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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Joachim Heinrich Campe, der Verfasser des „Robinson“, denselben mit einem schlichten Steine bezeichnete, der des Verstorbenen Namen, Geburts- und Sterbetag trägt. Zur Errichtung eines anderweiten Monumentes vereinigte sich zwar eine Anzahl von Freunden und Verehrern Lessing’s, aber das Unternehmen fand nur sehr geringen Anklang. So, unter anderen, veranstaltete der auch als dramatischer Dichter durch sein viel gegebenes Lustspiel „Nicht mehr als sechs Schüsseln“ bekannte Schauspieldirector Großmann eine Benefizvorstellung in Kassel, spielte aber Minna von Barnhelm, aller den Zweck der Vorstellung warm empfehlenden Bekanntmachungen ungeachtet, vor leeren Bänken, – und an anderen Orten ging es nicht besser. Aus den so kümmerlich zusammengetragenen Mitteln wurde endlich das Monument beschafft, welches anfangs auf dem Schloßplatze zu Wolfenbüttel aufgestellt war, später aber in das Treppenhaus der herzoglichen Bibliothek versetzt wurde. Es ist aus blauem Blankenburger Marmor mit Lessing’s Reliefbüste aus weißem Marmor und trägt die Inschrift: „G. E. Lessing, Denker, Dichter, Deutschlands Stolz, einst der Musen und seiner Freunde Liebling.“

Blieb auch der Geistes-Heros in Dem, was er gewirkt und geschaffen, unvergessen, sein Grab vergaß man bald. Generation um Generation wurde auf dem St. Magni-Kirchhofe bestattet; die, welche einst den frischen Hügel ihres und der Musen Lieblings mit Lorbeer und Rosen geschmückt hatte, waren selbst zum Frieden eingegangen, und längst schon gehörte der Theil des Kirchhofes, wo Lessing bestattet war, zu der Abtheilung, wo nicht mehr begraben wurde. – Da kam in den dreißiger Jahren, irren wir nicht, von Wien aus, eine Anfrage über Lessing’s Grabstätte. Das für Braunschweig beschämende Bekenntniß, daß außer der allgemeinen Angabe, Lessing liege auf dem genannten Kirchhofe, keine nähere Auskunft ertheilt werden könne, veranlaßte den um die später erfolgte Errichtung des herrlichen Standbildes von Rietschel hochverdienten Dr. C. Schiller, sofort eine Nachforschung anzustellen. Nach wochenlangem vergeblichem Suchen endlich entdeckte man, unter hochaufgeschossenem Gebüsch versteckt, von Dornen und Gestrüpp überwuchert, den moosüberwachsenen grauen Stein, mit welchem einst Campe das Dichtergrab bezeichnet und so vor dem Vergessenwerden bewahrt hatte.

Der St. Magni-Kirchhof, jetzt einer der schönsten Friedhöfe Braunschweigs, ist hoch gelegen; gegen Süden wird er durch einen Fahrweg von dem ehemals Campe’schen, jetzt Vieweg’schen Garten getrennt, dessen prächtige alte Baumgruppen ihm hier als Hintergrund dienen. Nach Westen hin öffnet sich ein freier Blick auf die etwas tiefer liegende Stadt, über deren Häuser und Gärten in nächster Nähe von Lessing’s Sterbehaus und Monument gelegene Aegidien-Kirche majestätisch emporragt. Das Grab des großen Mannes, von dem die Gartenlaube heute eine an Ort und Stelle aufgenommene Abbildung bringt, befindet sich weit ab von dem Theile, wo jetzt begraben wird. Verfolgen wir den den Friedhof durchschneidenden Hauptweg, dann stehen wir fast am Ende desselben vor einer Reihe großer Monumente, welche sämmtlich der einst Lessing befreundeten Familie Angott zugehören; dicht dahinter, von dunkeln Fichten und hohe Linden beschattet, liegt auf dem von immergrünem Epheu umrankten Hügel jener oben erwähnte graue Stein, einfach und schmucklos, aber bezeichnet mit einem Namen, dessen Glanz durch die Jahrtausende strahlen wird.

So gehört denn diese geweihete Stätte, wo „ein Herz in Staub zerfällt, das groß und mächtig einst geschlagen“, wieder zu den Orten, dahin der Braunschweiger den bei ihm einkehrenden Fremden mit Stolz führt und an welcher dieser dann eine Blume oder einige Epheublätter pflückt, um sie als Erinnerungszeichen von Lessing’s Grabe heimzubringen.

C. St.




Holländische Leute.
Von Karl Braun (Wiesbaden).
Nr. 1. Deutsche Träume in einem holländischen Bette. – Im Schillerhause in Weimar. – Mein holländischer Studiengenosse. – Onkel und Neffe. – Das Stoofje. – Ein holländisches Gesellschaftszimmer.

Es war am 31. August. Morgens hatte ich noch in allem Behagen in Wiesbaden meinen Kaffee getrunken und Abends aß ich mit einem durch Fasten verstärkten Appetit in Rotterdam im Hôtel Sanct Lucas ein treffliches Beefsteak. Da die Welt durch Lob und Tadel, durch Belohnung und Strafe, durch Zuckerbrod und Peitsche regiert wird, so konnte ich mich nicht enthalten, dem Oberkellner etwas Schmeichelhaftes über das treffliche Fleisch zu sagen. Er war Holländer; das meiste übrige Personal bestand aus Deutschen. Mit einem triumphirenden Gesicht setzte er mir auseinander, das in den Branntweinbrennereien, wie in Schiedam etc., gemästete Vieh werde alles nach England geschickt, dagegen das auf der Weide gemästete, dessen Fleisch das „leckerste“ sei, das esse der Holländer selbst oder setze es den Gästen vor, die ihm die Ehre erweisen, ihn zu besuchen. Dabei machte er ein so selbstbewußtes und siegstrahlendes Gesicht, als sei er einer von den Meergeusen und habe mir soeben seinen Schutz gegen den grausamen Spanier gewährt. Darauf tauschten wir mit feierlich ernsthaften Gesichtern eine internationale Verbeugung aus.

Was den Viehexport nach London anlangt, so konnte ich mich später von der Richtigkeit der Angaben des Oberkellners überzeugen. Ich fuhr nämlich mit einem der großen Dampfboote der Rotterdamer Compagnie, „Fyenoord“ geheißen, von da nach London. Die Fahrt dauerte von elf Uhr Morgens bis den andern Tag früh neun Uhr. Abgesehen von einem Mißstande, dessen ich noch gedenken werde, ist diese Route nach London sehr zu empfehlen. Die Schiffe sind groß und die Maschine ist gut, so daß das Fahrzeug nicht rollt, das heißt nicht quer von links nach rechts schwankt, eine Bewegung, die weit unangenehmer ist als die Längsbewegung des Schiffes. Prachtvoll ist die Einfahrt Morgens früh von der hohen See herunter in die Themse hinein, während Sonne und Nebel mit einander kämpfen und die stattlichen Gebäude auf beiden Ufern (Woolwich, Greenwich etc.) sowie die Schiffe auf dem Strome, warunter auch das abgetakelte Kriegsschiff, welches jetzt als Hospital für Matrosen aller Nationen (for sailors of all nations) dient, abwechselnd verhüllen und enthüllen. Ich blieb wie gewöhnlich von der Seekrankheit verschont. Gute Nerven und guter Rum, eine contemplative Stimmung und eine horizontale Lage auf Deck sind die besten Mittel dazu. Ich wollte eben als die ersten Opfer der Seekrankheit in mein Tagebuch eintragen: erstens eine junge Governeß, welcher drei Kinder anvertraut waren, die nun durch den Zustand ihrer Führerin förmlich verlassen waren und unserer Fürsorge anheimfielen; zweitens einen jungen Engländer mit so riesenhaften Backenbärten, daß er sie unter dem Kinn in einen geschmackvollen Knoten hätte schlingen und so die Halsbinde sparen können; – da wurde ich darauf aufmerksam gemacht, auf dem Vorderdecke des Schiffes seien schon Hunderte der Krankheit erlegen. Als gewissenhafter Reisender begab ich mich sofort dahin, um mich durch Autopsie zu überzeugen. Und es war so. Die ganze andere Hälfte des Schiffes war angefüllt mit Kälbern, Rindern und Ochsen, die der Holländer in’s Ausland verbannte, weil sie mit den Abfällen der Branntweinfabrication gemästet und deshalb für ihn nicht „lecker“ genug waren. Mag ihnen dies traurige Schicksal, von ihren Compatrioten verschmäht zu werden, zu Herzen gegangen sein oder nicht – so viel ist gewiß: sie hatten die Seekrankheit weit früher bekommen als die Menschen, mitinbegriffen die blonde Governeß und das menschliche Anhängsel des riesigen Backenbartes. In Folge dieses Krankheitszustandes verbreitete das von der Strafe der Auswanderung und Landesverweisung betroffene batavische Rindvieh Ausdünstungen, welche gerade keine ästhetische Wirkungen hervorbrachten; und es ist möglich, daß, da im Uebrigen die See still und die Fahrt schön war, sich die Krankheit nur auf dem Wege der Ansteckung von dem thierischen Vorderdeck auf das menschliche Hinterdeck verbreitet hat.

Ach, was müssen Menschen und Vieh nicht ausstehen, um tagtäglich einen solchen Riesenmagen wie London zu sättigen! Indessen vermehrt man dort wenigstens nicht die Qualen durch Mahl- und Schlachtsteuer, wie dies immer noch in der Hauptstadt der preußischen Monarchie und des Norddeutschen Bundes geschieht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_134.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)