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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Ein wiedergefundenes Grab.

Es sind in den letzten Decennien dieses Jahrhunderts in Deutschland eine große Zahl von Standbildern und Monumenten errichtet worden, gewidmet dem Andenken solcher Männer, welche sich auf den Gebieten der Wissenschaft und Künste unvergänglichen Ruhm erwarben.

Die Freudigkeit, mit welcher aller Orten zu derartigen Unternehmungen durch reiche Spenden beigesteuert wurde, dürfen wir wohl mit Recht als eine Frucht des auch in weiteren Kreisen neu erwachten Nationalgefühls im deutschen Volke begrüßen, wodurch es möglich wurde, den Manen vieler großer Männer endlich eine Ehrenschuld abzutragen, welche längst als verjährt angesehen werden konnte.

Hundert Jahre ruhte Leibnitz bereits in der Neustädter Kirche zu Hannover, als man daran dachte, ihm, den Ker v. Kersland[WS 1] „die Zierde seines Vaterlandes“ nennt, ein Denkmal aufzurichten; – Luther hat gar drei Jahrhunderte warten müssen, bis man den Ort, wo er einst vor Kaiser und Reich Leib und Leben für das reine Evangelium einsetzte, mit einem würdigen Monumente bezeichnete, und viele Jahre lang war Danneker’s Büste auf der Bibliothek zu Weimar das einzige Erinnerungszeichen an Schiller, den Liebling des deutschen Volkes.

Auch Braunschweig hatte und hat noch manche alte Schuld dieser Art abzutragen. Diese Schuld stammt besonders aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, wo der durch hohe Bildung und warme Begeisterung für alles Edle und Schöne ausgezeichnete Herzog Karl der Erste, nach Gründung des Collegii Carolini einen Kreis der bedeutendsten Männer jener Zeit um sich sammelte, eine Epoche, welche mit Recht als die „Morgenröthe der deutschen Literatur“ bezeichnet wird. War es doch Amalie, die in jenem Kreise aufgewachsene Tochter Herzogs Karl, welche die goldene Saat von Braunschweig aus nach Weimar trug, aus der dann unter ihrem und ihres Sohnes Karl August Schutze die große Blüthezeit der deutschen Literatur emporwuchs.

Lessing’s Ruhestätte auf dem St. Magni-Kirchhofe in Braunschweig.

Zu diesem Kreise in Braunschweig gehörten vor Allen: F. W. Zachariä, der geniale Dichter des „Renommisten“, Carl Christian Gärtner, Johann Arnold Ebert, als Dichter und geistvoller Uebersetzer gleich hoch geschätzt, Friedrich Wilhelm Jerusalem, Conrad Arnold Schmid, Anton Leisewitz, der Dichter des „Julius von Tarent“, – Johann Joachim Eschenburg, der Uebersetzer des Shakespeare, – lauter Namen, die einen guten Klang haben. Sie alle ruhen auf den Friedhöfen um Braunschweig; wollte aber Jemand diese Gräber besuchen, wir würden ihm nur wenige davon nachweisen können. Selbst die Denksteine, mit welchen man sie einst bezeichnete, haben ihr Vergessenwerden nicht abwenden können; so ist unter anderen Zachariä’s Ruhestätte auf dem St. Katharinen-Kirchhofe längst eingeebnet, und der des Dichters Namen tragende Sockel seines zerstörten Monumentes dient jetzt, in den großartigen Anlagen des Todtenackers ausgestellt, einer modernen eisernen Vase als Untersatz.

Lessing, obgleich als herzoglicher Bibliothekar in Wolfenbüttel wohnend, gehörte diesem Kreise doch auf’s Innigste an. Denn in Wolfenbüttel, wo ihm jeder Umgang fehlte, „weil er den, welchen er haben konnte, nicht haben mochte“, fühlte er sich sehr vereinsamt, und immer wieder trieb es ihn aus dem „verwünschten Schlosse“ hinüber in die Mitte der ihm geistesverwandten Männer, nach Braunschweig. – Hier starb er auch bekanntlich am 15. Februar 1785, und zwar im Hause des ihm befreundeten Weinhändlers Angott am Aegidien-Markte, der ihm ein Zimmer zum Absteigequartier eingeräumt hatte. Von diesem neuerdings mit einer Denktafel bezeichneten Hause aus setzte sich an einem trüben Wintermorgen der einfache Leichenzug in Bewegung, welcher den großen Denker und Dichter zum St. Magni-Kirchhofe geleitete, auf dem ihm Angott in der Nähe des Platzes, wo er selbst einst zu ruhen gedachte, das Grab hatte graben lassen. Lautlos und mit thränenfeuchten Augen schieden die wenigen Freunde von dem frisch aufgeworfenen Hügel, der dann mehrere Jahre schmucklos dalag, bis

Anmerkungen (Wikisource)

  1. John Ker of Kersland; Vorlage: Kers v. Kersland
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_133.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)