thätigkeit so unheilvollen Einfluß übte. Es war eben eine Zeit der Ernte, wo sich die Spreu vom Weizen sichtete und reicher Segen Denen winkte, die nicht vorher verhungert waren. Am Hungertuche aber nagten Hunderttausende, und auch die sonst wohlhabende Stadt Leipzig stellte zu ihnen kein geringes Contingent. „Guten Morgen, Feierabend!“ lautete damals das Motto, und wo es sich machte, begann man einen Strike, um den Beutel internationaler Freundschaft und Genossenschaft in Anspruch zu nehmen.

Um diese Zeit der allgemeinen lieben Noth war es, wo eines Abends in Leipzig einige Künstler beisammen saßen und, nachdem sie die Tagesordnung durchgenommen, auch auf die Arbeitercalamität zu sprechen kamen und sich in Muthmaßungen erschöpften, wie man es anzufangen habe, um einen tröstlichen Geist über die Bevölkerung herabzubeschwören. Da gedachte Einer der Künstler des alten Ben-Akiba, welcher durch seine Versicherung, „es sei Alles schon dagewesen,“ zum verkörperten Sprüchworte geworden ist, und stellte die Frage, wie denn unsere Voreltern bei ähnlichen Gelegenheiten gehandelt und ob, mit Ausnahme der Religion, von ihnen nicht auch noch andere Trost- und Beruhigungsmittel angewendet worden wären? Und diese Frage war es, welche den Keim des ersten Leipziger Carnevals in sich barg. Die Erinnerung an den Palmenesel der lustigen Chorherren des Augustinerklosters zu Sanct Thomas in Leipzig weckte in den Künstlern den Gedanken, ein Narrenfest zu gründen und dadurch der ärmeren Bevölkerung Verdienst, neue Regsamkeit und heiteren Sinn zu schaffen.

Mit dem Palmenesel aber hatte es folgende Bewandniß. Zur Zeit der Augustinermönche wurde am ersten Ostertage in der Thomaskirche von ihnen eine Komödie veranstaltet und nach verschiedenen Possen, wobei das Volk sich nicht selten prügelte, zur Erinnerung an den Einzug Christi in Jerusalem, ein mit Palmenzweigen geschmückter Esel in den Straßen herumgeführt. Dies geschah unter großem Zulaufe der Bevölkerung, die sich theilweise vermummt hatte, und aus den Häusern, an welchen der Zug vorüberging, allerhand Spenden erhielt, von welchen freilich der Löwenantheil den Augustinermönchen zu Gute kam. Die Leipziger Jahrbücher wissen eine Menge ernste und komische Dinge von diesem Palmeneselfeste und der damit verbundenen lustigen Mummerei zu erzählen, und es hatte dieser Carneval in der Bevölkerung so festen Boden gefaßt, daß nach der Reformation und der damit verbundenen Säcularisation des Augustinerklosters die Leipziger, mit zeitgemäßer Abänderung, ihn noch beinahe zwei Jahrhunderte fortsetzten und die alten Rathsherren nur mit Mühe und Noth die letzten Spuren desselben zu tilgen vermochten. Dieses alte Volksfest wieder aus dem Grabe erstehen zu lassen, ihm ein modernes Narrengewand anzulegen und es, etwa nach dem Vorbilde Kölns, dem neuen Norddeutschen Bunde vorzuführen, das war der rasch entworfene Plan der wackeren Künstlergruppe, welchen lebensfähig zu machen man sogleich die nöthigen Schritte that.

Die humoristische Gesellschaft Klapperkasten, deren pecuniäre Mittel ihr „Manches“ erlauben, bot sofort zur Ausführung der Carnevals-Idee die Hand, und ohne Zögern ging man an’s Werk. Tausend rüstige Hände wurden in Thätigkeit versetzt, ein Comité gewählt und die Welt durch die Presse von der bevorstehenden neuen Schöpfung in Kenntniß gesetzt. Ein Carneval in Leipzig! Das war ein verwegener Gedanke! In der Bevölkerung Leipzigs erregte er eine förmliche Revolution. Einige Wochen lang vergaß man selbst die preußische Einquartierung und die noch immer herrschende Seuche. Alles sprach vom Carneval, die Männer mit weniger Sympathie als die Frauen. Eine Hauptklippe jedoch, an welcher so mancher Freund der Sache Schiffbruch litt, war die Furcht, öffentlich als Narr aufzutreten. Im Hause oder im engeren Cirkel wäre dies schon angegangen, aber als reputirlicher Bürgersmann, Handelsherr oder Beamter mit der Narrenkappe auf dem ehrsamen Haupte – welcher Gedanke! Der Klapperkasten ließ sich jedoch durch die reputirliche Schüchternheit nicht beirren. Er schrieb zunächst Narrenabende aus, für welche er ergötzliche Unterhaltung versprach, und hatte denn auch die Befriedigung, daß eine Menge heiteren Elementes zuströmte und mit Vergnügen auf der Leimruthe sitzen blieb. Die Narrenabende waren ein würdiges Vorspiel des Hauptfestes. Nicht nur daß sie den Geist und Witz, die Sorgsamkeit und Gewandtheit des leitenden Elementes in’s hellste Licht stellten, gaben sie auch dem Zögernden Muth und dem Muthigen Begeisterung bis zur Opferfreudigkeit. Wir selbst sahen alte Herren, die bei der ersten Nachricht von dem Entstehen eines Leipziger Carnevals mit gerungenen Händen und verdrehten Augen nach oben blickten, als fürchteten sie des zürnenden Himmels Strahl mitten in die ganze Narrenfreude hinein – wir selbst sahen diese alte Herren am zweiten Narrenabend mit kreuzvergnügtem Antlitz, die Narrenkappe auf dem Haupte, wie sie aus heller Kehle den Bierwalzer mitsingen halfen und bis nach Mitternacht als treue Jünger dem Prinzen Carneval huldigten. Hätten die Damen Zutritt gehabt, wer weiß, ob nicht schon beim ersten Carneval der größte Theil der Bevölkerung in das Lager des Beherrschers des Narrenreichs übergelaufen wäre!

Prinz Carneval war mit großer Feierlichkeit an der Seite seiner Auserwählten, der Prinzessin Klapperia, in Leipzig eingezogen und hatte nebst seinem Hofstaate in dem bekannten Hôtel

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