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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Kaffeebret mit seltsam geschnörkelten Rändern. Auf dem Kaffeebret steht ein altes Porcellanservice; je älter, je geschmackloser, je chinesischer oder japanesischer, das heißt verschnörkelter, desto respectabler, vornehmer und schöner. Um den Tisch stehen so viele Stühle, als Damen erwartet werden. Sagen wir einmal: fünf. Die Stühle haben möglichst hohe und gerade Beine, hohe Sitze und hohe steile Lehnen – Alles möglichst eckig, geradlinig und hölzern, so wie man es in Deutschland in alten Rathsstuben noch sieht, und wie es neuerdings wieder Mode werden zu wollen scheint. Der Stuhl und die Lehne aber sind mit einem alten großgeblümten Plüsch überzogen, von solcher Güte und Feinheit, wie man ihn bei uns nicht mehr kennt. Vor jedem Stuhl unter dem großen viereckigen Tische steht ein Stoofje. Jedes Stoofje hat oben fünf Löcher; und die fünf Stoofjes schauen mit großen leuchtenden neugierigen Augen, zusammen mit fünfundzwanzig Augen unter dem Dunkel des Tisches hervor, dessen harrend, was da kommen soll. Neben dem Stuhle der Wirthin steht das Theegeschirr und der blank lackirte Wasserkessel. Auf dem Tische steht außerdem noch ein Kunstwerk, ein schöner großer Elephant. Als Thurm auf seinem Rücken trägt er eine bronzene Petroleumlampe. Der gute Elephant ist aber nicht nur ein Lucifer, ein Lichtbringer, sondern auch „der Töne Meister“, gleich Arion, ein Spender musikalischer Unterhaltung. In seinem kolossalen Körper trägt er statt des Magens eine Spieluhr. Diese ist schon aufgezogen und gestellt; und wenn ihre Zeit gekommen ist, dann wird es losgehn. Zuerst „Wilhelmus van Nassawe“ (ein Lied auf den großen Befreier der Niederlande, Wilhelm den Schweigsamen), dann: „Où peut-on être mieux, qu’au sein de sa famille?“ und zum Schluß: „Ei du lieber Augustin, Alles ist hin.“ Hier verstehen sogar die Spieluhren drei Sprachen. Der gebildete Holländer selbst versteht deren wenigstens vier, nämlich außer Holländisch, Deutsch und Französisch mindestens noch Englisch, oft aber auch Italienisch oder Spanisch.


Stiftsprobst v. Döllinger.


Das Geklimper der Spieluhr und das „Hersagen“ von Gedichten waren noch vor Kurzem Lieblingsunterhaltungen der holländischen Gesellschaft, wenigstens da, wo es etwas langweilig und altmodisch zugeht; und die meisten Holländer finden das auch heute noch amüsanter, als die sentimentalen, gekünstelten Lieder und die Athleten- und Seiltänzer-Bravourstücke auf dem Clavier, welche unsere deutsche Gesellschaft so geduldig über sich ergehen läßt.

Auf dem Kaminsims steht ein großer pechschwarzer Onkel Tom. Seine Schärpe glänzt in Gold, seine Augen in Weiß und seine Nasenlöcher in Roth; er stellt sonach die norddeutschen Bundesfarben und das achtundvierziger Schwarz-Roth-Gold zugleich dar, und würde recht gut zur Realisirung der Versöhnung dieser Gegensätze dienen können, für welche Versöhnung ja Gustav Freytag in seinem Buche über Karl Mathy so lebhaft plaidirt. Der Mohr trägt unter seinem rechten Arm das Zifferblatt der Uhr, die sich in seinem Innern birgt. Er thut dies mit einer Grazie, als wenn es seit Alters die alltägliche Beschäftigung aller Mohren der Welt wäre, Uhren unter dem Arme zu tragen. Den linken stemmt er höchst graciös in die Hüfte. Neben dem Mohren stehen kleine Vasen mit künstlichen bunten Blümchen, mit Glasglöckchen überdeckt.

Im Kamin brennt, obgleich wir erst im August sind, ein mäßiges Torffeuer. Es bildet offenbar nur den Vorwand, daß die Herren sich um das blank polirte glänzende Kamin schaaren, ihm die Beine zustrecken und den Damen halbwegs den Rücken zukehren. Und die Folge davon ist wieder, daß, während die Damen mit dem Thee beginnen, die Herren gleich mit einem sehr „leckeren“ Bordeaux anfangen – offenbar in Folge eines Mißverständnisses, das die gewandte Wirthin jedoch sofort dadurch wieder ausgleicht, daß sie anfangs die Miene macht, als wollte sie nach dem Kamin hin Thee anbieten, dann aber sich unterbricht und verbessert mit den Worten: „Ah, die Herren werden wohl lieber beim Weinstocke verbleiben.“ …




Aus meinem Leben.
Von Capellmeister Dorn in Berlin.
Nr. 2. Erinnerungen an Felix Mendelssohn-Bartholdy und seine Zeitgenossen.

Zu Anfang des Octobers 1823 kam ich, ein neunzehnjähriger junger Mensch nach Berlin, um hier meine juristischen Studien fortzusetzen, welche ich im Schooße der Königsberger alma mater Albertina ein Halbjahr vorher begonnen hatte. Aber gleich der erste Winter machte mir klar, daß ich wohl mein akademisches Triennium absolviren, nie und nimmer jedoch ein Referendarien-Examen bestehen würde; denn allabendlich gab es für mich musikalische Beschäftigung, und die Collegienhefte nahm ich nur vor, um in’s Collegium zu gehen; in’s Collegium aber ging ich nur, um zu Ende des Semesters ein genügendes Testimonium über fleißigen Besuch an meinen gestrengen Herrn Vormund pregelwärts einsenden zu können. Für musikbedürftige Gesellschaften war ich nämlich à deux mains zu brauchen. Einen Clavierspieler und Accompagnateur wie mich hätte man wohl leicht ersetzt und vielleicht ebenso bald einen tactfesten Solosänger; aber beide in Einer Person, das gehörte schon zu den nicht alltäglichen Erscheinungen, die sich hübsch ausnutzen ließen. Und außer Gustav Reichardt (dem Componisten des „Deutschen Vaterlandes“) und dem sich nur selten in Berlin aufhaltenden Reissiger ist mir auch in unseren damaligen musikalischen Kreisen kein zweites Exemplar dieser hülfreichen Art vorgekommen. – So begann nun für mich eine Reihe musikalischer Privatgesellschaften, wie sie zu jener Zeit in voller Blüthe standen, jetzt aber in Berlin gar nicht mehr anzutreffen sind: kunstgeübte Damen und Herren, die am Fortepiano je nach Bedürfniß ganze Opern oder Oratorien ausführten; vorher gab es Thee, hinterdrein kalte Küche mit Quartettgesang.

An einem Freitage, dem jour fixe in dem Hause meines alten Landsmannes Abraham Friedländer, saß ich am Flügel und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_137.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)