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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

ehedem ihre Hand gereicht, aber seitdem sie mit ihm verbunden, hing sie mit der zärtlichsten Liebe an ihm und ihre Treue war unerschütterlich. Sie theilte sein Schicksal und ertrug geduldig alle Kränkungen, Aergernisse und Zurücksetzungen, welche ihr von Seiten des württembergischen Hofes widerfuhren. Napoleon sagte auf St. Helena von der Königin Katharina: „Durch ihr Verhalten im Jahre 1815 hat diese Fürstin sich selbst in die Weltgeschichte eingeschrieben.“

Als Napoleon’s Stern untergegangen, muthete man auch dem Großherzog von Baden zu, seine Gemahlin zu verstoßen. So schwach dieser Fürst sich sonst zeigte, widerstand er doch in diesem Fall allen Bestürmungen, schloß sich nur um so inniger an seine Gemahlin an, gleichsam als solle sie in seiner Liebe und Achtung die Stütze wiederfinden, die sie in ihrem mächtigen Beschützer verloren. Auch der Kaiser Alexander trat als warmer Vertheidiger ihrer Rechte auf, aus den schmeichelhaften Huldigungen, die er ihr auf dem Congreß zu Erfurt mit so überschwenglicher Galanterie dargebracht, hatte sich eine aufrichtig dauernde Freundschaft entwickelt.

Als Wittwe genoß die Großherzogin allgemeine Anerkennung und Verehrung, die hohen Häupter, die sich gewöhnlich während des Sommers in Baden-Baden aufhalten, gaben ihr vielfache Beweise ihrer Achtung. Als im Jahre 1848 durch die Wahl Louis Napoleon’s zum Präsidenten der französischen Republik die Familie Bonaparte aus dunkler Vergessenheit sich zu Macht und Ansehen erhoben, hatte auch der Großherzogin Stephanie wieder neues, helles Licht gestrahlt. Sie war aus ihrer bescheidenen Zurückhaltung in eine glänzendere Lebenssphäre getreten, hatte sich auf Napoleon’s Einladung nach Paris begeben, die Honneurs im Elysée zu machen. Sie verlieh der Hofhaltung des Präsidenten eine sittliche Würde, welche später unter dem Kaiserreich, als andere Damen an ihre Stelle traten, zum großen Schaden der Franzosen ganz verloren ging.

Gebrochen an Leib und Seele war die Königin Katharina schon 1835 gestorben, sie hatte die Restauration der Napoleoniden nicht erlebt.

F. Arndt. 




In einem baierischen Stellwagen.
Von Karl Stieler.

Es giebt eine Phrase, daß nur der Land und Leute kennt, der zu Fuße wandert. Allein das ist da nicht richtig, wo das Fahrzeug zum charakterischen Gepräge der Gegend gehört, wo sich im Fahren selbst ein Stück Culturgeschichte abrollt. Wer Italien ganz kennen will, muß mit dem Vetturino gereist sein, und wer Altbaiern verstehen soll, muß auch auf der Folterbank eines Stellwagens gesessen haben. Davon läßt sich nicht dispensiren. Wenn man verschämte Touristen fragt, mit welcher Gelegenheit sie weiter reisen, so sagen sie: „mit dem Omnibus“. Das ist wenigstens ein lateinisches Wort und klingt nicht so plebejisch.

Im Wesen sind natürlich beide gleich. Denn die Pferde sind mager hier wie dort, der Kutscher ist in beiden Fällen gleich grob und der Wagen gleich enge. Es ist nur ein verschiedener Name für dasselbe Leid, und für diese Verschiedenheit zahlt man sechsunddreißig Kreuzer mehr. Zwischen den einförmigen Pappelalleen des Flachlands und zwischen den grünen Bergen des Hochlands trollen Stellwagen und Omnibus des Weges. Sie sind dort die Seele des Weltverkehrs, sie sind die Träger der Neuigkeiten und das Symbol des Fortschritts.

Den Sinn für Präcision hat man den Eisenbahnen überlassen; wer mit dem Stellwagen fährt, darf mit den Minuten nicht so knauserig sein. Darum ist es unsäglich schwer, ihn flott zu machen. Wenn er um drei Uhr vom Wirthshause abfahren soll, so liegt der Kutscher gewöhnlich um halb vier Uhr noch im Stall und schläft. Dann trampelt der Hausknecht mit schweren Stiefeln herein und spricht ihn freundlich an: „Wia, Hansei, Spitzbua fauler, steh auf, die Leut sind da zum Fahren.“ Mit einem Gähnen, das zehn Zoll im Durchmesser hat, hebt sich der Angeredete hinweg und brummt: „Schau, schau, daß die Tröpf’ immer zu früh kommen!“ Alsdann füttert er gemächlich die Pferde und ruft hinaus: „So, jetza fahren wir nachher bald!“ Schlimmer ist es noch, wenn er statt im Bett in der Schenke liegt und zecht; denn dann muß der Hausknecht nicht bloß die Pferde, sondern auch den Kutscher herausführen und das „bald“ dauert noch um eine Stunde länger.

Hierauf beginnt die Verpackung, die dadurch große Schwierigkeiten leidet, daß die Sitzplätze des Wagens nicht immer in räumlichem Einklang mit dem Sitzplatz der Fahrgäste stehen. Am tollsten geht es natürlich bei jenen Stellwagen zu, die an Bahnhöfen stehen, um die Passagiere über Land zu verfrachten. Denn im Galopp stürzt Alles aus dem Waggon an den Wagen, die Einen stolpern über die Schienen, die Andern verlieren ihr Gepäck, – es wird geflucht und gesucht, geeilt und geheult ohne Ende. Da die Menschen an äußerem Umfang ebenso verschieden sind, wie an innerem, so giebt es hier in der That ein difficiles Rechenexempel, dessen Lösung schließlich nicht der Kunst, sondern nur der Grobheit gelingt.

Alltäglich ereignen sich diese Scenen zum Beispiel in Holzkirchen, wenn der Hochsommer kommt und die Epidemie der Gebirgsreisen alle Münchner ergriffen hat. Mancher der verehrten Leser ist vielleicht selbst das Opfer solcher Momente gewesen und kann bestätigen, daß nicht gelogen wird.

Betrachten wir nun das Publicum, welches diesen Wagen füllt, ein wenig näher. Im Sommer sind es, wie gesagt, die „Luftreisenden“, die den großen Städten entfliehen wollen und die Gebirgsstraßen nach allen Seiten durchkreuzen. Außerdem findet man nur solche, die ihr Geschäft auf Reisen führt, aber auch diese sind bunt genug zusammengewürfelt. Kinder des Geistes und Kinder der Welt sitzen neben einander, der Pfarrer und der Gensd’arm, der Holzknecht und die Hochzeiterin. Die Disciplinargewalt über Alle handhabt der Kutscher, und wenn die Gegensätze platzen, wenn es Spectakel giebt, dreht er sich um und ruft durch’s Fenster hinein: „Wollts a Ruh’ geben, Ihr Sacra, oder nit, sonst wirf’ ich Euch gleich Alle in Straßengraben ’nein.“

Wer protegirt wird, der kommt auf den Bock; denn der Mensch lebt nicht vom Brode allein, er will sich auch unterhalten. Einen solchen Moment hat der junge Künstler gewählt, dem wir das nebenstehende reizende Bild verdanken. Auf der sonnigen Straße rollt der Wagen dahin, aber der Postillon ist mehr mit den Passagieren, als mit den Pferden beschäftigt und macht bedenkliche Wendungen auf seinem Sitze.

Ohne Zweifel kommen solche auch in seinem Gespräche vor. Drei Gestalten sehr verschiedener Art sitzen im Coupé: die eine ein Bild des freien Genießens, die anderen das erzwungener Entsagung. Da selbst ein Kutscher weiß, daß man gegen Nonnen nicht galant sein darf, so fällt ihm die Wahl nicht schwer, und ungehindert kann er sich dem jungen „Bauernkinde“ widmen. Die beiden Braunen finden schon von selbst den Weg, sie machen ihn ja seit sieben Jahren täglich, und somit ist die Gelegenheit zur Unterhaltung ganz gefahrlos. Nur dann und wann, wenn man den Radschuh einlegen muß, wird auch das Gespräch gehemmt.

Der Postillon weiß natürlich wer das schmucke Mädchen ist; denn ein Postillon kennt jedes lebende Wesen auf fünfzehn Meilen im Umkreis und läßt, wenn es hübsch ist, wie in dem gegebenen Falle, keine Gelegenheit vorbei, die Bekanntschaft zu erneuern. Sie war heute bei Amt und hat sich ihre „Papierer“ geholt, ist doch in vierzehn Tagen die Hochzeit. Darum der Sonntagsstaat. An den grimmigen Schnauzbart des Amtmanns, der die Heiterkeit seiner Kunden schmählich einschüchtert, denkt sie schon lange nicht mehr, sondern nur an das lachende Gesicht ihres Künftigen. Jetzt fährt sie heim und läßt sich gute Rathschläge geben, wie sie denselben kutschiren soll. Sieh nur, wie schelmenklug die Aeuglein blinzeln! Die hat zur Regentschaft viel Talent und wird die Zügel fester halten, als der Postillon!

Nebenan sitzen zwei junge Nonnen und beten ihre Litanei; aber noch niemals war die Litanei so langweilig, wie heute. Nur mühsam versenkt die eine sich in das fromme Buch, sie hört das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_188.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)