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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Nach der Tafel begab man sich in’s Theater, wo Mahomet aufgeführt wurde. In der oberen Hauptloge nahmen die Fürstinnen Platz: auf einem Fauteuil, der etwas erhöht stand, die Königin von Westphalen; an der Seite, aber niedriger, die Herzogin von Weimar. Dieselbe Augenzeugin berichtet: „So freundlich die westphälische Dame mit der Herzogin allein war, so sah sie dieselbe nun im Publicum nicht mehr an und sprach auch kein Wort mehr.“ Dieses auffallende Benehmen hatte wohl seinen Grund nur in einer augenblicklichen Verstimmung, die von der Theilnahme herrührte, welche die Königin Katharina für ihren Gemahl fühlte. König Hieronymus war nämlich mit sehr vielen Klagen und Beschwerden nach Erfurt gekommen, hatte aber bei seinem kaiserlichen Bruder kein Gehör gefunden. Er äußerte laut, daß er kein Geld habe, das Land so arm sei, er kein Deutsch verstände, und daß er als Prinz von Frankreich tausend Mal glücklicher gewesen sei. Der Kaiser hatte es wiederum an Ermahnungen nicht fehlen lassen, hatte dem König Vorwürfe über seine Regierungsweise gemacht und ihm jede Hoffnung auf Verbesserung seiner Stellung genommen. Der Verdruß, der über diese Mißerfolge die Brust des Königs Hieronymus erfüllte, wirkte natürlich auch auf die Königin zurück, die unter solchen Umständen nur wenig beitrug, die Geselligkeit zu beleben.

Ganz anders zeigte sich die Erbprinzessin von Baden, welche bald nach der erfolgten Abreise der westphälischen Majestäten mit ihrem Gemahl in Erfurt eintraf. Durch ihren hellen Verstand, ihre geistige Lieblichkeit, ihre Lebensfrische, ihren liebenswürdigen Humor elektrisirte sie Alle. Namentlich war von dem Zauber ihres Wesens der Kaiser Alexander entzückt, jener glänzende Anbeter weiblicher Schönheit und Grazie, ebenso ausgezeichnet in der Galanterie wie im Kriege und in der Politik. So oft die Etiquette es zuließ, befand er sich an der Seite der schönen Stephanie, ihre reizende Unterhaltung fesselte ihn ebenso wie ihre blendende Erscheinung. Gern hätte er bisweilen die diplomatischen Verhandlungen abgekürzt und die Stunden lieber in ihrer Gesellschaft zugebracht. In Erfurt sprach er sie fast nur an der Mittagstafel oder wenn er ihr einen Besuch machte; im Theater waren die Plätze der Herren und Damen von einander getrennt, die Herren saßen im Parquet, die Damen in der oberen Logenreihe. Auf dem Balle, den die Herzogin von Weimar auf Napoleon’s Wunsch zu Ehren der beiden Kaiser im Schlosse zu Weimar veranstaltete, hingen seine Blicke voll Bewunderung an der reizenden, anmuthigen Gestalt, wie sie gleich der Muse des Tanzes auf dem glatten Boden dahinschwebte, die zarten, elastischen Glieder mit Leichtigkeit und Grazie im rhythmischen Schwunge bewegend. Mit edler Weiblichkeit und Zartheit nahm die Erbprinzessin die schmeichelhaften Huldigungen des Zaaren entgegen und auch hier zeigte sich wieder ihre Tugend im schönsten Licht.

Nach Napoleon’s Abreise von Erfurt verweilte der Kaiser Alexander in Gesellschaft vieler anderer Fürstlichkeiten, unter ihnen der Erbprinz und die Erbprinzessin von Baden, noch einen Tag in Weimar. Sobald die Mittagstafel aufgehoben war, begab man sich in das Theater, wo „Don Carlos“ aufgeführt wurde und hier hatte der Zaar das Vergnügen, in derselben Loge mit der Prinzessin Stephanie der Vorstellung beizuwohnen. Nach der Aufführung fand ein glänzender Hofball statt, den der russische Kaiser mit der Erbprinzessin von Baden eröffnete. Der Kaiser soll an diesem Abend in Entzücken geschwelgt haben, als die leuchtenden Augen seiner Tänzerin ihm entgegenstrahlten, ihr süßer Athem ihn umkoste. Bis drei Uhr Nachts hielt der Kaiser im Ballsaal aus, zum großen Leidwesen Vieler, denn in Weimar war man gewohnt, selbst nach Hofbällen zeitig genug zu Bette zu gehen.

Die reizende Erscheinung der Prinzessin Stephanie hatte wohl zu Gunsten Napoleon’s und der Familie Bonaparte-Beauharnais auf den Zaaren eingewirkt, insoweit Schönheit und geistige Anmuth auf politische Beziehungen Einfluß üben können. Als Napoleon später neue Gewaltschritte that und durch seine Maßnahmen Rußlands Handel immer größeren Schaden brachte, hatte die Freundschaft zwischen beiden Kaisern bekanntlich ein Ende.

Nicht von fürstlichem Geblüt, nicht von Kaisern und Königen umgeben, aber ein belebendes Element geselliger Verhältnisse und durch ihren glühenden Patriotismus dem großen politischen Schauspiele näher stehend, war eine vierte Dame, die Präsidentin von der Recke in Erfurt. Napoleon hatte nicht ihre Anwesenheit veranlaßt, wahrscheinlich hätte er sogar, würde er ein kleines Zwiegespräch haben voraussehen können, für ihre Entfernung, Sorge getragen haben. Schon unter preußischer Herrschaft hatte Herr von der Recke die Stelle eines Präsidenten in Erfurt bekleidet und war unter der neuen Regierung in seinem Amt geblieben. Herr und Frau von der Recke waren beide aus Preußen gebürtig und die Schmach ihres Vaterlandes, für die sie allein Napoleon’s Ehrgeiz verantwortlich machten, erfüllte sie mit tiefem Kummer.

Die Stellung des Herrn von der Recke in Erfurt erforderte, daß er ein Haus machte und besonders während des Congresses den Fremden eine gastliche Aufnahme gewährte. In dieser Zeit hatte sich der Minister Maret, später Herzog von Bassano, bei ihm einquartiert. Für den Präsidenten war nur ein kleines Arbeits- und Schlafstübchen im obersten Stock übrig geblieben, die Präsidentin mußte sich mit zwei kleinen Zimmern zu ebener Erde behelfen. Jeden Abend nach dem Theater versammelte sich in diesen kleinen Räumen eine glänzende Gesellschaft der verschiedensten Nationalitäten und Parteien in ungezwungenem geselligen Verkehr. Preußische Officiere und Geschäftsmänner, mit blutendem Herzen über die qualvolle Lage ihres Vaterlandes und mit dem tiefsten Hasse gegen seinen Ueberwinder, trafen hier harmlos mit französischen Militärs und Diplomaten zusammen, tauschten die Neuigkeiten des Tages, die verschiedenen umlaufenden Gerüchte, die Eindrücke, welche das mächtig aufregende französische Theater bei Allen zurückließ, mit einander aus. Der Mittelpunkt dieser glänzenden Geselligkeit, welche sich so wohlthätig den Fremden darbot, war die noch jugendlich schöne, in allen Reizen edler Weiblichkeit strahlende Frau des Hauses. Unendlich graziös von Gestalt und Bewegung, im Gespräch durch rasche Wendungen pikant, durchwärmt von der reinsten Güte, der lebhaftesten Theilnahme für fremdes Wohl und Weh, stand sie würdig, dem durch große Eigenschaften ausgezeichneten Gatten zur Seite, der mit einem klaren, hochgebildeten Verstande Witz und fröhliche Laune verband. Gern ruhte er sich nach den Anstrengungen des Tages in einer traulichen Abendunterhaltung aus und man hörte ihn oft mit seinem sprudelnden Humor die Gespräche würzen.

Zu dem Ball, den die Herzogin von Weimar während Napoleon’s Anwesenheit in Erfurt veranstaltete, erhielt auch Frau von der Recke eine Einladung. Napoleon bemühte sich, jeder Dame, die in seine Nähe kam, durch einige Worte seine Aufmerksamkeit zu bezeigen, seine Ansprachen und Fragen sollen indeß ziemlich gewöhnlich, manche sogar schroff und unfreundlich gewesen sein. Frau von der Recke mußte ihm wohl durch ihre Schönheit aufgefallen sein, denn er erkundigte sich, woher sie sei. Als er hörte, daß sie von Erfurt sei, sagte er zu ihr: „Ich hätte nicht geglaubt, daß es in Erfurt so schöne Frauen gäbe. Aber sind Sie denn auch eine geborne Erfurterin?“

„Nein, Sire, ich bin zu Stettin geboren!“

„Also Preußin?“

„Ja, Sire, und Preußin von Herz und Seele!“

„Gut, man muß seinem Vaterlande anhängen.“ Bei diesen Worten entfernte sich der Kaiser mit einem verbindlichen Gruß.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Antwort der Frau von der Recke in der großen glänzenden Versammlung, man bewunderte den Muth der schönen Frau, die dem allmächtigen Imperator gegenüber ihre Theilnahme für ihr unglückliches Vaterland auszusprechen gewagt.

Fünf Jahre nach dem Congreß zu Erfurt wurde die Schlacht bei Leipzig geschlagen, welche Deutschland nach langer Knechtschaft die erste Morgenröthe der Freiheit brachte. Es war eine glückliche Stunde für alle Patrioten, für Fürsten und Volk. Mit lebhafter Spannung, zwischen Furcht und Hoffnung schwebend, folgten die Herzogin von Weimar und die Präsidentin von der Recke dem Gang der Ereignisse; die Einnahme von Paris, Napoleon’s Sturz ließen sie nach drückenden Sorgen wieder besseren Tagen entgegensehen.

Während diese beiden Frauen Deutschlands Erhebung und Befreiung mit hoher Begeisterung begrüßten, sahen die beiden andern, zwar deutsche Fürstinnen und deutsche Namen führend, den Zusammensturz des napoleonischen Weltgebäudes als ein großes Unglück an. Mit Napoleon’s Abdankung verschwand die Größe und Herrlichkeit der Napoleoniden. Das Königreich Westphalen wurde aus der Reihe der Staaten gestrichen, der König von Württemberg stellte an seine Tochter das Verlangen sich von ihrem Gemahl zu trennen, unter welcher Bedingung er ihr eine glänzende Versorgung am Hofe zu Stuttgart versprach. Tief verletzt durch diese unwürdige Zumuthung, verweigerte die Königin entschieden ihren Gemahl im Unglück zu verlassen. Gezwungen hatte sie ihm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_187.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)