Seite:Die Gartenlaube (1870) 193.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

No. 13. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Aus eigener Kraft.
Von W. v. Hillern geb. Birch.
(Fortsetzung.)
14. Auf Trümmern.

O Majestät der Menschennatur! Im Höchsten wie im Niedrigsten kannst du deinen Purpur entfalten, denn er ist nicht von Sammet und Seide, dein Purpur ist die heiße Blutwelle, die ein mächtiges Gefühl, eine große That rascher nach Kopf und Herzen drängt!

Er ward nicht sichtbar, dieser Purpur auf der schwarzen Stirn des Negers, dennoch fühlten Alle die geheimnißvolle Nähe der Majestät in dem sonst so verachteten Menschen.

Und es war ihm einen Augenblick, da die erlöste Mutter zu seinen Füßen lag und die jauchzende Menge ihn umdrängte, als sei der Ehrentag für seine ganze Race angebrochen, als rauschten über ihm die Palmen seiner heißen Heimath und seine Brüder umringten ihn und sprächen: „Du bist unser König, denn Du hast uns die Freiheit erstritten mit Deinem Blute.“ Und aus seinen Augen brach ein Strahl so wunderbar, daß er sein ganzes Gesicht verklärte, und wer ihn jetzt sah, der fand ihn schön!

Am Boden bei Frau Hösli kniete ein unscheinbares stilles Wesen, das schaute aus blauen feuchten Augen zu ihm auf; es war ihm, als lächle ihn ein Stück seines heimathlichen Himmels aus diesem Blicke an, und die Brust ward ihm zu enge, es überkam ihn auf einmal wie Heimweh in all’ seiner Freude, wie ein unsägliches Heimweh, das nur der Tod stillen könne!

Jetzt regte sich Frau Hösli. Fräulein Körner nahm Frank das Kind ab und er half seine Herrin aufrichten und nach dem Hause führen. Der Traum war zerronnen, der kurze selige Traum von der Königskrönung, von den Brüdern, den Palmen und dem blauen Himmel der Heimath. Er war wieder nichts mehr als der einfache Diener, der nur seine Schuldigkeit that, wenn er das bischen Menschenrecht und Menschenglück, das ihm die Güte seiner Herrschaft gönnte, mit seinem Blut und Leben vergalt.

Das Haus war erreicht. Frau Hösli hatte immer noch nicht ihr volles Bewußtsein erlangt. Sie griff von Zeit zu Zeit nach Frank und dem Kinde, als wolle sie sich überzeugen, daß beide da seien, murmelte einige unverständliche Worte und sank, als sie ihr Lager erreicht, wie todt darauf nieder. Auch Aenny sprach wieder, aber verworren und fieberhaft. Fräulein Körner wollte sie zu Bette bringen, da schrie sie so verzweifelt nach Frank, er solle sie holen, sie halten, daß der Neger sie nehmen und in ihr Zimmer tragen mußte. Aber sie ließ ihn nicht mehr von sich weg. Kaum daß Fräulein Körner sie entkleiden konnte. Sowie sie ein paar Augenblicke lag, rief sie in Todesangst: „Ich falle, ich falle, Frank, Frank, komm, hilf mir!“

Frank fragte schüchtern Fräulein Körner und die eben erst eintretende Französin, ob er bleiben dürfe. Fräulein Duchèsne, welche stets vornehmer war als ihre Herrschaft, fand es nicht statthaft, Fräulein Körner aber erklärte energisch, sie wollte es bei Frau Hösli verantworten und Frank müsse bleiben, so lange es zur Beruhigung des Kindes nöthig sei.

Mit einem glückseligen Ausdruck setzte sich Frank an das kleine Bett und umschlang Aenny mit beiden Armen. Von dem Augenblick an ward sie ruhiger. Aber er durfte sich kaum bewegen, so fuhr sie aus ihrem Halbschlummer auf, rief erschrocken „Frank!“ und hielt seine Hand fest. Und mit einer Geduld, wie nur ein Mann von Frank’s Willenskraft sie hat, blieb der Mohr von diesem Augenblick an regungslos sitzen, wie aus Holz geschnitten. Kein Zureden half, sich wegzustehlen, als die Kleine wirklich fest schlief, sie hatte mit ihren Fingerchen immer noch Frank’s Rechte umschlossen und er wäre eher verschmachtet, als daß er sie dem Kinde entzogen hätte. Fräulein Duchèsne ging zum Abendbrod, denn nichts konnte sie dazu bringen, ihre gewohnte Eßstunde zu versäumen.

Fräulein Körner athmete auf, als sie hinaus war. Sie konnte den armen Frank nicht mehr so sitzen sehen. Noch immer triefte ihm der Schweiß seines mühevollen Werkes von der Stirn und die Wunden seiner Hände und Arme bluteten so, daß Aenny’s weißes Bettchen roth gefärbt ward. Fräulein Körner konnte nicht anders, ob schicklich oder nicht, ihr stilles Erbarmen war stärker als jedes Bedenken. Sie tauchte ein weiches Tuch in Wasser und wusch dem müden Manne, der keine Hand frei hatte, das Gesicht ab.

„Ah, wie das erquickt!“ sagte er dankbar und fast erschrocken über so viel Güte, „aber Sie werden mich nicht waschen weiß!“

„Das ist auch nicht nöthig, lieber Herr Frank! Es giebt Weiße mit schwarzen Herzen – und Schwarze mit weißen Herzen, das haben Sie uns heute gezeigt. – Bitten ziehen Sie nur einen Augenblick die Hand unter dem Kissen heraus – so!“ Sie wusch ihm das Blut aus und verband ihm die Wunden, so gut sie konnte, und machte mit liebevollem Eigensinn selbst die andere Hand aus der des Kindes los, um sie ebenfalls zu pflegen.

Frank ließ Alles mit sich geschehen, er war so verlegen und fühlte sich so unbeschreiblich geehrt, er wußte gar nicht, was er

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_193.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2021)