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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

ohne weiteres Besinnen eine Folge von acht bis zwölf Tacten vor, aus welcher allerdings unerlaubte Anklänge in meiner Arie vorkamen, ohne daß ich das Original unterzubringen wußte. „Sie kennen also Ihre eigenen Compositionen nicht wieder,“ sagte Mendelssohn; „das ist ja der Schlußchor aus ‚Zauberer und Ungethüm‘!“ Es war dies ein Melodram, welches man schon 1827 auf der Königstädter Bühne mit meiner Musik gegeben und das damals Mendelssohn’s Beifall erhalten hatte. Nach sechszehn Jahren wußte er sich noch der Klänge zu erinnern, die mir längst entschwunden waren! Als ich ihm mein Erstaunen über solches Gedächtniß ausdrückte, meinte er verbindlich: „Man muß aber nur die guten Melodien zu behalten suchen.“ Es war die vierte Belehrung, die ich von Mendelssohn empfing. Sein letzter in Leipzig mir erwiesener Liebesdienst war ein sehr warmes Empfehlungsschreiben, welches ich in Köln dem Führer meiner dortigen Gegenpartei übergeben sollte.

Damit schließen meine freudigen persönlichen Beziehungen zu dem uns so früh entrissenen Meister. Das im Jahre 1846 von dem trefflichen Männergesangvereine in Köln arrangirte vlämisch-deutsche Gesangsfest, zu welchem Mendelssohn Schiller’s „An die Künstler“ componirte, dessen Aufführung er selber leitete, hatte in seiner Vorbereitung zu den unangenehmsten Reibungen zwischen den verschiedenen Musikvorständen Anlaß gegeben; und wie sehr ich mich für das Gelingen einer Festlichkeit interessirte, bei welcher Meister Felix in solcher Weise thätig zu sein versprochen hatte – so konnte ich doch im Interesse meiner Partei nicht alle Maßregeln billigen, welche von den Unternehmern zum Theil ohne Rücksicht auf die nicht bereits in den vlämisch-deutschen Sängerbund aufgenommenen rheinländischen Vereine getroffen waren. Dies mochte man wahrscheinlich Mendelssohn in einer Art hinterbracht haben, daß es für ihn verletzend erscheinen mußte. Zwar standen wir Beide auf dem Gürzenich während des Vortrags einiger Männergesänge neben einander und tauschten dann unsere Ansichten darüber aus; auch trafen wir nach dem Concert bei Seydlitz-Verkenius im größeren Kreise wieder zusammen; aber er war kühl bis an’s Herz hinan, und ich fand während seines zwölfstündigen Aufenthaltes bei uns keine Zeit und Gelegenheit, ihm das Scenarium der alten Kölner Komödie „Parteiwuth und Klüngel“ auseinanderzusetzen. So habe ich ihn denn nicht wieder gesehen und fürchte fast, daß er mit Groll im Herzen von mir geschieden sei, während meine Verehrung für sein hohes Talent, sein tiefes Wissen, sein edles Streben und seine liebenswürdige Persönlichkeit stets dieselbe geblieben war.

Am 9. November 1847 – fünf Tage nach dem Tode Mendelssohn’s – dirigirte ich das zweite Winterconcert in Köln, welches unter allgemeiner Theilnahme und mit dem Ausdrucke tiefster Trauer eingeleitet wurde durch den Chorgesang aus Paulus: „Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben; denn ob der Leib gleich stirbt, doch wird die Seele leben!“ Unser Jahrhundert hat vielleicht größere Componisten, aber keinen Tonkünstler aufzuweisen, der so vielfach vortreffliche Eigenschaften in sich vereinigte, als Felix Mendelssohn-Bartholdy.




Leberecht Uhlich.
Prolog zur Festfeier seines einundsiebzigsten Geburtstages am 27. Februar in Magdeburg gesprochen.

Der Jahre einundsiebzig zählt er heute,
Und zählen doppelt dieser Jahre meiste,
Entrang er doch dem Alter seine Beute
Und steht, ein Mann mit jugendfrischem Geiste,
Selbst eine Fahne, hoch noch im Gefecht;
Wo Uhlich steht, da gilt’s ein heißes Ringen,
Da schnellt den Pfeil, was finster, feig und schlecht,
Doch ließ er nie sich beugen, noch bezwingen,
Sein langes Leben stets ein Leberecht.

Das Priesterthum der Freiheit und des Lichtes,
Dies schwere Kreuz hat er auf sich genommen,
Und führt’s auch noch den Weg des Hochgerichtes,
Es muß der Tag des Sieges endlich kommen,
Der statt der Dornen Lorbeerkränze flicht
Für alle die Verklagten und Verdammten;
Unsterblich ist der Geist, der Ketten bricht,
Doch die der Scheiterhaufen Brand entflammten,
Die Kläger und Verdammer sind es nicht.

Sie haben immer trefflich sich verstanden,
Jenseits der Berge, diesseits – eitle Worte,
Den Quell des Lebens machten sie versanden,
Bis hüben er wie drüben starr verdorrte,
Und ob auch Zwist in beiden Lagern schien,
Begann sich nur ein freier Geist zu regen,
Schnell ließen sie den müß’gen Hader flieh’n,
Und riefen dem gemeinen Feind entgegen
Einstimm’gen Chores: Kreuz’ge, kreuz’ge ihn!

Und die des Lichtes heil’gen Kampf begannen,
Lang’ blieben sie vereinzelte Zerstreute,
Und unbegriffen gingen sie von dannen,
Saat für die Zukunft – anders ist es heute:
Wir stehen eine festgeschloss’ne Schaar,
Die Besten alle sind auf uns’rer Seite,
Des Kampfes Ziel ist Jedem offenbar,
Und uns’rer Losung bringt aus fernster Weite
Die neue Stunde neue Kämpfer dar.

Die eine Freiheit, und die eine Allen,
So wird die alte Botschaft neu verkündet,
Und ihre Kanzel, nicht in Tempelhallen,
Im Menschenherzen steht sie tiefbegründet,
Und mächt’ger immer schwillt der Geister Strom,
Er trägt die sich befreiende Gemeine,
Schon wölbt sich stolz ihr unsichtbarer Dom
Hoch über allem trügerischen Scheine –
Und uns’re Feinde sind nicht blos in Rom.

Noch tagen aller Orten die Concile,
Den Bannstrahl schleudern sie nach allen Enden,
Ohnmächtig aber fehlt er seine Ziele,
Wer läßt am Tag von Feuerschein sich blenden!
Das Wort ertödtet, Leben schafft der Geist,
Zerbrochen liegt der todten Formel Schranke,
Darein den Glauben mühsam sie geschweißt,
Unfehlbar ist der menschliche Gedanke,
Der selbst dem Himmel seinen Blitz entreißt!

Ein Wecker bist und Sammler Du gewesen,
Als dämmernd sich das Licht des Morgens regte,
Zu ihrem Herold hat auch Dich erlesen
Die neue Zeit, die sturm- und drangbewegte;
Treu, Uhlich, bliebst Du stets in Wort und That,
Hast männlich der Verfolger Haß getragen,
Schau’ Deinen Lohn: schon grünt der Zukunft Saat,
Und bald wird sie für alle Zeiten ragen,
Die freie Kirche in dem freien Staat!
 Albert Traeger.




Ein Hurricane in den westindischen Gewässern.
Aus meinem Tagebuche.

Jeder meiner Leser hat zweifellos schon Gelegenheit gehabt, einen kleinen Wirbelwind zu beobachten, wie er Staub, Blätter und andere leichte Gegenstände in phantastischem Spiel nach der Mitte zieht und dieselben in die Luft führt oder in einen Haufen zusammengefegt liegen läßt. Man bemerkt an diesen harmlosen Kindern des Windes eine mehr oder minder heftige Rotation um die eigene Verticalachse, ein Hinzuströmen der umgebenden und ein Aufwärtsstreben der inneren kreisenden Luftschichten, während das ganze Phänomen mehr oder weniger fortschreitet. Zu größeren Dimensionen anwachsend, vermag eine solche wirbelnde Luftsäule schon schwerere Gegenstände wie Heuhaufen und Getreidegarben zu entführen oder Bäume zu entwurzeln und die Dachungen von Gebäuden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_153.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)