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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


der wir zwar mancherlei Abnormes nachsehen mußten, die aber auch eine durch und durch musikalische Natur war. Bei ihr hatte ich öfters Gelegenheit mit Mendelssohn zusammenzukommen, welcher sich dort in einer zwanglosen und nur aus künstlerischen Elementen zusammengesetzten Gesellschaft ungemein wohl fühlte. In seiner eigenen Familie verkehrten natürlich sehr viele interessante und berühmte Leute (die beiden großen Berliner Wölfe der zwanziger Jahre, der alte Homeride und Pius Alexander, Preciosa’s Vater, fehlten selten am Sonntag Vormittag), dagegen verhältnißmäßig nur wenige Musiker. Zwar fanden die durchreisenden Tonkünstler immer freundliche Aufnahme in dem gastfreien Hause; die einheimischen jedoch waren numerisch sehr schwach vertreten. Es gab gemischte Gesellschaft, und die musikalischen Productionen fanden lauter enthusiastische, aber nur zum kleinern Theil wirklich kunstverständige Zuhörer.

War Felix auch keineswegs unempfindlich gegen Lobeserhebungen, so wußte er doch sehr gut unter diesen zu unterscheiden. Einst traf ich ihn mit Marx auf dem Zimmer bei Dehn; geraume Zeit trieben wir nichts als Narrenspossen, so z. B. die Zusammensetzung menschlicher Figuren aus Aepfelscheiben und Papierstreifen, in welcher Kunst der Jüngste von uns Meister war; dann aber gab er ungebeten bis tief in die Nacht hinein auf Dehn’s altem Instrument, solo oder gemeinschaftlich mit dem als Violoncellisten ausgezeichneten Wirth, eine Menge eigner und fremder Compositionen zum Besten. Und er that es in dieser Umgebung gewiß lieber als an jenem Abend im elterlichen Hause, wo er vor einem großen Auditorium auf dem Wiener Flügel soeben eine Beethoven’sche Sonate vorgetragen hatte, als eine aus dem Kreise hervortretende Dame ihn mit lauter Stimme ersuchte, die Amoll-Fuge von Bach zu spielen.

„Aber bitte, bitte, lieber Felix, den Bach mußt Du uns auf dem phantastischen Engländer hören lassen.“ Es war Rahel, die Gattin Varnhagen’s von Ense, welche sich als Kunstverständige zeigen wollte. Felix that, wie ihm geheißen, sagte aber hinterher zu mir:

„Wenn ich ihr jetzt Czerny’sche Variationen vorgespielt hätte, so würde sie auch die für Bach gehalten haben.“

Solche gemischte Gesellschaft gab es nun bei der Zimmermann nicht; jedes Mitglied dort war gleichzeitig executirend und recipirend, und ich habe Felix nie so schön phantasiren hören wie gerade hier, wo er sicher war von Allen in Allem verstanden zu werden. Seine Improvisation über zwei Themata (das Champagnerlied aus Don Juan und Vivat Bacchus aus Belmonte), womit er einen dieser musikalischen Abende beschloß, ist mir noch heute nach vierzig Jahren lebhaft erinnerlich.

(Schluß folgt.)




Im neuen Rathhauskeller in Berlin.

Anno 1869, am Tage Sanct Placidi, zu Deutsch: des Friedsamen, ward zu Berlin ein gar seltsames Friedensfest nebst Turney gefeiert, von welchem die Chronica dereinst berichten wird: Es waren aber geladen der hochweise Oberbürgermeister, item der weise Bürgermeister, so das Zepter der Stadt führen, sambt denen Räthen des Magistratus und denen Verordneten der Bürgerschaft, so da über dem Stadtsäckel Wacht halten, dazu die Fürnehmsten der Stadt, Kaufherren, Krämer und Meister des Handwerks. Auch die Gewappneten der Presse, je Einer von jeglichem Fähnlein, waren entboten zu ritterlichem Stechen und Lanzenbrechen, so da stattfinden sollte in den unterirdischen Gängen des Rathspalastes. Und kamen Alle und fülleten die Hallen mit Kampfesklirren, Rede und Siegesschrei, und die Wölbungen schalleten von Pauken, Flöten und Geigen. – Und Die, so sich das ganze Jahr bekämpfet, stießen in dasselbe Trinkhorn und thaten sich Bescheid, und die Großherren von der güldenen küsseten sich mit den Khedives von der silbernen Kette. Es waren aber allda aufgepflanzt ganze Legionen von Römern und waren aufgefahren Batterien, darauf standen die Edlen von Roth- und Grünsiegel und die Brauseköpfe der Herren von Mousseux. Und als das Signal gegeben ward zum Angriff, warf sich männiglich auf die Römer und Schanzen, und bekam der Eine einen Stich, der Andere einen Hieb, der Dritte eine Schramme, Etliche aber taumelten und sanken darnieder, Andre hielten sich wacker bis in die tiefe Nacht, und wurden ihrer Viele selig. Und Bischof, Cardinal und Domdechant wurden nicht verschonet, und wurden vertilget sambt den Römern. Requiescant in pace! – Das Blut aber, das da floß, war Rebenblut, vergossen zu Ehren des Friedensbundes, der geschlossen wurde zwischen zwei bisher feindlichen Mächten. Ich weiß davon zu erzählen, denn ich selbst ward am selbigen Tage vom Sieger ernannt zu seinem Hof- und Kellerpoeten und beauftragt, die Friedenshalle zu schmücken mit allerlei Reimlein und Sprüchlein zu Ehren der Unterirdischen.

Wie überall, so standen sich nämlich auch in Berlin zwei Gewaltige gegenüber: der Eine rühmt sich göttlicher Abstammung und behauptet, daß seine Ahnen schon in India, Hellas und Roma hoher Ehren, ja göttlicher Verehrung genossen; der Andre betheuert, daß königliches Blut in seinen Adern rolle. Der Erste hat sich – denn das Incognito lieben alle Fürsten – den romantischen Namen „Prinz Rebenblüth“ beigelegt; der Andre ist geheißen „Fürst Hopfenblüth“.

Als Hoheit Rebenblüth und Durchlaucht Hopfenblüth nun erfuhren, daß die Berliner damit umgingen, ein neues Rathhaus zu erbauen und zu unterkellern, da entbrannte zwischen Beiden heftiger Streit, wem der Grund gehören sollte. Der Prinz behauptete: „Ich bin es, dem die Säulenhallen der Krypten unter den Rathhäusern heilig sind! Mein ist das Reich der Rose und der zwölf Apostel zu Bremen, mein waren die Hallen aller deutschen Städte, schon lange ehe Du geboren warst.“ Und er bekräftigte seine Behauptung durch ein feuriges „per Bacco!“ – Die Durchlaucht entgegnete: „Ich bin der Geist der neuen Zeit: mein sind all’ die Felsenkeller in deutschen Landen, ich einige die Völker in Frieden und habe mein Reich gebreitet binnen wenigen Jahren vom Aufgang bis zum Niedergang. Ich habe Dich siegreich aus dem Felde geschlagen in Baiern, Boheim, ja selbst in Frankreich. Mir gebührt der Keller – auf Cerevis!“

Als sie eben drauf und dran waren, sich blutig zu bekämpfen, erschien bei Prinz Rebenblüth ein Bote mit der Kunde, daß Magistratus von Berlin beschlossen habe, den Keller der Verehrung Bacchi zu weihen und ihn deshalb zu verpachten an die altberühmte Weingroßhandlung der Herren Blohm und Röper.

Triumphirend hob der Prinz das Blatt mit dem Magistratssiegel empor und sprach: „Siehe! mein ist nunmehr das Reich! Aber ich will Großmuth üben, so Du gelobest, Frieden zu halten. Die Hälfte meines Reiches sollst Du zu Lehen tragen von mir und darin herrschen als mein fürnehmster Vasall.“

Der Starke weicht ruhig einen Schritt zurück, dachte Hopfenblüth und beugte sein Knie vor dem Mächtigen, Rebenblüth aber hob ihn empor, küßte seine Wange und sprach: „Laß uns Freunde sein! laß uns gemeinsam die Herzen der Berliner erfreuen, daß sie vergessen der Sorgen und Nöthe, vergessen auch der Steuern, die droben über dem Keller ausgehecket werden! Laß uns einziehen in unser gemeinsames Reich mit Pauken und Trompeten!“ Und also geschah es.

Schauen wir uns den von Wäsemann erbauten Friedenspalast etwas näher an! – Er bildet, von vier Straßen begrenzt, ein ganzes Stadtviertel und hat sich erhoben aus den Ruinen des alten Rathhauses, von welchem Nichts stehen geblieben als die berüchtigte Gerichtslaube. Sie allein trotzt dem Magistrate, auf dessen Wink eine große Menge alter Häuser fallen mußte, auf daß sich das Dichterwort erfülle, daß das Alte stürze und neues Lehen blühe aus den Ruinen.

Unten aber in dem Keller ist neues Leben erblüht, wogt und brandet der Strom der neuen Zeit und viele Tausende tauchen täglich hinab in den kühlen Grund, um neugestärkt wieder emporzusteigen. In einer Länge von dreihundertundzehn und einer Breite von fünfzig Fuß nimmt der neue Rathhauskeller die ganze Front der Königsstraße, von der Spandauer- bis zur Jüdenstraße,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_142.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)