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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

„Ja, theurer Freund, etwas Kenntniß ist freilich nothwendig, um billig einzukaufen.“

„Haben Sie meine Liste gesehen?“ fragt Geoffroy, „das Durchstrichene ist verkauft.“

„Ein Paar Dschiggetais (asiatische Wildesel) sechstausend, chinesische Rennthierhirsche viertausend, ein Paar Königsfasanen tausendfünfhundert Franken – nichts für mich, Geoffroy; doch halt, hier kommen berechtigte Bürger für’s Vivarium. Schreiben Sie –“

„Können Sie ein Paar Trompetervögel brauchen? Ich weiß ein schönes Paar, grünrückige, nicht theuer.“

„Wie viel müssen Sie denn verdienen, Cornely, wenn Sie sagen, wo, wann und wie theuer?“ ist die zwar boshafte, aber nicht unberechtigte Gegenfrage.

Eine halbe Stunde Pause für’s Frühstück. Und dann wiederum das Geklapper der Mundmühle van der Stappen’s, Herbeischleppen immer neuer Thiere, wenn die Kauflust ermattet, Tauschen, Handeln, Schachern, Uebervortheilen, Sichüberlistenlassen, ohne zu thun, als ob man es merke, endlich wirkliche Uebermüdung, friedfertiges Begraben aller bösen Gelüste, des Neides, der Nebenbuhlerschaft, Abstumpfung getäuschten Erwartungen, geträumten Errungenschaften gegenüber, Gleichgültigkeit sogar gegen alles Lebende, die bietenden und nicht bietenden Frauen kaum ausgeschlossen; da erscheint mit feierlichem Gesicht ein Angestellter des Gartens und überreicht den Erwählten ein versiegeltes Schreiben.

„Herr Vekemans giebt sich die Ehre, Herrn So und So zum Mittagsessen einzuladen, bei sich, gefälligst um sechs Uhr.“

Herr Vekemans bemerkt davon nicht das Geringste; denn er schickt sich eben zu einer seiner längsten Reden an, räuspert sich und spricht: „Meine Herren, zu den Lophophoren (Glanzfasanen); zwei Paare, im Garten gezüchtet, prachtvoll in Farbe; der Käufer des ersten Paares hat die Wahl.“

Die gesammte ehrenwerthe Gesellschaft ist wie elektrisirt; das Gesicht unseres Bodinus drückt alle Thatkraft aus, welche dem Manne eigen, und sagt auch ohne Worte: dieses erste Paar Glanzfasanen werde ich erstehen und wählen.

Man bricht in langem Zuge zu den Fasanengehegen auf; van der Stappen besteigt einen Stuhl, stützt sich mit der einen Hand auf den dienstwillig herbeigeeilten Fasanenwärter und erklärt, daß gedachtes Paar Glanzfasanen zu fünftausend Franken eingesetzt sei.

Tiefe Stille, jedoch keineswegs auch Verwunderung.

„Viertausend, dreitausend, zweitausend, tausend Franken,“ ruft der würdige Notar aus, zwischen jeder Erniedrigung seines Angebotes eine geraume Zeit verstreichen lassend und die Blicke in die Runde sendend. „Niemand zu tausend Franken? Niemand.“

Ein englischer Händler erhebt die Hand. „Tausend Franken – marchand – elf-, zwölf-, dreizehn-, vierzehn-, fünfzehnhundert Franken. Niemand mehr, Niemand höher – zugeschlagen; Herrn Bodinus!“

Ein zweites Paar Lophophoren, hierauf Königs-, sodann Ohrfasanen, endlich Abbruch der Verhandlungen.

Beim Mittagsessen bekundet der innerlich befriedigte Wirth nicht allein seine liebenswürdigen Eigenschaften, sondern entfaltet auch einen Reichthum, welcher es Jedem glaublich erscheinen läßt, daß er die Hälfte aller Antheilscheine des Thiergartens besitzt. Es geht munter her, und die Unterhaltung ist eine allgemeine, soweit größere oder geringere Sprachfertigkeit es gestattet. Französisch, Englisch, Deutsch, Holländisch und Vlämisch klingt durcheinander; die eine oder die andere Sprache wird zeitweilig zur herrschenden. Der Wirth läßt seine Gäste leben; Westermann spricht im Namen dieser Dank aus; ich gedenke bei einem Trinkspruche Alexander von Humboldt’s; Milne-Edwards setzt sofort Cuvier dagegen ein, was mich wiederum zu der Bemerkung veranlaßt, daß Cuvier in Deutschland gebildet worden; Bodinus erstickt die aufkeimende Eifersucht der Franzosen bezüglich aller deutschen Wissenschaft und Größe im Keime. Man verträgt sich, erzählt, berichtet, regt wissenschaftliche Fragen an, glänzt und wird überstrahlt; der weinselige Martin drückt nochmals seine Verwunderung aus wegen der Kölner betreffs seines verehrten Collegen Bodinus, kommt nochmals auf den herrlichen Tiger zu sprechen, welcher so tapfer mit ihm kämpfte; endlich erhebt man sich und geht aber noch lange nicht zur Herberge.

Der nächste Tag versammelt einen engeren, gewählteren Kreis; denn er gilt den größeren, theureren Thieren. Löwen und Jaguars, Antilopen und fremdländische Hirsche, Riesenkängurus, Mähnenschafe, Llamas, Kamele, asiatische, afrikanische und amerikanische Kraniche, schwarzhalsige Schwäne, Kaimans und Riesenschlangen etc. gelangen zur Versteigerung. Die größeren Säugethiere werden, soweit es zulässig, in ihren Außengehegen vorgeführt; jeder gute Sprung einer Antilope steigert ihren Werth um hundert Franken. Es wird eifrig geboten; aber auch das Gegentheil findet statt: man hat in den beiden Tagen genaue Kenntniß des europäischen Thiermarktes gewonnen. Ein und das andere Thier wird sogar zurückgezogen. „Es giebt keine Liebhaber mehr,“ sagt Vekemans mit wehmüthigem Gesicht, vergangener Zeiten gedenkend.

Am Donnerstag Morgen erscheinen einige der Versammelten nochmals im Garten, um beim Einpacken der von ihnen gekauften Thiere zugegen zu sein. Der größte Theil der „Liebhaber“ ist bereits gestern Abend abgefahren, manch Einer mit zwanzig und mehr Gebauern als „Reisegepäck“. Auf dem Bahnhofe zu Antwerpen verzieht man keine Miene, wenn Dieser Vögel, Jener Affen und andere Säugethiere unter erwähnter Bezeichnung aufgiebt; in Deutschland und Frankreich aber muß man oft genug Zoll- und Bahnbeamte erst beschwichtigen, bevor man mit seiner Begleitschaft weiter ziehen darf. Vielleicht trägt Vorstehendes dazu bei, sie mild zu stimmen gegen Denjenigen, welcher, weil so schwer bepackt, ihr Mißfallen erregte, wenn er ihnen sagt: „Ich komme von Antwerpen.“




Das amerikanische Hôtel.


In unseren Tagen der vervollkommneten, vervielfachten und verwohlfeilten Communicationsmittel, die Raum und Zeit von Woche zu Woche mehr verschwinden machen und wie die meisten anderen Genüsse und Vortheile, so auch das Reisen demokratisiren, reist, kurz und rund gesagt, eben Jedermann und alle Welt, so daß wir unablässig eine völlige Völkerwanderung im Gange sehen. Eine unmittelbare Folge dieser massenhaften Locomotion sind unsere modernen Hôtels, jene Monstre-Anstalten, wie sie sowohl in unseren großen Städten, als an den sonstigen Centren und Knotenpunkten des Fremdenzuges tagtäglich in steigenden Dimensionen in die Höhe schießen, Etablissements, wo, in Casernenmanier, immer gleich Hunderte, ja Tausende von Gästen auf einmal beherbergt, verpflegt und mit allem uns zur Unentbehrlichkeit gewordenen Luxus unserer Zeit umgeben werden können. In Paris und London, am Rhein und in der Schweiz, in Berlin[1] und Wien entstehen alljährlich neue dergleichen Riesenherbergen, eine durch Ausdehnung und Organisation bewundernswerther als die andere, die gewaltigsten Ungeheuer von Hôtels aber erwachsen auf dem Boden der Vereinigtem Staaten von Amerika, dem Lande, in welchem die sich Tag ein Tag aus auf der Reise befindende Menschheit augenblicklich wohl die höchsten Ziffern erreicht.

Dem Wesen der Sache nach sind unsere derzeitigen Hôtels im Allgemeinen kosmopolitischen Schlages, indeß zeigte sich das Gepräge ihrer Nationalität doch bei keinem durchaus verwischt. Am meisten national stellt sich wohl noch das amerikanische Hôtel dar; seine Eigenthümlichkeiten, Vorzüge wie Gebrechen, entspringen den Charakterzügen des Volkes, für welches es errichtet und gehalten wird. Der Amerikaner ist ein vorzugsweise geselliges Thier: er liebt den Haufen und lebt am liebsten in einem solchen. Selbst geboren wird er gleichsam in Gesellschaft, denn die Aerzte versichern uns, daß in den Vereinigten Staaten Zwillingsgeburten häufiger sind als anderwärts. In Haufen besucht er die öffentlichen Schulen und wohnt haufenweise in den höheren Bildungsinstituten zusammen. In Haufen fährt er auf Eisenbahnen und Dampfschiffen, welche stets bis zum Uebermaße mit Menschen vollgepfropft sind, und findet an nichts größere Freude als an Monstre-Versammlungen. Endlich stirbt er selbst en masse, denn nirgends auf der Erde tödten unglückliche Katastrophen mehr Menschen zu gleicher Zeit, seien es nun Eisenbahnunfälle oder Kesselexplosionen auf den Dampfschiffen.

  1. Augenblicklich ein Hôtel mit einer Million Thaler Anlagecapital.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_169.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)