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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Verkehr mit dem großen Publicum, so mit Vorliebe in Verbindung mit Gelehrten und Künstlern. Weil mit den englischen wie heimischen Verhältnissen genau vertraut, sahen ihn der englische Gesandte, Lord Bloomfield, und dessen erster Secretär, Lord Loftus, oft bei sich. Er mußte für die Gesandtschaft Contracte abschließen, überhaupt ihre Interessen wahrnehmen.

Diese Beziehungen sollten von großem Werth für Strousberg werden. Als eines Tages bei Lord Loftus englische Capitalisten sich befragten, wen sie wohl für den Bau der Tilsit-Insterburger Bahn zu ihrem General-Bevollmächtigten ernennen könnten, brachte der Gesandtschafts-Secretär den Dr. Strousberg in Vorschlag. „Jetzt geht mein Stern auf!“ rief Strousberg aus. Seine General-Agentur, die er sieben Jahre inne gehabt hatte, gab er unverzüglich auf, um 1863 in seine neue Thätigkeit einzutreten. Die Engländer hatten den Bau in General-Entreprise genommen, die bis dahin in Deutschland noch nicht zur Anwendung gekommen war. Strousberg führte den Bau aus und fungirte als Bevollmächtigter für dieselben Unternehmer auch bei der inzwischen concessionirten ostpreußischen Südbahn. Die General-Entreprise baut rascher und billiger als eine Actiengesellschaft und der Staat, und gerade diese beiden Momente erregten das Mißtrauen des Publicums in die Solidität so zu Stande gekommener Bahnstrecken. Man forderte, und mit Recht, die strengste Controle durch staatliche Instanzen, die im weitesten Umfang eintrat, zumal die für beide Bahnen verantwortlichen Unternehmer Ausländer waren. Als später Dr. Strousberg selbstständig die General-Entreprise bei Berlin-Görlitz zur Anwendung brachte, hatte er zwei Control-Instanzen zu befriedigen, den Staat und die öffentliche Meinung. Die letztere verfuhr nicht weniger scharf wie die Commission der Regierung, die den Bau vom ersten Spatenstich an bis zur Fertigstellung an Ort und Stelle beaufsichtigten. Dies erste eigene Unternehmen Strousberg’s, von Engländern ebenfalls noch projectirt und angefangen, hat ihm die allergrößten Sorgen gemacht, denn die politischen Verhältnisse erfüllten, namentlich im Jahre 1866, die Geldmärkte mit paniqueartigen Besorgnissen. Der Bau wurde nicht unterbrochen, aber die Arbeiten gingen unter so schweren Opfern des General-Entrepreneurs weiter, daß das Publicum des Augenblicks gewärtig war, wo er seinen Bankerott erklärte. Die Actien waren bedeutend gefallen, und doch mußten zu jedem Cours die noch reservirten Obligationen ausgegeben werden, um immer Geld zu haben. Der Krieg nahm ein unerwartet schnelles Ende und das war Strousberg’s Glück. Die Bahn wurde fertig, nur hatte sie dem Unternehmer finanziell nichts eingebracht. In anderer Beziehung freilich um so mehr, denn das schließliche Gutachten der Staatscontrole lautete dahin, daß Berlin-Görlitz eine durchaus gutgebaute Bahn sei.

Jetzt war Dr. Strousberg nicht mehr der Aufträge Suchende, sondern der von Communen und Kreisen Gesuchte. Rasch folgten sich die Rechte Oderufer-Bahn, die Märkisch-Posener, die Halle-Sorauer, die Ungarische Nordost-Bahn, die Bahnen in Rumänien, die Strecke Hannover-Altenbeken. Und wie fing Strousberg es an, um das Alles bewältigen zu können, wo er nebenbei noch den Berliner Viehhof und andere Etablissements herstellte? Er engagirte sich vorzügliche Ingenieure und Architekten, bewährte Verwaltungsbeamte, Männer, die zum großen Theil hohe Stellungen im Staate aufgaben. Er selbst behielt jederzeit die centrale Leitung in Händen. Neu in Entreprise genommen sind bekanntlich Lyck-Bialystock bis nach Brzesc-Litewsk, Chemnitz-Aue-Adorf mit Verlängerung nach Hof, ein Hafenbau an der Sulina-Mündung und sehr bedeutende Bauten in und um Antwerpen. Zu letzteren hat Strousberg belgische Officiere und Beamte engagirt; das Antwerpener Unternehmen verspricht sein bedeutendstes zu werden.

Der Umschlag, der durch die gesammten Entreprisen seit 1863 gemacht worden ist, beläuft sich auf mindestens sechshundert Millionen. Peto und Andere gingen zu Grunde, weil sie falsche Finanzdispositionen trafen. Sie ließen sich mit ihren Geldern auf Speculationen ein, die unberechenbar waren. Strousberg’s Finanzsystem war im Unterschied hiervon ein rein kaufmännisches. Legte er seine ersten Ueberschüsse in Grundbesitz an, was seinen Credit wesentlich hob, so erstand er später industrielle Etablissements wie die v. Egestorff’sche Maschinenfabrik in Hannover, die Arndt’schen Schienenwalzwerke in Dortmund, die Dortmunder Hütte und vieles Andere. Strousberg ist damit großer Industrieller geworden, vielleicht der größte, den wir in Deutschland überhaupt haben. Bedeutende Gütercomplexe besitzt er in Böhmen und in fast sämmtlichen Provinzen Preußens. Im Berliner Centralbureau sind allein mehr als dreihundert Personen beschäftigt; das gesammte Arbeiterpersonal von den Oberingenieurs bis herunter zum Erdarbeiter beläuft sich durchschnittlich auf hundertfünfzig Tausend.

Der Gelderwerb allein macht freilich noch Niemand anbetungswürdig, auch den Dr. Strousberg nicht; doch ist die zähe Ausdauer, die ihn in den Stürmen des Lebens stets oben erhielt, ebenso bemerkenswerth, als das fabelhafte Glück, mit welchem er operirte und in wenigen Jahren Millionen gewann. Dabei ist er – und darin stimmen Freunde und Widersacher überein – ein Mann, der nie vergessen hat, daß er durch viele Jahre in Armuth und Entbehrung gelebt. Er giebt oft und vollauf. Seine letzten Acte generösen Wohlthuns sind bekannt, sie ergänzen die reichen Spenden während des ostpreußischen Nothstandes. Das Geld ist immer nur sein Diener, nie sein Herr gewesen. Als Millionär gerade so bedürfnißlos für seine Person geblieben, wie er als Londoner Berichterstatter und New-Yorker Sprachlehrer war, hat er sich sein Interesse für Wissenschaft und Kunst, namentlich für Gesang und Musik zu wahren verstanden. Zwei Söhne und fünf Töchter nehmen Theil an dem seltenen Glück des Strousberg’schen Hauses, er selbst aber kann, auf sein Leben zurückblickend, sagen, er sei ein „selbstgemachter Mann“.

H. B.




Der deutsche Künstler-Verein in Rom. Auch die letzten Weihnachten hatte der deutsche Künstler-Verein seine festlich geschmückten, schönen Räume im Palazzo Poli, dessen imposanter Façade die klaren Wasser der berühmten Fontane di Trevi entströmen, der deutschen Fremdenwelt zur Theilnahme an der Festfreude des „Christbaumes“ geöffnet. Viele, sehr viele waren erschienen, nicht nur deutsche Landsleute, auch Fremde von jenseits des Oceans, denen deutsche Cultur und Sitte im Lichterglanze des Weihnachtsbaumes in den Wildnissen Amerika’s anheimelnd entgegengestrahlt hatte. Jung und Alt umstand freudigen Blicks den zwanzig Fuß hohen, prächtig geschmückten Christbaum, einen dunkelgrünen würzig duftenden Lorbeerbaum, der den Stall mit Krippe, „da Christ’ ein Kindlein lag“, anmuthig überschattete; dazu ertönten die feierlichen Klänge eines Bach’schen Präludiums, mit Orgel und Instrumentmusik ausgeführt. Die Kinder erhielten allerlei Geschenke an Spielsachen und Zuckerwerk, jede Dame einen Blumenstrauß, und Confitüren wurden auf Tellern allen Anwesenden angeboten. Der greise König Ludwig von Baiern fehlte niemals, wenn er in Rom war, an diesem Abend im deutschen Künstler-Verein. Von sechs bis acht Uhr Abends ist der Zutritt gestattet, bis dahin erlöschen allmählich die Lichter des Baumes und diejenigen Mitglieder, welche nicht durch Familienbande außerhalb gefesselt sind, vereinigen sich dann zum gemeinsamen Festmahle.

Erwähnen wir noch, daß fast den ganzen Winter hindurch jeden Sonnabend ein Gesellschafts-Abend, wozu Damen eingeladen sind, eingerichtet ist, an welchem Musikaufführungen von Dilettanten und Fachkünstlern, Gesangproductionen oder abwechselnd heitere, costümirte Vorstellungen stattfinden, und sich Tanzvergnügungen anschließen, bis endlich im Carneval der große Festball den Glanz- und Höhepunkt aller Unterhaltungen bildet: so ersieht man daraus, daß das deutsche gemüthliche Leben in diesen Räumen eine Heimath hat.

Dieses Institut des deutschen Künstler-Vereins in Rom ist ein sehr wohlthätiges für den fremd hierher kommenden jungen deutschen Künstler; es ist ihm eine freundliche[WS 1] Oase in der fremden Oede, mit einem Wort ein Stück Deutschland inmitten der alten Weltstadt. Die Benutzung einer viertausend Bände reichen Bibliothek steht den Mitgliedern offen, ebenso eine reiche, werthvolle Kupferstichsammlung. Im Lesezimmer finden wir aufliegend von Zeitungen: die Augsburger Allgemeine, die Kölner und National-Zeitung, die Leipziger Illustrirte, die Gartenlaube, die Fliegenden Blätter, den Kladderadatsch, das Lützow’sche Kunstblatt, die Literarischen Blätter, die Gewerbehalle und den Osservatore di Roma; daneben findet sich das Brockhaus’sche Conversationslexikon zum Nachschlagen aufgestellt. Der deutsche Vereins-Custode sorgt für preiswürdige Speisen und Getränke und der Eßsaal ist im Winter angenehm geheizt.

Bedenklich für den Verein hätte das Jahr 1866 mit seinen großen politischen Ereignissen werden können, die Sympathien und Antipathien dafür gruppirten sich in zwei Lagern, je nach den nord- oder süddeutschen Anschauungen, und der politische Hader schlug bald zur hellen Flamme aus und warf den Verein auseinander. Die Existenz des Vereins, da Viele fortblieben und absagten, war in Frage gestellt, es konnte nicht mehr auf „Borg“ fortgewirthschaftet werden, denn der Cassirer, der in frühern verhängnißvollen Momenten leihweise in den eigenen Beutel gegriffen hatte, lieh nichts mehr und erhob seine gerechten Ansprüche. Die Lage war sehr kritisch!

Zunächst sollte, um größere Ersparnisse zu erzielen, das Vereinslocal, an welches man noch drei Jahre contractlich gebunden war (die jährliche Miethe beträgt vierhundertundfünfzig Scudi) geräumt und anderweitig vermietet werden; in zwei irgendwo zu miethenden Zimmern sollten die Bibliothek und die andern Sammlungen untergebracht, der Custode sollte entlassen und so auf die ersten Anfänge zurückgegangen werden.

Aus diesem Verfall hätte sich der Verein wohl schwerlich mehr erhoben. Für den patriotisch fühlenden Vorstand war diese Erkenntniß sehr betrübend und beschämend. Am Monte Pincio erhaben über Rom, im stolzesten aller Paläste, der Villa Medici, thront die französische Kunst, kaiserlich vornehm! Das kleine Dänemark unterhält in Rom einen skandinavischen Verein, mit einem jährlichen Zuschuß von tausend Scudi; und die Deutschen sollten nicht haben, wo sie sicher ausruhen konnten!

Es war die alte, ekelerregende deutsche Misere! Eine Generalversammlung, einberufen, was unter diesen schwierigen Umständen zu thun sei, ergab kein Resultat, ja die beschlußfähige Anzahl der Mitglieder war gar nicht erschienen. Die Zeit drängte, denn das Deficit wuchs mit jedem Tage riesiger empor. In dieser Klemme beschloß der Vereinsvorstand, aus den Herren Mayer, Dreßler, Blaschnik, Hassenpflug, Bretschneider bestehend, sich in einer Eingabe mit siebenunddreißig Unterschriften, die Mehrzahl der treugebliebenen Vereinsgenossen, zumeist Norddeutschen, an den König Wilhelm von Preußen zu wenden, dem von nun an das Geschick die Leitung des größten Theils von Deutschland in die Hände gelegt hatte. Der Vorstand hat, da durch die politischen Ereignisse in Deutschland der hiesige deutsche Künstler-Verein mit erschüttert sei, um einen jährlichen Zuschuß von fünfhundert Thalern und um das bleibende Protectorat Seiner Majestät königlichen Gesandtschaft in Rom, um nöthigen Falls des Schutzes derselben sicher zu sein. Und der Vorstand hatte nicht umsonst gebeten, beide ausgesprochenen Wünsche wurden erfüllt; ja, sie wurden noch insofern übertroffen, als der König Wilhelm für die ersten beiden Jahre, anstatt fünfhundert, siebenhundertfünfzig Thaler bewilligte. Die Fortexistenz des deutschen Künstler-Vereins war hierdurch gesichert. Noch im Spätherbst des Jahres 1866 schloß sich daran die Stiftung eines preußischen Edelmannes, welcher sich verpflichtete, solange er lebe, jährlich vom deutschen Künstler-Verein in Rom für tausend Thaler Kunstgegenstände, Gemälde oder Sculpturen, zu erwerben, was nun schon seit drei Jahren seinen Fortgang genommen hat. Ebenso muß noch erwähnt werden das Vermächtniß einer hier verstorbenen preußischen adeligen Dame, die letztwillig ein Capital von siebentausend Scudi aussetzte, wovon die jährlichen Zinsen zur Unterstützung evangelischer deutscher Künstler verwendet werden.

Rom. Blaschnik. 


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: freudliche
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