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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

„Schwatz’ doch nicht immerfort“ zu. Die arme Lilly flüchtete verschüchtert zu Alfred, wo ein- für allemal ihr Platz war, und verhielt sich ruhig, während Wika herablassend erzählte, wie ihre Herzogin – bei der sie einst Hofdame war – eine Vorliebe für Fabriken gehabt habe, und wie sie auf ihren Reisen überall mit der Hoheit die Fabriken habe besuchen müssen, was übrigens ihr – Wika – gar nicht lieb gewesen sei, weil der Geruch der vielen Arbeiter und das Getöse und der Rumor sie ganz nervös gemacht habe.

Herr Hösli erwiderte hierauf lächelnd: „schlimmer als in einem Lazareth, wo sich doch die Damen der Aristokratie wohlthätiger Zwecke halber auch oft aufhielten, werde der Geruch wohl nicht gewesen sein. Und an den Lärm gewöhne man sich wie der Officier an den Donner der Geschütze. Uebrigens sei eine Fabrik auch kein Aufenthalt für Damen, die sich nur mit dem schmücken sollten, was aus dem Schweiß und Brodem einer Fabrik hervorgehe.“

Wika hatte genug für heute und beschloß, sich mit „diesen Leuten“ nicht weiter einzulassen. Frau Hösli aber sagte unbefangen, es habe sie anfangs auch Ueberwindung gekostet, in die Fabrik zu gehen, denn das Getriebe der Maschinen habe ihr immer etwas unbeschreiblich Beängstigendes und sei ihr wie eine Ahnung, daß ihr einmal durch dieselben ein schreckliches Unglück widerfahren müsse. Aber sie habe es doch endlich gewöhnt und gehe öfter hin, um nach den armen Arbeitern und Arbeiterinnen zu sehen.

„War denn Ihr Herr Vater kein Fabrikant?“ fragte Wika spitzig.

„Nein,“ sagte Frau Hösli heiter, „er war ein Colonialwaarenhändler. Das Feuer, das unsere Producte zu Tage fördern mußte, war die Sonne und das Dach unserer Fabrik der blaue Himmel Brasiliens.“

„Das war wohl ein recht angenehmes Geschäft?“ meinte Wika gnädig.

„O, es kann nichts Schöneres geben, als der Erde so unmittelbar ihre Früchte abzugewinnen, die ersten Lebensbedürfnisse der Menschen zu beschaffen und auszusenden in andere Welttheile, wo die Natur spärlicher giebt und die Menschen begierig auf das warten, was wir ihnen von unserem Ueberfluß schicken. Ich mußte wenigstens bei jeder guten Ernte an die armen Leute in Europa denken, wie sie sich freuen werden, wenn Kaffee und Zucker wieder abschlagen und wie ihnen das gut gerathene Product schmecken wird. Ich hatte mehr Vergnügen daran, zu denken, wie die armen Leute in der kalten Stube sich an einer Tasse heißen Kaffee’s erlaben, als wie sich stolze Damen in der Seide spreizen, die mein lieber Mann gesponnen und vielleicht dabei voll Verachtung an den Fabrikanten denken, der aus ihrer Eitelkeit Nutzen zieht.“

„Das wird wohl keine vernünftige Frau thun,“ sagte Adelheid mit herablassender Verbindlichkeit.

„Ich weiß wohl,“ entgegnete Herr Hösli, „man denkt in Deutschland gering vom Kaufmannsstand, weil man den Gelderwerb immer noch mit einer gewissen Verschämtheit betreibt, während man doch auf den Geldbesitz sehr stolz ist. Seltsamer Widerspruch – als ob es eine Schande wäre, zu erwerben, was doch keine Schande ist, zu besitzen! Dem Handelsmann, der noch in Thätigkeit ist, kehrt man in gewissen Kreisen den Rücken, während der reiche Rentier, der sich, Gott weiß wie, ein Vermögen erschwindelt und den Dandy spielt, überall ein gerngesehener Gast ist. ‚Wovon lebt er?‘ – „Von seinen Renten“ – ah, das ist Bürgschaft genug! Ist nun solch ein Mann gar noch ein Ausländer – desto besser! Je weniger man von ihm weiß, desto interessanter ist er. Das putzt den Salon und giebt Gelegenheit mit Sprachkenntnissen zu glänzen. Wie manche vornehme deutsche Familie reist nur in die Schweiz, um auf den so beliebten ‚reichen Engländer‘ zu fahnden, denn wenn sich derselbe auch schließlich als irgend ein einfacher Epicier entpuppt, so deckt wenigstens die große Entfernung die Schande zu, daß man seine Tochter einem Kaufmann zur Frau gegeben. Für die deutsche Verwandt- und Bekanntschaft ist und bleibt er einfach ‚ein reicher Engländer‘! Habe ich nicht Recht, Herr Baron?“ frug Herr Hösli lachend.

„Vollkommen Recht!“ bestätigte der Freiherr.

„Das ist sehr schmeichelhaft für uns!“ bemerkte Wika und wackelte vor Zorn mit dem Kopfe.

„Present company is always excepted,“ sagte Herr Hösli mit einer artigen Verbeugung; „daß ich mir erlaubte, diese kleine Sonderbarkeit der Deutschen in Ihrer Gegenwart zu berühren, mag Ihnen beweisen,[WS 1] wohl wie sehr ich Sie sämmtlich von dieser Sinnesart ausnehme! Es läßt sich ja gar nicht leugnen, daß diese falsche Scham auf einem Zartgefühl beruht, welches die Deutschen vor allen anderen Nationen auszeichnet, auf einer Geringschätzung der materiellen Güter des Lebens. Aber diese Geringschätzung ist eben heutzutage doch nicht mehr am Platze, wo so gewissermaßen alle Menschen bis zu einem gewissen Grade Kaufleute sind.“

„Ah“ – machte Wika, „da wäre ich denn doch begierig!“

„Nun, meine Gnädige, was thut ein Kaufmann? Er läßt gewerbsmäßig für Geld Dinge, in deren Besitz er sich befindet, an Andere ab, nicht wahr?“

„Freilich!“

„Man kann aber auch andere Dinge als Waaren verkaufen und einen nominellen Werth in einen realen umsetzen. Alles, selbst das Höchste und Unschätzbarste, wird mit Geld bezahlt und das Letztere oft gerade am schlechtesten! Der Tagelöhner verkauft seiner Hände Kraft, der Dichter und Künstler die Schöpfung seines Talentes, der Advocat seinen Rath und seine Einsicht, der Richter sein Urtheil, der Gelehrte sein Wissen und der Officier sein Leben oder wenigstens seine geraden Glieder. Wer thut oder giebt etwas umsonst? Sogar der aufopferndste Diener der Menschheit, der Arzt, läßt sich das Menschenleben bezahlen, das er gerettet, auch das, welches er nicht gerettet; ja selbst der Geistliche, der geweihte Diener Gottes, tauscht das göttliche Wort für Geld aus und jeder Segensspruch am Altar oder am Sterbebette hat seine bestimmte Taxe. Wie, und wir Kaufleute sollen uns schämen, für den Fleiß und die Mühe, womit wir die Bedürfnisse der Gesellschaft herbeischaffen müssen, eben auch unsere Entschädigung, unseren Profit zu fordern?“

Eine kleine Pause der Verlegenheit entstand. Herr Hösli wartete einen Augenblick auf Antwort, denn fuhr er ruhig fort: „Sie werden mir im Stillen entgegnen, daß für die Denker, Dichter, Beamten und so weiter das Geld nur Mittel zum Zweck, für den Kaufmann aber Zweck ist. Ich will es anheimgestellt sein lassen, wie viele Dichter um des Geldes willen schaffen, wie viele hochangesehene Geistliche und Beamte ihren Beruf nur als Broderwerb betrachten! Ich sage ganz ehrlich: Ja, wir Kaufleute wollen Geld machen und thun damit nichts anderes, als was in früheren Zeiten die größten Potentaten auf dem Wege der Alchymie versuchten, was heut zu Tage Jeder auf dem Wege vernünftiger Speculation versucht, der erkannt hat, daß Geld Macht und Freiheit in sich schließt! Wer Geld hat, ist unabhängig, ist Herr seiner selbst und seiner Zeit. Ich leugne nicht, daß ich mit Freuden arbeite, um mein Vermögen zu vergrößern, denn, da bei den Bürgerlichen alle Kinder gleich erbberechtigt sind, geht unser Besitz dereinst in vier Theile und ich muß ihn vervierfachen, wenn ich jedes Kind so reich wie uns selbst zurücklassen und meiner Familie auf lange hinaus eine freie unabhängige Stellung sichern will. Sie, Herr Baron, der Sie als Adliger so viel auf Familien-Ehre und Ansehen geben müssen, werden das am besten verstehen. Es ist nur der Unterschied zwischen uns, daß der Adel, um den Glanz der Familie zu erhalten, die jüngeren Nachkommen von der Erbschaft des Hauptvermögens ausschließt, daß wir aber für unsere jüngeren Kinder noch ein Vermögen zu dem bereits vorhandenen erwerben. So haben es die Hösli’s von Alters her gemacht und es existirt Gottlob Keiner mit Namen ‚Hösli‘ in der Schweiz, der nicht auf eigenen Füßen stünde, oder gar dem Glanz und der Ehre unserer Familie Eintrag thäte!“

„Das ist sehr ehrenwerth gedacht, Herr Hösli,“ erwiderte der Freiherr höflich, aber kalt. Er konnte in den, wenn auch boshaften, aber doch immerhin nicht unhöflichen Reden Wika’s keine genügende Veranlassung zu einer so ausführlichen Vertheidigung seines Standes seitens des Herrn Hösli finden. Lilly aber, das enfant terrible, „vor dem man sich doch nie genug in Acht nehmen konnte!“ plauderte, nachdem die Hösli fort waren, dem Freiherrn den Grund aus. Sie hatte mit Wika und Adelheid in der Küche gestanden, als das Mädchen die Karten Hösli’s brachte, und Adelheid hatte gesagt, sie müsse doch erst noch ein wenig Toilette machen. Darauf habe Wika gerufen: „Na, wegen dem Kaufmannsgesindel wirst Du doch keine Umstände machen?“

Da habe ihnen das Mädchen erschrocken abgewinkt, weil die

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: bewesen
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_114.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2019)