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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Das ist der eigentliche Kern des Bildes; aber der Künstler (der damit seinen ersten trefflichen Versuch gemacht) zeigt uns dasselbe nicht von der wehmüthigen, sondern von der heiteren Seite. Sonnenschein liegt darüber, und nur in tiefer Ferne ahnen wir das Leid, das hinter den Gegensätzen des Lebens athmet.

Watter, der Maler dieses Bildes, das auf der internationalen Kunstausstellung des vergangenen Jahres zu München sich allgemeinen Beifall erwarb, ist noch sehr jung; er ist ein geborener Baier und hat sich schon frühe durch seine feinsinnigen Illustrationen bekannt gemacht, die in München bei Braun und Schneider erschienen sind. In denselben war noch der Einfluß der Richter’schen Gestalten bemerkbar, obschon er näher als der Dresdener Meister an die moderne Sphäre heranrückte, die er insbesondere seit jener Zeit entwickelte, da er in die Münchener Akademie und in die Schule des Baron Ramberg trat. Jener gemüthvolle Zug, welcher durch seine Bilder geht, verkörpert sich auch im Verkehre, und eine liebenswürdige Bescheidenheit sichert seinen Talenten doppelte Anerkennung.

Doch kehren wir zu unserm Wagen zurück, in dessen Innerem unterdeß von allem Möglichen geplaudert wird, und wer erkennen will, wie das Volk fühlt und denkt, der kann keine bessere Studirstube wählen, als den verruchten gelben Kasten. Ueber Liebe und Politik, über die Lebendigen und Todten wird hier verhandelt, als wäre ein förmlicher Congreß berufen. Manches schlagende Wort springt über die wulstigen Lippen, manche feine Bemerkung fällt unter die rasselnden Räder; im Ganzen aber ist das Publicum sehr dankbar – weil es Langeweile hat.

Nicht immer freilich ist der Styl zierlich und der Inhalt zahm. Die größten Virtuosen sind in dieser Beziehung die Flößer, welche auf der Isar nach München fahren und über Holzkirchen im Stellwagen heimkehren. Als Pertinenzen führen sie eine große Axt und einen Centner Seile bei sich, die sie dann ihrem Gegenüber auf den Schooß legen. Da sie müde sind, schlummern sie gewöhnlich auf der Schulter des Nachbars ein, und alle Versuche, solch’ holde Last von sich abzuwälzen, sind vergeblich. Und doch ist es vielleicht besser, sie schlafen; denn ihr Gespräch betritt gar leicht einen schlüpfrigen Boden, gegen den nur solche Wasserstiefel unempfindlich sind.

Vorn auf dem Bock thront der Kutscher als eine Macht. Er weiß Alles, er besorgt Alles, er schimpft und protegirt ganz nach Befinden. Wer ihn milde stimmen will, muß ihm eine Cigarre geben; und je schlechter sie ist, desto besser wird er sie finden, desto näher wird sie seinem Verständniß sein. Bedenklicher als jedes andere Hinderniß aber wirken die Wirthshäuser, für die der Stellwagen eine unverbrüchliche Anhänglichkeit besitzt. Denn wer hat jemals gesehen, daß ein Stellwagen an einem Wirthshause vorüberfuhr? Und wer hat es je erlebt, daß ein Kutscher seine Pferde tränkt, ohne selbst ein Glas Bier zu trinken? Wehe, wenn einer der Gäste sich beigehen ließe hierüber zu murren; solche Einrede beantwortet der Lenker höchstens damit, daß er sich noch ein zweites Glas einschenken läßt. Unter diesen Umständen kann man allerdings nicht behaupten, daß der Stellwagen ein Culturfahrzeug ersten Ranges sei. Aber trotzdem kann man bisweilen ganz vergnügte Stunden darin verleben, ja sogar manchmal schöne und poetische.

So gedenk’ ich noch immer gern einer Fahrt, die ich einmal bei Nacht gemacht; es ging auf den Herbst zu und tiefe Dämmerung lag schon auf der Landschaft, als wir wegfuhren; am Himmel glänzten die ersten Sterne, in den Häusern die ersten Lichter. Unter der Thür saßen die Leute und riefen uns ihren Gruß, als wollten sie sagen: „Ei, wer wird so spät noch fortreisen; wir sind froh, daß wir daheim bleiben können.“ Die Straße führte am See entlang; man hörte, wie die Wellen eintönig anschlugen, wie das Schiff sich regte im Nachtwinde. Der Postillon knöpfte sich den Mantel zu, die Passagiere drückten sich in die Ecke und die kühle Nachtluft flog mir um die Schläfe. Ich saß draußen auf dem Bock. Stückweise ging es dahin unter hohen Buchen, daß die Zweige das Dach des Wagens streiften; dann ward die Straße wieder frei und stieg mäßig bergan. Jetzt ergriff der Postillon sein Horn mit der blauweißen Schnur und blies in die Nacht hinein. Anfangs waren es lustige Weisen, dann kam das alte schmerzenreiche Lied:

Du hast mich zu Grunde gerichtet!
Mein Liebchen, was willst du noch mehr?

Kein Wanderer begegnete uns, nur der Wiederhall antwortete auf die stille Weise. Immer glänzender wurden die Sterne; es war, als ob das Firmament sich wölbte vor unseren Augen, als ob man den kühlen Nachtthau fallen sähe. Dann und wann scholl fernes Gebell zu uns her, und wenn wir an Häusern vorbeifuhren, sah man wohl ein verliebtes Paar, das unter der breiten Altane stand, Arm in Arm oder verstohlen flüsternd. Da knallte der Postillon mit hellem Lachen; doch wenn wir vorüber waren, nickte er still und dachte: „cosi fan tutte.“ Auch er hatte einst ein Lieb gehabt, das seinen Weisen lauschte; er erzählte die lange Geschichte, aber es war nichts davon übrig geblieben als das alte Lied:

Du hast mich zu Grunde gerichtet!
Mein Liebchen, was willst du noch mehr?




Schulkindkrankheiten oder Schulkrankheiten?
Ohne phosphorhaltiges Gehirn kein Verstand, kein Gemüth, kein Wille, also keine geistige Thätigkeit.
Strafpredigt für Eltern, Lehrer und Schulvorsteher.
III.

Daß in den Schuljahren eine große Anzahl von Kindern an Uebeln leiden, die diesem Lebensalter vorzugsweise angehören und zum großen Theile auch in das spätere Lebensalter mit hinübergenommen werden, ist gewiß. Und ebenso gewiß ist es, daß diese Uebel durch die falsche Behandlung des Schulkindes, jedoch nicht blos in der Schule, sondern auch im elterlichen Hause, veranlaßt werden. Ihrem Entstehen muß also von Seiten ebenso der Lehrer wie der Eltern entgegengetreten werden, und dabei ist auf diejenigen Organe des Schulkindes die meiste Rücksicht zu nehmen, welche in diesem Lebensalter in Folge der Geistesbildung am meisten thätig sein müssen und durch falsche Behandlung am leichtesten erkranken können. Es sind vorzugsweise: das Gehirn und das Auge, sowie das Rückgrat.

Das Gehirn hat beim Schulkinde die wichtigste, deshalb aber auch die schwierigste und anstrengendste Aufgabe und Arbeit. Denn dieses Organ ist es, welches zu allen geistigen Thätigkeiten gebraucht und zum Verständig- und Vernünftigwerden des Menschen bearbeitet, erzogen werden muß. Dieses Erziehen des Gehirns darf nun aber nur äußerst vorsichtig vor sich gehen, wenn nicht für’s ganze Leben Schaden angerichtet werden soll. Erzieher müssen darum genaue Kenntniß von der Einrichtung und dem Leben des Gehirns haben, denn es handelt sich bei der Entwickelung und Vervollkommnung der geistigen Thätigkeit des Gehirns ganz besonders darum, daß die Ernährung der Hirnmasse nicht gestört werde. Dies kann aber, ebenso wie durch falsche und unzureichende Nahrung, sowie durch Störung des Blutlaufs innerhalb des Gehirns, auch dadurch geschehen, daß man dem Gehirne ein unzweckmäßiges, zu anstrengendes Arbeiten zumuthet und ihm das durchaus nöthige Ausruhen vom Arbeiten (besonders im Schlafe) vorenthält. Es muß durchaus das Geistig-Thätigsein in seiner Dauer und seiner Stärke dem vorhandenen Hirnzustande genau angepaßt und deshalb hierbei ganz besonders auf das Alter und den Ernährungszustand (die Blutmenge) des Kindes Rücksicht genommen werden. Auch darf die Steigerung dieses Thätigseins nur ganz allmählich geschehen. Aeußerst vorsichtig, weit vorsichtiger als dies zur Zeit in den Schulen geschieht, ist mit einem schwach ernährten, leicht ermüdenden, blutarmen Gehirne umzugehen.

Von der allergrößten Wichtigkeit für das Gedeihen des Gehirns und der Hirnarbeit ist das Gesetz: daß dem arbeitenden Gehirne stets eine seiner Arbeit entsprechende Ruhe, die richtige Pause im Arbeiten, gegönnt werden muß. Diese Ruhe ist aber deshalb für das Gehirn ganz unentbehrlich, weil (wie früher in Nr. 1 des Jahrg. 1870 der Gartenlaube erklärt wurde) während derselben die „ermüdenden Stoffe“ (nämlich die Zersetzungsproducte, welche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_190.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2019)