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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Unternehmung. Auf dem Malersaal fliegen indeß die Pinsel wie die Schwalben im Frühling, ganze Eimer, gefüllt mit Himmelblau, werden auf der am Boden ausgespannten Leinwand umgeschüttet, und die Farbe mit einem Reisigbesen nach allen Richtungen vertheilt; das heißt in der Kunstsprache „Luft malen“, auch „grundiren“. Bestellte eiserne Walzen kommen aus verschiedenen Fabriken, Modelle aus Darmstadt, wo der Maschinenmeister, einer der ersten seines Fachs, domicilirt; Tischler, Zimmerleute, Klempner und Schlosser hobeln, sägen, löthen und feilen, daß es eine Lust ist für Jeden – der seine Ohren davon fern halten darf. Bei dem Allem ist der Geldschrank der Direction das belebende Princip. – Die ganze Ausstattung eines solchen Stückes kostet gewöhnlich fünfzehn- bis zwanzigtausend Thaler, doch nach den ersten dreißig Vorstellungen ergiebt sich im günstigen Falle schon ein Ueberschuß für die Casse des Directors. Wir sprechen hier speciell von dem Victoria-Theater zu Berlin, welches dort allein in großen Féerien und gewinnbringend nur noch in Hermann Hendrichs’ Gastspielen macht.

Das Wallner-Lebrun-Theater führt dem Publicum Possen und Volksstücke vor, die letzteren oft von wirklich poetischem Werth. Das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater hält sich mehr zu dem leichtblütigen Offenbach; am Woltersdorff-Theater ist die Posse dominirend; Kroll’s Etablissement executirt im Sommer eine recht gute Oper, und im Winter bringt es mit großer Pracht und großen Kosten Weihnachts-Ausstellungen – soweit es die französische Gesandtschaft erlaubt. Die nach Aufhebung der Concessionen neu hinzugekommenen Dutzend-Theater sind als Kunst-Institute noch von keiner besonderen Bedeutung; einzelne zeigen jedoch schon, daß aus ihnen noch Etwas werden kann.

Kommen wir nun endlich zur Theaterprobe! Sämmtliche Leser der Gartenlaube mögen sich vom Herrn Director Cerf als eingeladen betrachten und zwar ganz gegen die Hausordnung, denn nach dieser darf während der Proben kein Uneingeweihter die Räume des Theaters betreten. Es muß sich aber ein Jeder nach seinem Platze hin fühlen, denn in den Proben, mit Ausnahme der Generalprobe, die einer wirklichen Aufführung gleichkommt, ist der Zuschauerraum nicht beleuchtet. Auf der Bühne jedoch bemerkt man einen schwachen Versuch von Nachbildung heiteren Sonnenglanzes, da eine theilweise Costümprobe gleichzeitig in Aussicht steht. Kurz vor Beginn der Probe erscheint auch noch der Präses der Berliner Theaterliteratur in Zettelform, die Säule der dramatischen Kunst in Typen, Herr Ernst Litfaß, und zwar in Begleitung eines tüchtigen Zeichners, der von ihm den Auftrag erhalten hat, nach den prächtigen Costümbildern des Hof-Photographen Herrn Graf ein illustrirtes Riesenplacat anzufertigen, durch welches an einem schönen Morgen der werdenden Weltstadt die freudige Nachricht verkündet werden soll, daß die Feen, Elfen und Gnomen mit ihrem ganzen lustigen Märchengefolge in die Räume des an der Straße der Münzen gelegenen Musentempels eingezogen sind, um dort Abend für Abend wieder ihre lustigen Capriolen zu machen. Und wie der Militärarzt seinem Regiment in die Schlacht folgt, um bei Verwundungen und Erkrankungen gleich hülfreich bei der Hand zu sein, so sehen wir hier den Theater-Agenten mit einem contractgefüllten Besteck, um etwaige durch Krankheit, Caprice oder Unbrauchbarkeit entstehende Lücken im Personal durch neue Engagements sofort wieder aufzufüllen. –

Endlich, nachdem ein Jeder seinen Platz eingenommen, beginnt die Probe.

Der Oberregisseur kommt mit gedankenvoller Miene, das Regiebuch unter dem Arm, die Klingel in der Hand, und setzt sich an einen Tisch neben dem Souffleurkasten; ein zweiter Stuhl ist für den Director gestellt, auch nimmt wohl der Verfasser oder Bearbeiter des gerade zu probirenden Stückes ab und zu diesen Platz ein; der Capellmeister hat sich’s auf dem Dirigirstuhl im Orchester bequem gemacht und plaudert mit dem neben ihm sitzenden Concertmeister, der zugleich ein trefflicher Violinvirtuose ist; der Orchesterdiener legt Noten auf die Pulte für die Musiker; der Decorationsmaler rennt nach vorn und hinten, er taucht unter in die Tiefen der Versenkung, von da schwingt er sich wieder auf zur schwindelnden Höhe des Schnürbodens, überall die Theaterarbeiter zurechtweisend, denn Jeder von diesen hat seine besonderen Taue zu ziehen oder Coulissen zu schieben. Der Balletmeister instruirt ein paar schwer capirende Balleteusen, und belehrt sie, wie sie die Beine zu werfen, was sie für Attitüden, Pirouetten und Entrechats zu machen haben; die Prima-Ballerina sitzt unter altem Gerümpel auf einem Pappthron im tiefsten Hintergrunde der Bühne und überreicht mit vielverheißendem Lächeln dem zu ihren Füßen kauernden Grafen „Confiturini“ den Wunschzettel für ihren in wenigen Tagen eintreffenden Geburtstag (der nämlich alle zwölf Wochen wiederkehrt); und mit prüfenden Blicken mustert der Requisiteur seine „Erfordernisse“, da das Fehlen selbst einer Stecknadel die heilloseste Verwirrung hervorzurufen im Stande wäre. Gegen die Brüstung einer Prosceniumsloge lehnt der Dramaturg und schäkert mit der Soubrette, die dabei ungenirt eine Caviarsemmel verzehrt; forschend blickt der Theaterinspector überall umher, ob sich auch kein Unberufener mit eingeschlichen hat, der die Geheimnisse der Theaterprobe verrathen könnte. Und während der Maschinenmeister schweißtriefend unter dem Podium herumkeucht, die Walzen, Räder und Taue prüfend und den Arbeitern in der Unterwelt gemessene Instructionen ertheilend, fliegen auf der Bühne Coulissen und Setzstücke von und nach allen Seiten, vom Schnürboden herab senkt man Gardinen, die mit Centnergewichten behängt sind, um die bemalte Leinwand immer glatt und straff zu erhalten, Versenkungsklappen öffnen sich, Zaubermöbel steigen auf, so daß die auf dem Theater Stehenden immer nach unten und oben, nach hinten und nach beiden Seiten zugleich ihr Augenmerk richten müssen, wenn sie nicht urplötzlich versinken, einen Wolkenwagen mit einer Fee auf den Kopf oder ein hölzernes Rosengebüsch in die Weichtheile bekommen wollen.

Jetzt kommt der Director, langsam und gemessen wie ein Feldherr überblickt er das Terrain, dann setzt er sich auf seinen Stuhl; der Souffleur, ein intelligenter Mann, der in seiner Jugend die Hörsäle der Universität und den Fechtboden besucht hat, steigt hinab in den Orcus; auf einen Wink des Oberregisseurs läutet der Theaterdiener die große Glocke, die im Garten und durch das ganze Haus erschallt, und in wenigen Minuten ist der Bühnenraum dicht angefüllt mit Menschendarstellern und solchen, die es zu sein vermeinen.

Schmiegen wir uns nun still in die Logenecken und lassen die Leutchen auf der Bühne selbst reden.

Ober-Regisseur (geht mit der gedämpften Klingel auf dem Theater herum): „Die Damen und Herren, die in der ersten Scene nichts zu thun haben, ersuche ich die Bühne zu räumen. – Aber, Herr Seppel, lassen Sie doch jetzt die Farce, aus Ihrem Taschentuch Springemäuschen zu machen. Wir sind ja nicht zum Spaße hier. – Also: Act eins, erste Scene. – Chor! – Was ist denn das da hinten für ein Gesumme? – Fräulein Rosenthal, wollen Sie endlich der Ansicht Raum geben, daß Sie sich hier in keinem Bienenkorbe befinden?! Heran hier! – Stellen Sie sich aber nicht Alle auf einen Haufen wie die Schafe, wenn es blitzt. Breiten Sie sich ein wenig aus; schließen Sie einen Halbkreis!“

Capellmeister (klopft ungeduldig mit dem Dirigirstab auf den Souffleurkasten): „Ich dächte, wir singen an. Um ein Uhr möchte ich zu Trarbach, meinen Mosel trinken, sonst bin ich morgen krank.“

Regisseur: „Vorwärts! – Chorgesang, Nummer eins: Welche Lust –“

Chor (singt): „Welche Lust gewährt das Reißen –“

Regisseur (springt wüthend von seinem Stuhle auf): „Haaalt! – Haben Sie nicht einmal so viel in der Schule gelernt, daß Sie Reisen von Reißen zu unterscheiden verstehn? – Ich wünsche Ihnen nur so einen Rheumatismus, wie ich ihn manchmal habe, damit Sie erkennen lernten, daß das Reißen keine Lust gewährt. – Herr Uhlich, Sie zahlen fünfzehn Silbergroschen Strafe für’s Lachen. – Jetzt sprechen Sie die Worte hübsch so, wie sie in der Rolle stehn. – Bitte, Herr Capellmeister, noch einmal!“

Chor (singt): „Welche Lust gewährt das Reisen –“

Regisseur: „So ist’s gut! – Nach Beendigung des Chors blicken Sie nach rechts und schreien, mit dem Ausdruck des Entsetzens: ‚Zu Hülfe! Die Schlange!‘ Dann fliehen Sie nach links hinüber; von rechts kommt die böse Fee Dämona, in Gestalt einer Schlange. Also –“

Chor (schreit): „Zu Hülfe! Die Schlange!“ (Laufen bunt durcheinander nach links hinüber.)

Regisseur: „Noch einmal zurück! – So mögen die Chordamen wohl um Hülfe schreien, wenn sie geküßt werden; in dem Aufschrei ist nichts von Entsetzen bemerkbar. Blicken Sie auf mich! Das machen Sie so (giebt seinem Gesicht einen entsetzlichen Ausdruck): „Zu Hülfe! Die Schlange!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_121.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)