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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

aber wenn zwei dasselbe thun, ist es nicht das Nämliche. Meister Zelter war ein wunderlicher Mann, dem es ganz gleich galt, ob seine Schüler jung oder alt, begabt ober talentlos, Anfänger oder Vorgeschrittene waren; sie wurden Alle, wenn er nicht wie bei Mendelssohn Privatstunden ertheilte, über Einen Kamm geschoren. „Ein Halbjahr hab’ ich’s ertragen, trug’s nicht länger mehr;“ dann ging ich zu Bernhard Klein über, und habe es nie bereut.

Mit der Uebersiedelung der Mendelssohn’schen Familie von der neuen Promenade nach der Leipziger Straße in das Haus, welches jetzt unserer Pairskammer zu ihren contrapunktischen Uebungen eingeräumt ist, erweiterte sich – zumal bei der wachsenden Berühmtheit des Sohnes – der Kreis gesellschaftlichen Umgangs. Zu diesem zählten sich damals die intimeren Bekannten: Rietz, Klingemann, Marx, Franck und Devrient. – Rietz, der ältere Bruder des Dresdener Hofcapellmeisters, war Mitglied des königlichen Orchesters und Mendelssohn’s Lehrer auf der Violine. Fast möchte ich behaupten, daß Felix von keinem seiner Freunde so schwärmerisch geliebt worden ist als von diesem, der ihn wie sein Schatten begleitete und doch an ihm hinaufsah als zu einer höhern Natur, während die anderen Bekannten, welche von Rietz eifersüchtig beobachtet wurden, sich schon einflußreicher dünkten. Er war ernsten und schweigsamen Wesens, von mittelgroßer dürrer Gestalt, begabt mit einer sehr hinreichenden Nase zwischen zwei feurigen Augen, und immer angethan mit schwarzem Frack. Bei dem Anblick dieser beiden Freunde konnte ich nie den Gedanken an Faust und Mephisto los werden, wie wenig Diabolisches auch in ihrer geistigen Disposition lag; Robert und Bertram wäre vielleicht passender gewesen, aber eine solche Verbindung hatten damals Scribe und Meyerbeer noch nicht proclamirt. Rietz machte übrigens eine nur sehr kurze künstlerische Carrière; denn bei einer Aufführung der Olympia verletzte er sich während des Spielens den Nerv am vierten Finger der linken Hand und wurde dadurch für immer invalid. Er starb 1832. Ihm hat Mendelssohn sein berühmtes Octett gewidmet.

Klingemann, der Sohn des wohlrenommirten Braunschweiger Theaterdichters und Directors, machte unter allen genaueren Bekannten Mendelssohn’s den mir angenehmsten Eindruck. Er gehörte zum Personal der Hannöverschen Legation und war dadurch schon auf die feineren gesellschaftlichen Kreise angewiesen. Seine Erscheinung und sein Benehmen hatten etwas durchaus ungesucht Aristokratisches, und im Umgang mit den Damen der Familie zeigte sich so recht seine Ueberlegenheit gegen andere Besucher desselben Hauses. Es ist mir immer so vorgekommen, als sei Klingemann in seinem Urtheil über Felix am gerechtesten gewesen; er vergötterte nicht, es konnte ihm aber auch nicht einfallen zu rivalisiren, denn er componirte nicht; sondern er verhielt sich weder kühl gegen die Vorzüge noch unempfindlich gegen die Schwächen seines viel jüngeren Freundes; und wie sehr er eine der stärksten Seiten des Mendelssohn’schen Talents zu würdigen gewußt hat, bewies er durch die eigens für ihn gedichteten Lieder. Eine Menge poetischer Texte, welche Mendelssohn componirt hat, sind nach und vor ihm von anderen Tonkünstlern ebenso gut, manche vielleicht noch besser, in Musik gesetzt worden; aber noch ist es keinem geglückt, einen Klingemann-Mendelssohn’schen Gesang (gleichsam Zwei Herzen und Ein Schlag) irgendwie zu übertreffen. Zur Dichtung von Operntexten reichten freilich die Kräfte des jugendlichen Gesandtschafts-Secretairs nicht hin; dies jedoch war überhaupt das Gebiet, auf welchem auch der spätere Meister Felix keine Lorbeeren geerntet haben würde, wie sie ihm als Jünger der Kunst schon nach der Hochzeit des Camacho nicht geblüht hatten. An der 1824 gegründeten Berliner musikalischen Zeitung[WS 1] war Klingemann eifriger Mitarbeiter.

Im directen Gegensatz zu dieses seines Collaborators äußerem Wesen stand der Redacteur jenes Blattes, der frühere Kammergerichtsassessor A. B. Marx. Er hatte jedenfalls vor den oben genannten Männern die gründlichste Fachbildung (als Jurist sowohl wie als Musiker) und eine zersetzende Schärfe des Geistes voraus; aber sein damaliger Mangel an Umgangsformen ließ seine wissenschaftliche und dialektische Ueberlegenheit nicht immer von wohlthätiger Wirkung auf die Umgebung erscheinen. Er konnte sich rasch für Person und Sache interessiren, und dann gab es keinen wärmeren und geschickteren Advocaten als ihn. Auf Felix gewann er sehr bald einen großen Einfluß, der dem Papa Mendelssohn zwar hin und wieder unbequem zu werden schien, aber der alte Herr hatte doch seine guten Gründe, das vorläufig sanfte Joch nicht so ohne weiteres abzuschütteln. Marx war, wie gesagt, Redacteur der Berliner musikalischen Zeitung, und bei dem damaligen Mangel kritischer Organe ein nicht zu verachtender Stimmführer, der obendrein von den dazu befähigten Freunden des Hauses nach Kräften unterstützt wurde. Außerdem aber liebte es der alte Mendelssohn selber, zu widersprechen, oder daß man ihm widersprach; und hier fand er dann an unserm Abbé (wie wir ihn mit alphabetisirendem Kalauer titulirten) den rechten Kampfhahn.

Die Mitte zwischen Klingemann und Marx hielt ein Breslauer Kind, der Dr. phil. Franck; er verband die feinsten Manieren – aber zurückhaltender als Klingemann – mit der lebendigsten Unterhaltung – aber minder gründlich als Marx, war sehr reich an Witz und andern klingenden Talenten, stand unabhängiger da als irgend einer der bisher genannten Herren, und konnte sich mit seiner heiseren Stimme ebensogut über die Courmacherei des Einen, wie über das Geradezu des Andern lustig machen. Er hatte ein so gesundes richtiges Urtheil für musikalische Dinge, daß er sehr wohl die Schwächen in Spontini’s Cortez herauszufinden wußte, als er 1826 in der Breslauer musikalischen Zeitung[WS 2] den wüthenden Artikel über jene Oper losließ, welcher eigentlich das Signal eines vollständigen Bruches zwischen Marx und Spontini abgab. Nur hatte er, mit der Brille der Partei bewaffnet, auch einzelne wirkliche Glanzstellen übersehen und das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Spontini aber führte die ganze Opposition auf Mendelssohn’sche Quellen zurück, und existirte schon vorher keine genauere Verbindung zweier so differirender Elemente, so war jetzt jede Annäherung unmöglich geworden.

Im Jahr 1849 fand ich den früher so lebenlustigen Franck als completen Hypochonder hier in Berlin wieder. Er beschäftigte sich aber noch lebhaft mit Literatur, und durch ihn erhielt ich ein damals nur für engere Kreise, wenn nicht gar „als Manuscript für meine Freunde“, gedrucktes Buch, nämlich Wagner’s Nibelungen-Tetralogie. Was hätte wohl sein früherer Intimus, der spätere General-Musikdirector Dr. Felix Mendelssohn-Bartholdy, zu diesem Werke gesagt? Wie hätte der sich überhaupt der wachsenden Wagneromanie gegenüber verhalten? Und würde sie jemals eine solche Ausdehnung gewonnen haben, wenn die Gegner einen noch schaffenden Meister wie Mendelssohn an ihrer Spitze gehabt? Der unglückliche Franck (älterer Bruder des früher in Köln und Bern jetzt in Berlin wohnenden Componisten) hat in London[WS 3] ein fürchterliches Ende genommen. Aber das sind traurige Erinnerungen, und ich schließe lieber den angedeuteten Kreis freudig mit der Nennung des Namens Devrient, dem ich nur bezeugen kann, daß er in seinem unlängst erschienenen Buche über Felix Mendelssohn, soviel mir darüber ein Urtheil zusteht (denn seit dem Jahr 1829 war ich von Berlin abwesend), die lautere Wahrheit mit der nöthigen Discretion berichtet hat. –

Solche Gebäude, wie sie in dem Pariser Quartier St. Germain dutzendweise dastehn, weitläufig angelegte, aber nicht allzu prächtige Palais, denen man eine aristokratische Abkunft oder ein legitimistisches Schmollen ansieht, „rothes todtes liegendes Gestein“, wie die Geognosten sagen; Gebäude, welche durch Vorhöfe von der Straße getrennt und durch Gartenanlagen von der Nachbarschaft abgeschlossen sind; Gebäude, in denen augenscheinlich der ruhige Comfort erbberechtigten Wohlstandes, nicht die marktschreierische Ostentation rascherworbenen Reichthums vorherrschend ist, aus denen man stets erwartet einen hochbejahrten Kammerdiener in kurzer dunkler Hose und langen weißen Strümpfen hervortreten zu sehn – solche Gebäude sind in Deutschland äußerst selten, und in Berlin giebt es deren gegenwärtig nur noch zwei. Sie befinden sich in der Wilhelmsstraße, und das von ihnen den Linden zunächst gelegene gehörte in meiner Jugendzeit dem alten Buchhändler Reimers, einem in der ganzen Stadt durch seine ehrenhafte Gesinnung wie durch seine auffallende Persönlichkeit allgemein bekannten Manne. Jetzt ist es Eigenthum des Staates, und das Ministerium des königlichen Hauses hat hier seinen Wohnsitz und seine Bureaux aufgeschlagen; in dem größten Saal der Bel-Etage aber läßt eine junge excentrische Frau, welche ihre schöne Hand überall im Spiele hat, Wagner’s gewagteste Harmonieen mit erstaunlicher Sicherheit auf einem mächtigen Bechstein erklingen. Damals wohnte in demselben Hause drei Treppen hoch, d. h. unter dem

Dache, die bereits erwähnte Wittwe Johanna Zimmermann,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Dorn meint hier die Berliner allgemeine musikalische Zeitung
  2. Artikel von „F.“ in Nr. 24, S. 189/190 der Berliner allgemeinen musikalischen Zeitung; ein Breslauer Periodikum dieses Namens gab es zumindest damals nicht.
  3. tatsächlich in Brighton
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_139.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2021)